Erschienen in Wannsee Journal Februar/März 2023
Seit dem 1. Oktober 2022 präsentiert die Liebermann-Villa am Wannsee die Ergebnisse des ersten Provenienzforschungsprojekts des Museums in der Ausstellung „Wenn Bilder sprechen. Provenienzforschung zur Sammlung der Liebermann-Villa“.
Seit 2020 wurden rund 150 Werke der Sammlung der Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin e. V., dem Trägerverein des Hauses, systematisch auf NS-verfolgungsbedingten Entzug überprüft. Im Vordergrund der neuen Sonderschau stehen die Provenienzen einer exemplarischen Auswahl aus der Sammlung. Die Ausstellung vermittelt damit auch Einblicke in das Umfeld des deutsch-jüdischen Malers Max Liebermann (1847–1935) und seiner Frau Martha Liebermann (1857–1943). Ebenso thematisiert sind die Herausforderungen, die das Forschungsfeld heute bereithält.
Dr. Lucy Wasensteiner, Direktorin der Liebermann-Villa: „Welche Wege haben die Werke Max Liebermanns seit ihrer Entstehung bis zu ihrem Eingang in unsere Sammlung genommen? Dass wir dieser längst überfälligen Frage systematisch nachgehen konnten, verdanken wir der großzügigen Förderung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste. Sie ermöglicht unserem im Wesentlichen mit privaten Mitteln getragenem Museum, unrechtmäßige Besitzwechsel während der NS-Zeit offenzulegen und eine gerechte und faire Lösung mit den Erbinnen von Max und Martha Liebermann zu finden.“
Im Laufe der Recherchen stellte sich heraus, dass ein Objekt in der Sammlung der Max-Liebermann-Gesellschaft eindeutig als NS-Raubkunst zu bezeichnen ist. Es handelt sich um eine 1876 von Liebermann gemalte Kopie eines „St. Adriansschützen“ nach einem Gemälde des niederländischen Malers Frans Hals (1582–1666). Die am unteren rechten Bildrand erhaltene Liebermann-Signatur auf dem Bild erwies sich als Abdruck des sogenannten Nachlassstempels, mit dem Martha Liebermann kurz nach dem Tod ihres Ehemanns im Februar 1935 alle noch unsignierten Werke des Künstlers in ihrem Besitz bezeichnete. Die Signatur ist Indiz dafür, dass das Werk aus der Kunstsammlung von Max und Martha Liebermann stammt.
Im Zuge der Verfolgung durch das NS-Regime verlor Martha Liebermann fast ihr gesamtes Vermögen. Im Herbst 1935 zog sie in eine Wohnung in der Graf-Spee-Straße 23 (heute Hiroshimastraße); 1938 durfte sie das Familienhaus am Pariser Platz nicht mehr betreten; 1940 wurde sie gezwungen, die Villa am Wannsee zu verkaufen. Im März 1943 entzog sie sich durch Suizid der drohenden Deportation in das Konzentrationslager Theresienstadt. Kurz darauf beschlagnahmten und „verwerteten“ die Gestapo und der Oberfinanzpräsident von Berlin-Brandenburg ihren Besitz. Ob der „St. Adriansschütze“ erst dann beschlagnahmt wurde, oder ob Martha Liebermann ihn schon zuvor wegen ihrer Notlage verkaufen musste, konnte nicht abschließend geklärt werden. In beiden Fällen ist das Gemälde aber eindeutig als NS-Raubkunst einzustufen.
Das Werk wurde 2003 im Nachverkauf einer Berliner Auktion für die damals junge und schnell wachsende Sammlung der 1995 gegründeten Max-Liebermann-Gesellschaft erworben, also noch vor der offiziellen Eröffnung des Museums im Jahr 2006. In der Folge der aktuellen Forschungen im Rahmen des durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekts konnte nun eine Einigung mit den hier anspruchsberechtigten Urenkelinnen von Martha und Max Liebermann getroffen werden. Diese verzichteten auf eine Entschädigung oder Rückgabe des Gemäldes – unter der Bedingung, dass bei dessen Ausstellung immer auf das Schicksal der Familie Liebermann, auf die Provenienz des Bildes und auf die ausgesprochen entgegenkommende Einigung hingewiesen wird.
„Wenn Bilder sprechen, Provenienzforschung zur Sammlung der Liebermann-Villa“ wird bis zum 13. März 2023 gezeigt. Informationen und Begleitprogramm unter www.liebermann-villa.de/wenn-bilder-sprechen . Die Liebermann-Villa ist von Oktober bis März täglich außer dienstags von11 bis 17 Uhr sowie an Feiertagen geöffnet.
Weitere Informationen: www.liebermann-villa.de
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