Erschienen in Lankwitz Journal April/Mai 2018
„Schuld“ war eine Jüterbog‘sche. Als Gemeindeschwester Gisela Meyer der alten Dame half, ihre viel zu volle Wohnung von dem Angesammelten der letzten Jahrzehnte zu befreien, fielen ihr zwei große Tücher in die Hand. Als Motiv befanden sich Heinzelmännchen und Szenen aus der Waschküche auf dem Stoff. Zum Wegwerfen fand die Gemeindeschwester sie zu schade und so schenkte die betagte Dame ihr die Tücher. Im Gespräch stellte sich heraus, dass die Seniorin trotz eines deutlichen Berliner Mundwerks gebürtige Jüterbogerin war – daher die „Jüterbogsche“.
Der Grundstein für eine umfangreiche Sammlung wurde nun gelegt. Gisela Meyer begann, sich für die Tücher, die sie als Rolltücher identifizierte, zu interessieren. Vor allem die gemusterten Rolltücher hatten es ihr angetan. Diese wurden ausschließlich im früheren Schlesien hergestellt. Familie Meyer suchte in ganz Mitteleuropa, wurde jedoch nur im Bereich des früheren Schlesiens fündig. Je aufwändiger das Rolltuch – drei davon gehörten in jede Aussteuerkiste – desto wohlhabender die Braut. Gemusterte Rolltücher wurden nach der Erfindung des automatischen Musterwebstuhls durch Joseph-Marie Jacquard (1752 – 1834) erschwinglich. Die Motive sind sowohl der Gründerzeit als auch dem Jugendstil und – sehr selten – dem Art déco zuzuordnen. Die gemusterten Rolltücher wurden bis 1939 gefertigt.
Nach und nach füllte sich die Sammlung von Gisela Meyer, bis heute besitzt sie 555 unterschiedliche Rolltücher. Die 60 schönsten sind bis zum 24. Juni im Museum Ludwigsfelde zu sehen, nur wenige Bahnstationen von Lichterfelde Ost entfernt. Hier darf nicht nur angesehen, sondern auch angefasst werden. Die Rolltücher aus unterschiedlichen Materialien hängen in zwei Räumen. Ein informativer Kurzfilm informiert über das Mangeln mit Rolltüchern. Eine Mangel ist ebenfalls zu sehen. Die Mangeln waren mit Steinen beschwert und als zusätzliches Gewicht wurden oft Kinder mit draufgesetzt. Das hielt Kinder auch davon ab, mit den Händen in die Mangel zu greifen und sie waren auf diese Weise unter Aufsicht. Ein wichtiger Aspekt für die Hausfrau und Mutter in Zeiten, in denen Kindergärten noch nicht üblich waren.
Das Kaltmangeln, das der Wäsche einen besonderen Glanz verleiht, ist ideal für Materialien, die keine Hitze vertragen. Es ist immer noch an einigen Orten in Brandenburg, Sachsen und Thüringen möglich. Allerdings werden die vorhandenen Mangeln nicht genügend frequentiert, so dass diese Art des Glättens der Wäsche vermutlich bald in Vergessenheit gerät. Die erste bekannte Kaltmangel stand übrigens um 1400 in Augsburg und wurde mit einem Pferdegöpel betrieben. Vermutlich wurde dort die Wäsche des Adels geglättet.
Die Ausstellung ist bis zum 24. Juni im Museum Ludwigsfelde, Am Bahnhof 2, 14974 Ludwigsfelde zu sehen. Öffnungszeiten sind Mo – Fr 10 – 15 Uhr, Sa und So 13 – 17 Uhr. An den Feiertagen ist das Museum geschlossen. www.museum-ludwigsfelde.de . Jeden Donnerstag ab 11 Uhr ist Gisela Meyer persönlich vor Ort und führt gern durch die Ausstellung.
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