Erschienen in Dahlem & Grunewald Journal August/September 2022
Industrieller, Politiker und Schriftsteller – Walther Rathenau, Sohn des AEG-Gründers Emil Rathenau – war vielseitig. Nach dem Besuch des Königlichen Wilhelms-Gymnasiums in Tiergarten studierte er Physik, Philosophie, Chemie und Maschinenbau. Anschließend diente er ein Jahr lang als Freiwilliger beim Militär. Er ging zum exklusiven preußischen Garde-Kürassier-Regiment und versuchte dort, Reserveoffizier zu werden. Das wurde ihm jedoch aufgrund seines jüdischen Glaubens verwehrt. Dort erlebte er erstmals, dass er als Jude als Mensch zweiter Klasse behandelt wurde.
Die Offizierslaufbahn war nicht möglich und auch der Versuch, als Künstler erfolgreich zu werden, scheiterte. So machte Walther Rathenau das, was er eigentlich verhindern wollte – er trat in die AEG, das Unternehmen seines Vaters ein. Er wurde mit dem Aufbau neuer Werke in Bitterfeld und in Rheinfelden (Baden-Württemberg) beauftragt. Später wurde er Aufsichtsratsvorsitzender der AEG und enger Berater seines Vaters. Walther Rathenau veröffentlichte mehrere Schriften, die ersten erschienen in der Wochenzeitschrift „Die Zukunft“ des Publizisten Maximilian Harden. In den Jahren 1912 und 1913 erschienen seine Bücher „Zur Kritik der Zeit“ und „Zur Mechanik des Geistes“.
Als der Erste Weltkrieg ausbrach, zeigte Walther Rathenau die schlechte wirtschaftliche Vorbereitung Deutschlands auf. Er wurde daraufhin im Jahr 1914 Leiter der neu eingerichteten Kriegsrohstoffabteilung im Kriegsministerium. Er erhoffte sich die Beförderung zum Staatssekretär, die jedoch ausblieb. Deshalb verließ er die Kriegsrohstoffabteilung nach nur acht Monaten und konzentrierte sich auf die Rüstungsfabrikation der AEG. Seine anfangs kritische Einstellung zum Krieg hatte sich in eine Unterstützung gewandelt. So war er daran beteiligt, belgische Zivilisten bei der Zwangsarbeit in Deutschland einzusetzen.
Nach Ende des Ersten Weltkriegs entschied sich Rathenau für den Weg in die Politik. Er wurde Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). im Mai 1921 war er zunächst Wiederaufbauminister unter Reichskanzler Joseph Wirth. Von diesem Posten trat er bereits im Oktober 1921 zurück. Am 31. Januar 1922 wurde er zum Außenminister ernannt. Er bemühte sich um Erleichterungen für Deutschland in der Reparationsfrage, konnte aber bis auf einen Vertrag mit der Sowjetunion, in dem auf gegenseitige Forderungen verzichtet wurde, keine Fortschritte erzielen.
Als Rathenau sich am Morgen des 24. Juni 1922 vor seinem Haus in Grunewald in sein Cabrio setzte und sein Fahrer die Koenigsallee entlangfuhr, befand sich ein offener Mercedes-Tourenwagen hinter ihnen auf der Straße. Dieser überholte Rathenaus Auto kurz vor der Kreuzung an der Erdener-/Wallotstraße, da Rathenaus Fahrer in der Kurve abbremste. In dem Mercedes saß der Student Ernst Techow am Steuer, der Maschinenbauingenieur Hermann Fischer und der Student Erwin Kern saßen auf den Rücksitzen. Während Fischer eine Handgranate in das Cabrio von Rathenau warf, schoss Kern mit einer Maschinenpistole auf den Minister. Walther Rathenau starb nur kurze Zeit nach dem Anschlag. Ein Gedenkstein an seinem Sterbeort steht in der Koenigsallee.
Die Attentäter gehörten der rechten Szene an, sie waren Mitglieder der paramilitärischen Organisation Consul und des Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbundes. Der Außenminister Rathenau, ein Jude, war ihnen ein Dorn im Auge. Nur einer der Tatbeteiligten wurde gefasst. Hermann Fischer erschoss sich kurz vor der Festnahme, Erwin Kern wurde von einer Polizeikugel tödlich getroffen. Ernst Techow wurde zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt.
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