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Treffpunkt Spiegelsalon

Miteinander statt nebeneinander

Miteinander statt nebeneinander. Foto: Zimmerling
Miteinander statt nebeneinander. Foto: Zimmerling
Erschienen in Gazette Charlottenburg August 2016
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Inmitten geschichtsträchtiger Wohnhäuser mit verwunschen anmutenden Höfen liegt zwischen Lietzensee und Charlottenburger Amtsgericht ein besonderer Treffpunkt, gleichermaßen beliebt als öffentlicher Raum bei Nachbarn, Freunden und Neuentdeckern. Die finden im Spiegelsalon über die unterschiedlichsten Veranstaltungen nicht selten zueinander. Der Salon öffnet für seine Besucher weit die Tür, hinter der seine Betreiberin, Petra Zimmerling, alle herzlich willkommen heißt. Gitarrenmusik, Tanzkurs, Lesung, aber auch Gesprächsgruppe, Workshop und Künstler finden in der Friedbergstraße 29 einen Ort friedlicher Kommunikation, zu dem jeder gerne zurückkehrt.

Salongeschichten vom Tango bis zum Stolperstein

Wohltuend ist die Stille der Sackgasse Friedbergstraße, hat man gerade die brodelnde Kantstraße hinter sich gelassen. Eine Wohn-Oase für Künstler, Musiker, Familien und Singles; gesäumt von Apfel- und Rotdorn-Bäumen, zwischen die sich keck ein üppiger Rosenbusch geschmuggelt hat.

Auf der kleinen Bank vor dem Spiegelsalon, durch dessen offene Tür leise Tangomusik auf den Gehsteig klingt, erwartet Petra Zimmerling die Gäste dieses Abends, findet für jeden freundliche Worte. Dienstag und Donnerstag ist seit drei Jahren hier Tangozeit für Einsteiger und Erfahrene mit Asnat & Frank Ricardo, die zwischen den Spiegelwänden professionell in die Geheimnisse des Tango Argentino einweihen.

Letztes Tageslicht fällt durch die großen Scheiben in den Raum, und der ein oder andere Passant bleibt kurz stehen, angesichts der temperamentvollen Schrittfolgen auf der anderen Seite der Scheibe. Hinter dem Salon, versteckt vor neugierigen Blicken, schließt sich ein weiterer Raum als stiller Rückzugsort an, das Berliner Zimmer, das für Veranstaltungen, Gesprächsgruppen und Ausstellungen genutzt wird und in seiner Gemütlichkeit einen guten Kontrast zum sich elegant der Öffentlichkeit präsentierenden Spiegelsalon bietet.

Mit Begeisterung berichtet Grafik-Designerin Petra Zimmerling von dem bunten Angebot an Treffen und Events ihrer seit 2007 inzwischen über den Kiez hinaus bekannten Institution: Von den Gitarrenkonzerten, die jeden dritten Samstag im Monat stattfinden, „weil der Salon eine besonders gute Akustik dafür bietet.“ Und vom geschichtenerzählenden Zauberer Jan Dober, der mit seinen Tricks die dreijährige Lilith ebenso zu fesseln vermag wie die Erwachsenen. Im zweitägigen Kinderworkshop lernen hier junge Zauberlehrlinge mit eigener kleiner Zauberkiste bei ihm die Grundlagen seines geheimnisvollen Handwerks. Das Kriminalgericht tagte bereits im Spiegelsalon, und immer wieder bringt eine neue spannende Vernissage Nachbarn und Gäste zusammen. Außerdem sind Nachbarschaftstreffen mit Sing- und Spielabenden an der Tagesordnung, und die Räume können für Veranstaltungen privat gemietet werden.

Doch auch ernst kann es in den Räumen zugehen. So tagt im Berliner Zimmer regelmäßig die ADHS-Selbsthilfegruppe, und die Initiative „Stolpersteine für die Friedbergstraße“ hat hier ebenfalls ihren Treffpunkt. Seit 2012 setzt sie sich mit dem Schicksal jüdischer Menschen, die einst in der Straße lebten, auseinander und ließ bereits 21 Stolpersteine verlegen.

Von der Bäckerei zum Spiegelsalon

Viel zu erzählen hat auch das Haus, dem der Spiegelsalon nun besonderen Charme verleiht. 1904 erbaut, ging es heiß her in den stuckverzierten Räumen mit den großen Spiegeln, denn eine Bäckerei ließ jahrzehntelang den Ofen nicht ausgehen und versorgte die Gegend mit frischen Backwaren. „Als Überbleibsel aus diesen Tagen steht im Keller noch ein Feuerofen“, verrät Petra Zimmerling. Sie wohnt seit Anfang der 80er in dem Haus, erinnert sich noch gut, als in den Räumen der ehemaligen Bäckerei dann der Schülerladen „Der rote Boller“ untergebracht war. – Die Spiegel waren mit brauner Farbe zugespachtelt, hinter Aufklebern fast verschwunden. Schon länger hatte sie überlegt, sich mit einem Grafik-Design-Atelier selbstständig zu machen. Als der Schülerladen 1989 auszog, übernahm die Designerin die Räume, richtete hier ihr Atelier ein. „Es passte einfach alle zusammen“, erzählt sie. Nach und nach entdeckte sie hinter der Farbe alte Strukturen und gab sie den Räumen mühevoll zurück. Anlässlich eines Straßenfestes schließlich entstand der Name „Spiegelsalon“, unter dem sie ihn seit 2007 nun der Öffentlichkeit als friedlichen Kommunikationsort zugänglich gemacht hat; Petra Zimmerling mittendrin, als „Herz des Salons“ unverzichtbar geworden. Sie fühlt sich nicht nur in diesen Räumen und in dem Haus, sondern auch in ihrer Straße schon viele Jahre wohl, „weil man hier füreinander da ist, sich grüßt und jeden kennt“, wie sie betont. – Auch wenn einiges nicht mehr da ist, was den alten Charme die Friedbergstraße ausmachte: Das Ehepaar Weihrauch, in dessen Laden man vom Nagel bis zum Hammer alles bekam; Herr Weihrauch war Tischler und kannte fast alle Treppengeländer der alten Häuser in- und auswendig. Oder der „Koofmich“ für Brot und Milch, der Gemüse- und Kohlenhändler und der kleine Tante-Emma-Laden, in dem es intensiv nach Schokolade und Kaffee roch. Das alles ist inzwischen Geschichte, so wie die Vergangenheit des Spiegelsalons. Dass der für spätere Generationen noch mehr spannende Salongeschichte(n) schreibt, dafür setzt sich mit viel Liebe und ganzer Kraft weiterhin Petra Zimmerling mit einem bunten Veranstaltungsangebot zum gemeinsamen Sehen, Hören und Genießen ein.

Programm und weitere Informationen unter www.charlottenburger-kiez.de

Jacqueline Lorenz

Titelbild

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