Erschienen in Gazette Wilmersdorf Dezember 2022
Derzeit rund 600 Lernenden bietet die staatliche Modeschule Berlin – Oberstufenzentrum (OSZ) für Bekleidung & Mode in der Kochstraße 9 in Kreuzberg zukunftsorientierte Berufsvorbereitung, -ausbildung und Studienqualifizierung. Dabei wird dem Nachhaltigkeitsgedanken und der Projekt-Kooperation mit adäquaten Partnern in besonderem Maße Rechnung getragen. Seit Längerem besteht eine ergebnisreiche Zusammenarbeit mit dem Museum Europäischer Kulturen (MEK). Das Museum verhilft mit seinen spannenden Ausstellungen nach dem Abwandern fast aller Museen nach Berlins Mitte dem nicht zuletzt wegen seiner hochkarätigen Kultureinrichtungen als „Deutsches Oxford“ bezeichneten Ortsteil Dahlem auch kulturell weiter zu berechtigter Aufmerksamkeit. Aber auch die Auszubildenden des OSZ profitieren von dieser zukunftsorientierten Kooperation, erlaubt sie doch Einblicke in handwerkliche Traditionen und Kulturen, die sich im Unterricht innovativ mit modernen Techniken verbinden lassen. „Wir schaffen konkrete Handlungsräume in Kunst und Kultur“, beschreibt sich selbst die Modeschule Berlin, die Kleidung als ein wichtiges Kulturgut versteht, das es weiterzuentwickeln gilt. Mit Stolz blickt sie auf viele begabte Absolventinnen und Absolventen, die aus ganz verschiedenen Kulturen „der Mode wegen“ an das breitgefächerte, mit modernsten Techniken und digital sehr gut ausgestattete Kreuzberger OSZ kommen.
Das Ausbildungs- und Schulspektrum der mit jahrzehntelanger Erfahrung gewachsenen Modeschule Berlin ist breit gefächert.
Die gebürtige Bremerin Carmen Lilienthal ist im siebenten Jahr Schulleiterin an der Modeschule Berlin. Sie erklärt: „Die Ausbildung findet im Bereich Mode und Bekleidung in verschiedenen Bildungsgängen statt: So sind wir Berufsschule für duale Ausbildungen wie Maßschneider, Modist oder auch Schuhmacher und Sattler. Außerdem aber bieten wir Vollzeit-Ausbildungen an, die ausschließlich am OSZ stattfinden. – So auch die zweijährige Ausbildung zur Textil- und Modenäherin, Änderungsschneiderin, und eben auch zur Assistentin für Mode und Design.“ Eine weiterführende spezielle Ausbildung, beispielsweise zum Gewandmeister, kann an der UdK Berlin erfolgen. Ausbildungsbetriebe wie Maßschneidereien sind indessen nicht nur in Berlin selten geworden. Obwohl der Bedarf nach deren solide gearbeiteten Kleidungsstücken von Käuferseite her durchaus vorhanden ist, und – mit dem wachsenden Bewusstsein für eine nachhaltige Mode – zukünftig auch noch steigen dürfte.
Carmen Lilienthal, die über ihr Organisationstalent und ihre künstlerische Inspiration zum Modebereich fand, besucht an diesem bunten Oktobernachmittag das MEK und dessen Kustodin Dr. Jane Redlin in Dahlem gemeinsam mit OSZ-Lehrkräften und -Auszubildenden, die im ersten Jahr ihrer anspruchsvollen Ausbildung zum staatlich geprüften Assistenten Mode & Design stehen. Sie alle sind unverzichtbare Fäden für einen erfolgreichen Ausbildungsprozess, aus dem am Ende der umfassend Ausgebildete wie ein feiner Stoff hervorgeht.
Ziel der jungen Leute an diesem Herbsttag ist nach absolvierter Klausur im OSZ die im MEK von den beiden Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Sofia Botvinnik und Dr. Judith Schühle initiierte Ausstellung zu einer tausende Jahre alten Kulturtechnik: „ALL HANDS ON: Flechten“ läuft im MEK noch bis zum Mai 2024. Die Ausstellung steht für lebendige Museumsarbeit und lädt junge und alte Besucher – nicht nur mit Workshops – zum Mitmachen rund ums Flechten ein. In den vier Ausstellungsbereichen Mensch, Schutz, Material und Muster können die Besucher zahlreiche geflochtene Alltagsgegenstände aus ganz Europa aus der umfangreichen Sammlung des Museums Europäischer Kulturen entdecken. Eine begehbare Raumskulptur des Künstlers Olaf Holzapfel und weitere internationale, zeitgenössische Kunst- und Designpositionen, die sich mit verschiedenen Flechttechniken auseinandersetzen, bieten ergänzende Perspektiven.
Verknüpft werden die einzelnen Themen mit zahlreichen interaktiven Stationen, die es den Museumsbesucher erlauben, das immaterielle Kulturerbe, das in geflochtenen Gegenständen steckt, haptisch zu erfahren.
Den angehenden Mode- und Design-Assistenten vom OSZ gefällt´s: Flechten mit Dreh erfordert Fingerfertigkeit und wird mit einem farbenfrohen Flechtband für viele Gelegenheiten belohnt. Historisch gewachsenes Wissen und moderne Innovationen sind in der Ausstellung im wahrsten Sinne des Wortes verflochten – wie auch in der Assistenten-Ausbildung. Dass nicht jede oder jeder der Modeschul-Absolventen, von denen immerhin 70 Prozent weiblich sind, gleich eine zweite Chanel oder ein zweiter Lagerfeld werden kann, wissen die meisten; der Weg ist lang und schwierig. Ihn von Anfang an unbelastet zu gehen, dabei helfen eine intakte Klassengemeinschaft, empathische Lehrkräfte – und ein fester Wille, wie Auszubildender Joseph überzeugt erklärt: „Wenn man für etwas wirklich brennt, kann man es auch schaffen.“ In Sachen Mode und Design brennen die angehenden Modemacher hier alle lichterloh, nicht weniger begeisterungsfähig zeigen sich ihre Lehrkräfte: Urda Kuhn unterrichtet am OSZ u. a. Modezeichnen und Kollektionsgestaltung, Kathrin Bräuning Schnitt und Gestaltung. Beide begleiten die jungen Leute nicht nur im Museum aufgeschlossen und fachkundig.
In der Kooperation mit Museen wie dem MEK – einst vermittelt vom für seine Modeobjekte aus Recyclingmaterialien berühmten Berliner Modekünstler Stephan Hann – finden Lernende wie Lehrende über zeitlich begrenzte Projekte und Ausstellungen kulturelles Hintergrundwissen und Anregungen, die das eigentliche Ausbildungsprogramm der einzigen staatlichen Berliner Modeschule optimal ergänzen. In erster Reihe immer mit dabei, Gedanken zu Nachhaltigkeit und Umweltschutz, Integration, Pflege alter Kulturen und Handwerks-Traditionen, die in die verschiedenen Projekte und jährliche Abschluss-Modenschau der Modeschule einfließen. Ganz vorne mit dabei stehen muss da in Krisenzeiten der Gedanke ans Upcycling: Wie verwerte ich abgetragene Kleidungsstücke weiter? Wie sieht Fair Trade in der Modeindustrie aus? Welche umweltschonenden Produktionstechniken und Fasern wähle ich? „Gedanken und ein Bewusstsein, das schon seit den 70er-Jahren und früher in den Köpfen der Modemacher ist“, weiß Urda Kuhn. Doch erst seit Kurzem überlegt die Forschung intensiver, welche geeigneten und umweltverträglichen Fasern eingesetzt werden können und macht sich auf die Suche nach weiteren. Carmen Lilienthal ergänzt: „Das richtige Bewusstsein in den Köpfen wird zwar immer stärker, doch die Fast-Fashion-Industrie findet immer schnellere Wege, neue Mode zu produzieren.“ – Kurzlebig und mit fatalen Folgen für Mensch und Umwelt dank einer kaum nachvollziehbaren Wertschöpfungskette; gibt es doch immer noch etliche Modelabel, die auf Wegwerfgesellschaft setzen. Die Auszubildenden Marie Josephine (19) und Lotta (20) haben das längst erkannt. Marie Josephine betont: „Wir sitzen hier am Tisch und wissen: unser Verhalten muss sich ändern. Doch eigentlich müssten Sanktionen, die dies fördern, von oben kommen.“ – Und damit nachhaltigen Modelabels den Weg ebnen.
Diesem Thema widmet sich das MEK, konstruktiver Partner des OSZ, schon seit Längerem. So auch in seiner Fast Fashion Ausstellung von 2020 zu den Schattenseiten der Mode. „In der angegliederten „Slow Fashion“ wurden dem Besucher alternative Formate vor Augen geführt, ging es um die Entwicklung alternativer Materialien, Arbeitsbedingungen, Labels und Transportwege“, erklärt die Wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Redlin. Unter Mitarbeit der Auszubildenden der Modeschule Berlin wurden dazu aus alten MEK-Ausstellungsbannern Beutel, Taschen und Rucksäcke gefertigt. Kriterien wie Realisierbarkeit, Verkaufbarkeit, Prototyp und Wirtschaftlichkeit wurden im Modeschulunterricht von den zukünftigen Assistenten für Mode & Design behandelt, werden diese jungen Leute doch einmal als Bindeglied zwischen Design, Schnitttechnik, Produktion und Marketing von trendorientierter Bekleidung tätig werden. Die Nachfrage nach den Beuteln im MEK war so groß, dass überlegt wird, daraus ein weiteres Projekt zu entwickeln.
Und auch für die Ausstellung „Hochzeitsträume“ im MEK im Jahr 2019 entwarfen und fertigten Schüler des OSZ Bekleidung und Mode Berlin in der Klasse von Stephan Hann das beeindruckende Hochzeitskleid „Kleid der Amazone“, in das Verpackungsmaterial eingearbeitet wurde.
Zur Schul-Kooperation erklärt Dr. Jane Redlin vom MEK: „Die Modeschule Berlin ist eine spannende Institution, sowohl in ihrer Vielfalt an Ausbildungsmöglichkeiten als auch ihrer kulturellen Zusammensetzung und Vielfalt der Strukturen.“ So sei Bekleidung ein wichtiges und aussagekräftiges immaterielles Kulturgut, das gut mit den Zielen des MEK vereinbar ist. Mit Modeschulleiterin Carmen Lilienthal ist sie sich einig, dass die Kombination Handwerk, Technologie und Kultur die solide Grundlage für den erfolgreichen Kontakt Modeschule/Museum geliefert hat.
Um den Schülern der Modeschule auch weiterhin ein zeitgemäßer Ausbilder sein zu können, gibt es viel zu tun. Praktikanten sind regelmäßig in der Modeschule zu Gast, um verschiedene Berufe des Modebereichs kennenzulernen.
Carmen Lilienthal erklärt: „Wichtig ist uns die ständige digitale Weiterentwicklung ebenso wie die zeitgemäße Aktualisierung unserer Ausbildungsbereiche durch engagierte Lehrerteams. Auch die Aufrechterhaltung der wenigen externen Ausbildungsbetriebe, die uns noch zur Verfügung stehen, liegt uns am Herzen. – Alles notwendige Voraussetzungen, um auch in Zukunft unsere Schülerinnen und Schüler erfolgreich ansprechen und fördern zu können.“ Und sie wünscht sich, dass zukünftig von der Berufsberatung die einzelnen Berufsbilder deutlicher und differenzierter an Schüler herangetragen werden. – Damit sie dann nach der 10. Klasse eine bessere Berufs-Orientierung zur passenden Berufswahl besitzen.
Interessierte können sich an der Modeschule Berlin/OSZ bewerben. Voraussetzungen für die einzelnen Ausbildungsgänge sowie Näheres zur Bewerbung und über die Modeschule Berlin unter www.modeschule-berlin.de
Informationen zum Museum Europäischer Kulturen und seinen Ausstellungen unter www.smb.museum/mek
Jacqueline Lorenz
© Gazette Verbrauchermagazin GmbH 2023