Erschienen in Dahlem & Grunewald Journal April/Mai 2019
Gudrun Beckmann empfängt im Wilmersdorfer Vereinshaus herzlich Kneipp-Freunde und solche, die es werden wollen.
Als lebendiges Beispiel dafür, was das ganzheitliche Gesundheitskonzept Sebastian Kneipps zu bewirken vermag, stuft man die ehemalige Gesundheitslehrerin als flotte Mittsechzigerin ein, auch wenn ihr Ausweis etwas anderes verrät.
Seit 38 Jahren hat sie das Amt der Vereinsvorsitzenden inne, wofür sie vor einem Jahr anlässlich des 125-jährigen Vereinsjubiläums vom Präsidenten des Landessportbundes Berlin e. V. Klaus Böger, die Ehrennadel in Gold überreicht bekam. Mit dem Kneipp-Verein Berlin e. V. setzt sie sich ehrenamtlich ganz im Sinne des gesundheitsbewussten Pfarrer Kneipp (1821-1897) für Prävention und Gesundheitsförderung ein. Eine Aufgabe, die in unserer hektischen und ungesunden Zeit wichtiger denn je ist. Ein breites Kursangebot für Jung und Alt von der Gesundheitsvorsorge bis zum verordneten Reha-Sport unterstützt die Ziele des Kneipp-Vereins, der viele gute Rezepte für ein langes Leben in Aktivität und Gesundheit bereithält, dabei aber auch Spaß und Freude in der Gemeinschaft nicht zu kurz kommen lässt.
weiß Gudrun Beckmann, die auch Landesvorsitzende des Landesverbandes Berlin-Brandenburg ist und einen Sitz im Beirat des Kneipp-Bundes als deren einstige Vorsitzende hat. Weitaus mehr als ein umfangreiches Kursangebot für Vereinsmitglieder und –nutzer haben sie und der älteste Berliner Kneipp-Verein im Laufe der Jahre auf die Beine gestellt:
Paddeln in eigenen Paddelbooten, die am Griebnitzsee in der Söhnel Werft lagen, bot der Berliner Verein an und als einer der Ersten im Olympiastadion therapeutisches Reiten für Menschen mit Behinderung auf vereinseigenen Pferden. „Manchmal kommen noch heute ehemalige Reiter auf mich zu und umarmen mich, die diese besonderen Stunden auf dem Pferderücken nie vergessen haben. Das sind Momente, die mir viel geben“, erzählt Gudrun Beckmann, die im Jahr 2016 bei den BTB-Awards den Vera Ciszak-Preis für ihre ehrenamtlichen Verdienste „als Impulsgeberin und kreativer Kopf des Vereins“ erhielt.
Stolz kann der Verein auch darauf sein, 2006 die erste Trägerschaft für eine Kneipp-Kita in Berlin übernommen zu haben, der eine Schließung kurz bevorstand. Die Mitarbeiterinnen wurden vom Verein zu Gesundheitserzieherinnen weitergebildet. „Sogar im Verband hielt man diese Idee für sehr gewagt“, erinnert sich die Vereinsvorsitzende, die damals viel Überzeugungsarbeit zu leisten hatte. Mit anfänglich 90 Kindern startete schließlich die vom Kneipp-Bund e. V. zertifizierte anerkannte Kindertageseinrichtung in Berlin-Spandau. Sie wurde so erfolgreich und gefragt, dass der Verein das Kita-Dachgeschoss ausbauen musste und inzwischen zusätzliche Räume für eine Erweiterung sucht.
An den ganzheitlichen Gesundheitsgedanken werden hier Kinder ab zwei Jahren herangeführt. Mit eigener Tonnensauna im Freien, Kräutergarten, Eltern-Kind-Wanderungen und dem regen Vereinsleben lernen die Jüngsten bei Zeiten eine gesunde Lebensform kennen, die sich nicht erst im Alter auszahlen dürfte. Bereits jetzt wird der Erfolg sichtbar, indem die abgehärteten Kneipp-Kitakinder nachweisbar 30 Prozent weniger Erkältungserkrankungen als die kleinen Kita-Besucher herkömmlicher Einrichtungen bekommen.
Die Zahl der Kneipp-zertifizierten Kitas wächst dank des allgemein gesteigerten Gesundheitsbewusstseins, die akribischen Kontrollen von Seiten des Kneipp-Verbundes sichern Qualitätsstandards. Rund 45 zertifizierte Kneipp-Kitas gibt es derzeit in Berlin-Brandenburg.
Doch auch auf die Seniorengesundheit und –zufriedenheit sind die Vereinsziele ausgerichtet: Den kneipp´schen Präventionsgedanken bringt der Verein inzwischen in Aufklärungsgesprächen auch in die verschiedenen Berliner Bezirksämter und bis ins Finanzamt. In Vorträgen zu Arthrose und Diabetes spricht er Betroffene an, und vermittelt und lehrt außerdem sein Fachwissen, beispielsweise an Altenpflegeschulen. „Ein wichtiges Ziel von uns ist, zu erreichen, dass mehr Senioreneinrichtungen das Kneipp-Konzept umsetzen und den Seniorinnen und Senioren dadurch zu besserer Lebensqualität im Alter und längerer Selbstständigkeit im Alltag verhelfen“, betont Gudrun Beckmann. Denn laut Studien ist der Bedarf an Kreislauf- und Schlafmitteln aus der Schulmedizin deutlich geringer in Senioreneinrichtungen, die nach Kneipp auf Kräuter und Öle, Beruhigungstee und auf mehr Zuwendung setzen. An seiner Seite weiß der Verein dabei Prof. Dr. Andreas Michalsen vom Immanuel-Krankenhaus und Dr. Miriam Ortiz von der Charité, die vom Beirat aus medizinisches Know-how einfließen lassen.
Senioren-Einrichtungen in Berlin, die nach den Kneipp´schen Säulen vereinsbegleitet arbeiten und dieses Wissen lehren, sind das Kardinal-Bengsch-Haus in Charlottenburg und die Villa Albrecht in Steglitz.
Mit fachlicher Beratung leistet der Verein derzeit auch dem Britzer Garten Unterstützung, wo nach Eröffnung der öffentlichen, durch die Degewo gesponserten Wassertret-Anlage in diesem Sommer nun auch eine behindertengerechte, mit dem Rollstuhl zu unterfahrende Armbad-Anlage eröffnet werden soll.
Um all diese Vereinsaufgaben erfolgreich erfüllen zu können, ist Gudrun Beckmann als ehrenamtliche „Kneipp-Botschafterin“ viel unterwegs: Zu Vorträgen, die grenzüberschreitend das ganzheitliche Wissen Kneipps vorstellen, zu Seminaren, beratend in Ämtern und Seniorenvertretungen und vor Ort im Berliner Kneipp-Haus, wo sich im ersten Stock die Vereinsvorsitzende mit ihrem Team um das Vereins-Alltagsgeschäft und während der Sprechzeiten um die Beratung von Besuchern und Anrufern kümmert. Währenddessen finden im Erdgeschoss unter qualifizierten Trainern Kneipp-Kurse vom Reha-Rückensport über Gymnastik, Hatha Yoga, Sitzgymnastik und Pilates bis Tai Chi und Qigong mit Kneipp statt, die bei gutem Wetter die geräumige Rasenfläche und das Wassertret-Becken im Garten mit einbeziehen.
Externe Sportangebote im Wasser von der Wassergymnastik bis zum Seniorenschwimmen finden in Schwimmeinrichtungen in Wilmersdorf, Marzahn, Lichtenberg oder Prenzlauer Berg statt. Volleyball nach Kneipp wird in Schöneberg gespielt.
Einen wichtigen Platz nimmt im gemeinnützigen Kneipp-Verein Berlin seit 50 Jahren das Wanderangebot ein, zu dem neuerdings auch „Wandern und Klönen“ gehört: für Menschen, die leichtere Wanderungen von vier bis fünf Kilometer Länge in langsamem Tempo bevorzugen – mit genügend Möglichkeit zum Unterhalten.
Pfarrer Sebastian Kneipp (1821-1897) setzte sich mit seinem auf fünf Säulen beruhenden und in vielen Schriften dokumentierten Gesundheitskonzept für Arm und Reich gleichermaßen ein.
Wasser als Therapeutikum, eine gesunde naturverbundene Ernährung, Freude bereitende Bewegung, vorbeugend gesundheitsfördernder Einsatz von Heilkräutern sowie ein geregeltes der menschlichen Natur entsprechendes Leben legte der Medizin-affine Kneipp seiner Naturheilmethode zugrunde. Damit gelang es ihm, sich von seiner Tuberkulose selbst zu heilen.
Unter seiner Empfehlung „ratet und helfet einander“ taten sich seine Anhänger in seinem Sinne zusammen.
Am 6. Oktober 1892 wurde der Kneipp-Verein Berlin e. V. als zweitältester Deutschlands gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern gehörte auch Friedrich Meßmer, der nach Sebastian Kneipps Tod im Jahr 1897 den Kneipp-Bund in Bad Wörishofen ins Leben rief, der bis 1921 von Berlin aus gelenkt wurde und als dessen stärkste Persönlichkeit Meßmer galt.
Der Zweite Weltkrieg verordnete dem Kneipp-Verein Berlin eine Pause, nach der er durch den späteren Präsidenten des Kneipp-Bundes Engelbert Memminger im Jahr 1954 wieder gegründet wurde.
Gudrun Beckmann wurde 1980 Vereinsvorsitzende, die zuvor beim Kneipp-Bund für den Nord-Bereich angestellt gewesen war. Durch Vermittlung des damaligen Ehrenvorsitzenden des Kneipp-Vereins Berlin Herrn Nadler und durch seine Frau war sie nach Berlin gekommen, wo in der Holsteinischen Straße das Vereinsbüro lag. Gudrun Beckmann arbeitete ebenfalls in diesem Haus in ihrem Institut für alternative Yoga und Physiotherapie und baute zeitgleich ehrenamtlich Kneipp-Kurse für den Verein auf.
Das Grundstück des heutigen Vereinshauses in der Aßmannshauser Straße 23a hatte der „Bußgeldberechtigte Verein“ im Jahr 1979 nicht zuletzt durch die empfangenen Bußgelder erwerben können.
Im vergangenen Jahr wurde das 125-jährige Jubiläum des rund 500 Mitglieder starken Kneipp-Vereins im Rathaus Schöneberg in festlichem Rahmen begangen, wobei auch die Leistung des ehemaligen Senators für Gesundheit und Soziales Ulf Fink hervorgehoben und geehrt wurde: Er hatte die Grundlage für die akademische Verankerung der Naturheilkunde gelegt und 1989 den ersten Lehrstuhl für klinische Naturheilkunde an der Freien Universität Berlin durchgesetzt. Als Präsident des Kneipp-Bundes e. V. (1997-2009) trug er mit seinem Engagement dazu bei, dass an der Charité und im Immanuel Krankenhaus am Wannsee Europas größtes Zentrum für Naturheilkunde entstehen konnte. Als Senator ermöglichte und unterstützte Fink finanziell 1983 außerdem die Errichtung eines Kneipp-Lehrbades im ehemaligen Albrecht-Achilles-Krankenhaus.
Jacqueline Lorenz
Kneipp-Verein Berlin e. V.
Kneipp-Haus in der Aßmannshauser Straße 23a, 14167 Berlin
Öffnungszeiten: Mo. + Do. 14 – 18 Uhr
Tel. 030 / 82 24 317
(Mo. – Do. 10 – 13 und 14 – 18 Uhr)E-Mail: info@kneipp-verein-berlin.de
Kursprogramm, Mitgliedschaftsantrag und weitere Informationen unter www.kneipp-verein-berlin.de
© Gazette Verbrauchermagazin GmbH 2022