Erschienen in Lankwitz Journal Dezember/Januar 2022
Jeden Dienstagabend kommen rund 20 Freunde der Blechblas-Instrumente in Lankwitz mit Posaune, Trompete, Tuba und Horn um 20 Uhr zur Probe in der Paul-Schneider-Gemeinde zusammen: Darunter alteingesessene Musizierende und Gemeindemitglieder der Evangelischen Lankwitzer Gemeinden wie Evelyn Winke (81), die 1977 die Gründung des Chores begleitete und bis heute mit ihrem Horn als „Mutter des Bläserchores“ gilt. Außerdem dabei sind jüngere Mitglieder, die mit ihrem Blechblasinstrument den richtigen Ton nicht weniger sicher treffen. Oftmals sind sie durch ihre Eltern zum Bläserchor gekommen, so auch Martina an der Tuba, Tochter von Evelyn. „Wir haben eine gute Altersdurchmischung“, betont Heinz, Lankwitzer und einst Diakon am Johannesstift, der mit seiner Bass-Posaune seit Beginn der 80er-Jahre dabei ist. Zusätzlich bläst er mit bei „Lankwitz Horns“ und ist mit seinen 86 Jahren ein gutes Beispiel dafür, dass Musik wohl doch jung hält.
Über die Jahre immer wieder neue Aufgaben in den Lankwitzer Kirchengemeinden und darüber hinaus übernimmt der gemischte klangstarke Blechbläserchor Lankwitz mit seinen zwischen 20 und 86 Jahre alten weiblichen und männlichen Mitwirkenden: Von der Musikbegleitung unterschiedlichster Festgottesdienste und Kirchenfeiertage über Auftritte zu Sommer- und Gartenfesten, Veranstaltungen u. a. auf der Domäne Dahlem bis hin zu musikalischen Besuchen von Wohnungsbaugenossenschaften, Klinikum Steglitz oder Tanzsportveranstaltungen. Dabei verliert der Bläserchor Lankwitz jedoch nie seinen wichtigen Dienst im Pfarrsprengel Lankwitz sowie die Präsentation der Evangelischen Kirche in der Öffentlichkeit aus den Augen. Einmal im Jahr erarbeitet der Bläserchor ein Programm, das dann bei einem Konzert in der Dorfkirche Lankwitz, oft aber auch im Berliner Umland geboten wird. Das breite Repertoire des Bläserchores erstreckt sich über alte und neue Kirchenlieder, Werke alter Meister und Volkslieder bis hin zu Musical-Titeln, Filmmusik, Ragtimes und Swing. Als Fundament für die Gottesdienste dient das Choralbuch.
Den Takt für Trompeten, Flügelhörner, Tenorhörner, Posaunen, Bartiton und Tuba gibt mit fundiertem musikalischem Können Chorleiter Martin Haesner an. Der Musikpädagoge lehrt in Friedenau an der musik- und bläserbetonten Stechlinsee-Grundschule und ist nicht zuletzt durch seine Alt-Lankwitzer Hobby-Schäferei eine schillernde Persönlichkeit im Bezirk. „Über interessierte Bläserinnen und Bläser aller Altersgruppen, die Spaß an der Musik und am gemeinsamen Musizieren haben und musikalische Vorkenntnisse besitzen, freuen wir uns. Gerne können sie mit ihrem Instrument zu uns stoßen“, erklärt der Chorleiter, der dann noch verrät, dass zukünftig in den Bläserchor die Einbeziehung eines Schlagzeugs geplant ist. Erste gemeinsame Proben gab es bereits. Weitere Informationen für Interessierte bei Evelyn Winke unter Tel. 030 – 774 13 46.
Ins Leben rief den Bläserchor ursprünglich der damalige Pfarrer der Dorfkirchengemeinde Lankwitz, Dr. Dr. theol. h.c. Wilhelm Hüffmeier, der bis heute in freundschaftlichem Kontakt mit dem Chor steht.
Evelyn Winke erinnert sich: „1963 zogen mein Mann und ich nach Lankwitz. Als blutige Anfängerin fand ich zum Bläserchor. Auf einer Leihtrompete der Gemeinde lernte ich erste Grundlagen, nach und nach Noten.“ – „Learning by doing“ würde man heute sagen. Leichte Stücke nach selbstgeschriebenen Noten wurden einstudiert, das musikalische Niveau des Bläserchores stieg mit den Jahren. Auf Reisefreizeiten kam man sich näher, wuchs als Gemeinschaft zusammen.
War es über Jahrzehnte selbstverständlich, dass der Bläserchor Lankwitz an seiner „Geburtsstätte“, der Dorfkirche Lankwitz, probte, hat sich das zum Leidwesen der Bläserchor-Mitglieder inzwischen geändert: Tonangebend als Hausherrin der Dorfkirchengemeinde sei nun die Evangelische Pfarrerin Dorothea Preisler, die wenig für Bläser übrig und das Proben an gewohntem Ort untersagt habe, hört man da von den Musizierenden des Bläserchores. Dazu von der Gazette befragt, will sich die Pfarrerin nicht äußern. So hat nun Pfarrer Stefan Aegerter in seiner Paul-Schneider-Gemeinde dem Chor „Proben-Asyl“ eingeräumt. Im freundlich-hellen Kirchenraum fühlen die Musizierenden sich und ihre Musik willkommen.
Gast beim Proben darf ich an einem ganz besonderen Dienstag sein: An diesem Abend zum letzten Mal mit seiner Posaune dabei ist Peter aus dem englischen Sheffield. Der Austauschschüler wird nach einem halben Jahr in Berlin wieder nach England zurückkehren. Vermittelt wurde der Kontakt zum Bläserchor durch Martin Haesler, der bereits Peters Bruder als Austauschschüler im Schuldienst kennengelernt hatte. Peters Familie ist sehr musikverbunden, der 13-Jährige spielt in seiner Heimat in zwei Posaunenchören. Wie es ihm hier im Chor gefallen hat? „Es war eine interessante Erfahrung. Ich bin dankbar, dass ich in dieser Austauschzeit weiter musizieren konnte, da mir mein Posaunen-Unterricht doch sehr gefehlt hat“, ist seine ehrliche Antwort. Und so darf er sich nach den an diesem Abend geprobten Musical-Stücken aus „Hello Dolly“, „My Fair Lady“ und „Die Schöne und das Biest“ schließlich seinen Wunsch-Titel aussuchen, den zum Abschluss seines „Gastspiels“ dann alle gemeinsam spielen. Peter hat sich für die lyrische Komposition „Yellow Mountains“ von Jacob de Haan entschieden; wehmütig und tröstend zugleich, passend zum bevorstehenden Abschied des Austauschschülers. Nach dem letzten Posaunenton gilt ihm an diesem Abend der Applaus aller Chormitglieder.
Später dann beim gemütlichen Beisammensein – ein liebgewonnenes Ritual nach jeder Probe des Bläserchor Lankwitz – ist man sich einig: „Hier dazuzugehören, macht einfach immer wieder viel Spaß. Grund ist die musikalische Vielfalt, der Abwechslungsreichtum und die Gemeinschaft. – Und man lernt mit seinem Blasinstrument stets dazu.“
Der Bläserchor Lankwitz geht aus den Posaunenchören längst vergangener Tage hervor, mit deutlichem Bezug zur kirchlichen Arbeit. Als tragende Säule der Kirchenmusik zählen die heutigen Bläserchöre zum immateriellen Kulturerbe. In den Posaunenchören sind fast alle Arten von Blechblasinstrumenten, in der Mehrzahl jedoch Trompeten und Posaunen, kaum aber Holzbläser anzutreffen.
Schon auf Bildquellen des frühen 16. Jahrhunderts sind Posaunenensembles dokumentiert. Bereits Bach ließ in einigen seiner Kantaten die Chorstimmen durch Posaunen verdoppeln.
Besondere Bedeutung in Deutschland aber erhielt das Bläserwesen in der evangelischen Kirche, wo man die gemischten Blechbläserensembles als Posaunenchor bezeichnete. Als Pendant zu diesen christlichen Posaunenchören können die englischen Brass Bands der Heilsarmee verstanden werden. Auch heute noch gibt es in den verschiedenen Regionen sogenannte Landes- und Bundes-Posaunenwarte, deren Aufgabe die fachlich-musikalische, spirituelle und organisatorische Betreuung der ihnen anvertrauten Bläser ist. Arbeitgeber sind die Kirchen, Verbände oder Werke, in denen die Bläserarbeit jeweils organisiert ist.
Jacqueline Lorenz
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