Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau Oktober 2022
Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) steht für Selbstbestimmung, Freiheit und Verantwortung, Barmherzigkeit und Solidarität, Vernunft und Toleranz. Mit der festen Überzeugung, dass humanere Lebensbedingungen in dieser Welt möglich sind, und als Träger vieler sozialer Projekte tritt der Dachverband humanistischer Weltanschauungsgemeinschaften leidenschaftlich und parteiübergreifend für die Rechte konfessionsfreier Menschen ein. Zu seinen Mitgliedsorganisationen zählen aktuell elf Landesverbände, die in 13 Bundesländern aktiv sind, sowie der Bundesverband der Jungen Humanist*innen.
Nicht ohne Stolz blickt der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg nun auf das pünktlich zum „Welthumanistentag“ am 21. Juni 2022 neueröffnete „Haus des HUMANISMUS“ in der Potsdamer Straße 157 in Schöneberg und auf ein zweites Haus, das Ende August in Berlin-Mitte in der Leipziger Straße 31-33 an den Start ging. Beide Haus-Projekte ergänzen sich in ihrer Arbeit, den gerade in unserer Zeit so wichtigen Humanistischen Gedanken Menschen aller Altersgruppen über Event-, Beratungs-, Seminar- und Kulturangebote sowie über Freizeitaktivitäten erfolgreich näherzubringen. Ein lang ersehnter Wunsch ist mit der Eröffnung der Häuser des HUMANISMUS für den HVD endlich wahr geworden: Hiermit schafft er neue Orte für humanistisches Denken und Gemeinschaft und will Themen und Fragen rund um das menschliche Leben im Hier und Jetzt eine neue Heimstatt gegeben.
will auch Projektleiterin Luise Schirmer, die seit 2019 mit ihrem Team am Aufbau des Schöneberger „Haus des HUMANISMUS“ arbeitet: Die Suche nach einer geeigneten Immobilie, die auch Platz für Büroräume bietet, war nicht einfach. Umso erfreulicher, dass die Vermieterin des Hauses in der Potsdamer Straße 157 sich entgegenkommend und zugänglich für das Projekt des Verbandes zeigte. Dennoch legte die Pandemie bei Umbau und Projekt-Realisierung einige Stolpersteine in den Weg, die inzwischen aber überwunden sind. „Wir freuen uns, dass dieses Haus mit seiner wechselvollen Geschichte inhaltlich so gut zu unserem Profil passt“, erklärt Luise Schirmer.
Viel Interessantes kann das blaue Haus erzählen, das mit Empfangsbereich, Seminarraum, Teeküche, Café und Sanitären Anlagen auf 200 behindertengerecht genutzten Quadratmetern zukünftig ein „Haus für Freund_innen des Humanismus“ sein und Partnern und Unterstützenden dieses Grundgedankens als Begegnungszentrum und Veranstaltungsort offenstehen will.
Dort, wo einst die Hausbesetzer-Szene es selbst vor dem Verfall und seine Geschichte zu bewahren suchte, wo Kontraste den Kiez prägen, wo das Kumpelnest, der „Sozialpalast“, Clubs und das Arbeitsgericht in direkter Nachbarschaft zu finden sind, wo unweit die Neue Nationalgalerie und der Potsdamer Platz beliebtes Touristenziel sind, ist nun der Humanismus eingezogen und könnte passender nicht angesiedelt sein: Versteht er sich doch auch als ein nie abgeschlossener Prozess, der Diskurs, Auseinandersetzung und Kritik sucht. Wo in Insider-Bars nächtelange Diskussionen über das bessere Leben und eine heilere Welt geführt wurden, werden diese nun in hoffnungsvollem Austausch über unser humanistisches Verständnis in Bezug auf Wissenschaft, Mensch, Natur und gesellschaftsrelevante Themen weitergeführt werden.
Gleich nebenan wird die Erinnerung an die alte Apotheke wachgehalten, deren Apotheker-Ehepaar die Nazis auf dem Gewissen haben. Ein paar Häuser weiter in der „Potse 157/159“ blühte die „Off-Kultur“, in der in den 80ern die „Toten Hosen“ ebenso die Hosen anhatten wie „Element of Crime“. Ein Ort für freies subkulturelles Leben war nicht nur dieses Haus. Im hinteren Raum feministisches „Furienkino“, sonntags „Kommerzkino“. Zwischen 2001 und 2016 galt hier „Ex‘n’Pop“ als beliebter Szene-Treff. Bis 2019 belebte schließlich die Bar „Barton Fink“ die Räume. Zukünftig stehen hier im blauen Haus unter der Projektleitung des Landesverband Berlin-Brandenburg kulturelle Angebote wie Kurse, Workshops und Seminare auf dem Programm. Geblieben ist: Neben Fragen über das eigene Sein finden auch gesellschaftskritische Diskurse statt.
Die Antworten darauf finden Interessierte im Schöneberger „Haus des HUMANISMUS“ mit Raum für gemeinsames Erleben, kulturelle Veranstaltungen, rituelle Praxis und Feste. Begegnung und Austausch schaffen dabei eine Gemeinschaft und fördern das Engagement für eine tolerante, demokratische und an Menschenrechten orientierte Kultur in sozialer Verantwortung. Lebensfeiern und Feste, Kulturangebote, Preisverleihungen, Ehrungen, Workshops, Vorträge, Ausstellungen, Filmabende, Lesekreise, Freizeitaktivitäten stehen auf dem Programm. Auch Nicht-Mitglieder des Verbandes, die dessen Philosophie vertreten, können Räumlichkeiten im blauen Haus für themenbezogene Events etc. anmieten. Zum weltanschaulichen Team des Hauses zählen rund 30 Personen, die sich auf das Büro, auf das Haus des HUMANISMUS in Schöneberg und auf das in Berlin-Mitte verteilen. Große ehrenamtliche Beteiligung und der Einsatz von Humanistischen Lebenskunde-Schülern machen viele Projekte des kontinuierlich wachsenden HVD erst umsetzbar. Dabei stehen meist die Themen Humanismus, Philosophie und Weltanschauung im Mittelpunkt. Während Kultur und Seminare in Schöneberg ihren Schwerpunkt haben, ist das neueröffnete Haus in Mitte eher ein Beratungsort, an dem humanistische lebenspraktische Beratungen und Begleitungen, Trauerbegleitung, Kurs- und Gruppenangebote, Workshops, Vorträge sowie generationenübergreifende Angebote auf dem Programm stehen. Unter dem Motto „Es ist mein Leben“ bietet der Humanistische Verband in Berlin-Mitte seit 31. August 2022 Begleitung bei den wichtigen Übergängen des Lebens und der persönlichen Vorsorge an. Die Lebensbegleiter des Verbandes finden mit den Besuchern die jeweils passende Absicherung des eigenen Lebensweges. Die Unterstützung reicht von der Erstellung wichtiger Dokumente wie einer Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht bis hin zur Begleitung im Trauerfall und der Nachlassvorsorge. Besucheradresse: Haus des HUMANISMUS Leipziger Straße 31-33, 10117 Berlin
E-Mail: lebensbegleitung@hvd-bb.de
Tel: 030 20 64 67 550
Im Schöneberger „Haus des HUMANISMUS“ Potsdamer Str. 157, 10783 Berlin, veranstaltet der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg gemeinsam mit dem Humanistischen Bundesverband und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin am Freitag, den 7. Oktober, 18-21 Uhr einen Abend unter dem Titel „Mehr soziale Gerechtigkeit im Strafrecht: Wie weiter mit der Ersatzfreiheitsstrafe?“: Jedes Jahr werden in Deutschland geschätzt 50.000 Menschen inhaftiert, obwohl gegen sie eigentlich nur eine Geldstrafe verhängt wurde. Die Bundesregierung möchte hier aktiv werden. In der Diskussionsveranstaltung wird der aktuelle Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums vorgestellt und mit den Besuchern politisch diskutiert. Eingangs findet ein Impulsvortrag durch Dr. Nicole Bögelein der Universität Köln statt. Die Moderation der geplanten Podiumsdiskussion mit den rechtspolitischen Sprechern übernimmt der Jurist, Journalist und Autor Dr. Ronen Steinke.
Anmeldung im Haus des HUMANISMUS Potsdamer Str. 157 in 10783 Berlin, Tel. 030 20 64 67 540, E-Mail haus@hvd-bb.de
Gegründet wurde der HVD im Jahr 1993, als sich sieben Organisationen aus Ost- und Westdeutschland zum Humanistischen Verband Deutschlands zusammenschlossen. Ein Jahr später beschlossen sie ein humanistisches Bekenntnis und ein Programm des praktischen Humanismus und nahmen sich vor, ihre jeweiligen Erfahrungen und Traditionen einzubringen, die teilweise über 150 Jahre in die Frühzeiten freireligiöser, freigeistiger und freidenkerischer Bewegungen zurückreichen.
Die eigentlichen Wurzeln des Humanismus gehen zurück auf die Antike. Sie gründen auf Philosophen und Dichtern des alten Griechenlands und des antiken Roms, jedoch auch auf dem Konfuzianismus Chinas und der Carvaka-Bewegung im klassischen Indien. Zu neuer Blüte in Europa fand der Humanismus mit der Renaissance.
Im 19. Jahrhundert nahm die Popularität naturwissenschaftlicher Erkenntnisse durch freidenkerische Wissenschaftler zu und ließ öffentliche Kritik an der christlichen Glaubenslehre laut werden. Als Folge bildeten sich sogenannte Freireligiöse Gemeinden – darunter viele Demokraten – die ein rationalistisches Christentum und irdisches Glück für alle Menschen anstrebten und ihre humanistischen Ideale zu verwirklichen suchten.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs in Deutschland eine regional und inhaltlich heterogene humanistische Bewegung heran, die, aus freireligiösen und freidenkerischen Verbänden bestehend, sich gegen das wilhelminische System formierte. Erstmals 1907 entstand eine Art Dachorganisation, das „Weimarer Kartell“, welches sich für Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Trennung von Kirche und Staat, aber auch für Frauenrechte, Homosexualität und eine neue Sexualmoral einsetzte. Gleichzeitig formierte sich eine sozialistisch ausgerichtete Freidenkerbewegung. Gemeinsam mit Sozialdemokraten und Lehrerverbänden forderte sie von kirchlichem Einfluss freie Schulen. Hochburg dieses Gedankens war die Arbeiterbewegung mit Eltern, die an sogenannten weltlichen Schulen anstelle von Religionsunterricht das Fach Lebenskunde gelehrt sehen wollten.
In der Weimarer Republik gewann der Sparverein für Freidenker zur Finanzierung der – für viele Arbeiter unerschwinglichen – Feuerbestattung an zentraler Bedeutung.
Vereinigt mit den proletarischen Freidenkern wurde er 1930 zum Deutschen Freidenkerbund (DFV), DER bedeutenden, aber auch von Seiten der Kirchen und des rechten politischen Bereichs stark angefeindeten Weltanschauungsorganisation der Arbeiterbewegung, die dennoch stetig weiterwuchs. Ihre Mitglieder erhielten von den Freidenkern soziale und kulturelle Dienstleistungen.
Mit der NS-Bewegung wuchsen auch die Angriffe auf die Freidenkerbewegung. Nach Erstürmung der Geschäftsstelle des Deutschen Freidenkerbundes 1933 durch SA-Horden wurde der Verband aufgelöst und sein Vermögen beschlagnahmt. Zerschlagung weltlicher Schulen, Vernichtung freidenkerischer Schriften folgten mit der Bücherverbrennung nach. 1936 wurde der Deutsche Freidenkerverband zur hochverräterischen Organisation erklärt – trotz erheblichen Widerstandes freidenkender Menschen. – Doch gab es auch Anhänger dieser freireligiösen Bewegung, die sich zur Rassenlehre der Nazis bekannten.
Nach dem Krieg legten ehemalige Mitglieder des Deutschen Freidenkerverbandes am 15. August 1947 in der Bundesrepublik Deutschland den Grundstein einer neuen Organisation, die 1951 ins Vereinsregister eingetragen wurde. Die einst enge Verbindung zu den liberalen Kräften und Arbeiterparteien zerbrach jedoch und konnte nicht – wie ehemals – die Massen begeistern. Auch in der DDR blieb die humanistische Bewegung erfolglos, machte sich das System doch humanistische Rituale wie die Jugendweihe für eigene Zwecke zunutze.
An Kraft und Bedeutung gewann die humanistische Bewegung in Deutschland erst wieder nach der Wiedervereinigung, mit dem Zusammenschluss von Verbänden und Organisationen aus Ost und West und unter dem Dach des HVD, unter dem bis heute Philosophie und Humanismus sowie die Förderung und Verbreitung einer humanistischen Weltanschauung ihre Mitglieder und Gleichgesinnte vereinen. Mit seinen kulturellen, lebenspraktischen und philosophischen Angeboten in den „Häusern des HUMANISMUS“ will der Verband Fragen für ein selbstverantwortliches Leben stellen, ohne Antworten darauf offen zu lassen. – Hin zu gesunden Grundwerten und Humanistischem Grundverständnis.
Weitere Informationen unter www.humanismus.de und www.humanistisch.de/haus-des-humanismus
Jacqueline Lorenz
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