Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau Januar 2023
Das rot-grüne Zirkuszelt an der Hohenstaufenstraße blinzelt aufmunternd zwischen faden Stadthäusern hervor. Hier, seit 1990 auf dem Gelände an der Hohenstaufenstraße, finden kleine und nicht mehr ganz so kleine Menschen eine Oase inmitten der Großstadt, die Zirkusträume wahr werden lässt. Dabei stehen Spaß und Bewegung im Vordergrund und erwarten spannende Gemeinschaftserlebnisse in einer großen Zirkusfamilie die Kinder und Jugendlichen. Professionell angeleitet und begleitet werden sie von erfahrenen Pädagogen und Artisten. 1988 gegründet, ist der Juxirkus inzwischen zum festen Bestandteil des Schöneberger Kiezes geworden, wobei er keine Zirkusschule, sondern ein Ort für alle sein will, die Spaß und Interesse am Zirkusmachen mitbringen – egal, welche Begabungen, Vorkenntnisse oder Talente sie besitzen. Vielmehr erhalten sie hier die Möglichkeit, sich selbst inmitten anderer neu zu entdecken und weiterzuentwickeln.
Während im „Minizirkus“ für Fünf- bis Siebenjährige noch der spielerische Aspekt bei den verschiedenen Zirkusdisziplinen den Ton angibt, werden im „Midizirkus“ Acht- und Neunjährige behutsam an den „großen“ Zirkus herangeführt. Im Alter ab zehn Jahren geht es dann konzentrierter an das Erlernen von Einradfahren, Jonglage, Hochseilakrobatik und weiteren Disziplinen. – Aber auch wer nur zuschauen, sich hier treffen und Spaß haben möchte, ist in diesem Kiezzirkus herzlich willkommen. Sein eigenes Bild vom „Juxirkus in Aktion“ kann sich Alt und Jung außerdem zweimal im Jahr machen, wenn die jungen Artisten in einem bunten Programm ihr Können vor Publikum in der Vorstellung präsentieren. Und auch Kinder mit geistigen Beeinträchtigungen verliert der Juxirkus nicht aus den Augen: Mit den „Eiderdownen“ werden sie zu echten Zirkuskindern. An den Wochenenden ist es möglich, nach Vereinbarung im Zirkuszelt Kindergeburtstag mal ganz anders zu feiern. Und bei unterschiedlichsten Veranstaltungen kann ein individuell darauf zugeschnittenes Zirkusprogramm des Teams für Stimmung sorgen.
Für Schulklassen ab Klassenstufe 4 kann im Juxirkus eine Projektwoche gebucht werden, in der die Schüler die unterschiedlichen Zirkusdisziplinen kennenlernen und ausprobieren. Am Ende dieser Woche steht dann eine Vorstellung, in der die Kinder sich Freunden und Verwandten präsentieren. Vom Juxirkus angebotene Zirkus-AGs in den Grundschulen sind sehr gefragt, tragen sie doch dazu bei, miteinander und voneinander zu lernen, die persönlichen Kompetenzen kognitiv und motorisch zu stärken sowie Vertrauen und eigenständig verantwortliches Arbeiten zu entwickeln. Daher ist der Juxirkus auch Teil der offenen Kinder- und Jugendarbeit im Bezirk Tempelhof-Schöneberg.
Träger des Juxirkus sind das Pestalozzi-Fröbel-Haus und die Kiezoase Schöneberg e. V., gefördert wird die Zirkusarbeit durch das Jugendamt des Bezirks. Zahlreiche Unterstützer und Spender sowie der Verein zur Förderung des Juxirkus e. V. setzen sich für dieses besondere Zirkusprojekt ein.
Das Format Juxirkus hat seinen Ursprung im Pestalozzi-Fröbel-Haus (PFH), das bis heute immer ein offenes Ohr für die Anliegen ihres Kiezzirkus hat. Thomas Withöft und Klaus Döring – beide aus dem damaligen Nachbarschaftsheim „Lücke im Kiez“ des Hauses – gelten als Ideengeber und „Gründungseltern“, die über ABM-Maßnahmen und mit ABM-Kräften mit ihrem Zirkusformat Spannung und Abenteuer in den Großstadt-Kiez brachten. Der erste „fliegende Bau“ ließ nicht lange auf sich warten. Mit seinem Einmaster-Zelt am ersten Standort im Kleistpark konnte der Juxirkus bereits im Dezember 1988 mit einer feierlichen Premiere eröffnet werden. – Mit dabei der legendäre Clown Popow aus dem Moskauer Staatszirkus. Zuerst noch über ABM-Maßnahmen, später dann mit Honorarkräften betrieben, war der Juxirkus bis zum jetzigen Dauerstandort in der Hohenstaufenstraße über die Jahre an verschiedenen Orten in Schöneberg aufgebaut, darunter auch im Kleistpark. In die Hohenstaufenstraße zog er im Oktober 1990.
Neue engagierte Trainer kamen hinzu, von denen viele dem Juxirkus bis heute treu geblieben sind. Sie ebneten weiteren Zirkusdisziplinen den Weg in die Manege. Der Juxirkus konnte immer mehr Befürworter verzeichnen und nahm kontinuierlich in seinem Bekanntheitsgrad zu. Als in einer Julinacht 1991 das Juxirkuszelt abbrannte, war die Hilfsbereitschaft groß, sodass bereits Ende November der Wiederaufbau abgeschlossen war und nach intensivem Training an unterschiedlichen Orten in Schöneberg die Winterveranstaltung im frisch errichteten Zelt Premiere feiern konnte.
Bald war der Juxirkus – nicht zuletzt auch durch in- und ausländische Gastauftritte, Zirkusreisen und sozialen Bildungsprojekte – bereits weit über Berlins Grenzen hinaus bekannt und anerkannt. Es folgten immer neue spannende Formate, mit denen sich der Juxirkus weiter etablierte. Schulprojektwochen und neue Sparten wie der „Minizirkus“ gingen an den Start. Die Teilnahme des Juxirkus an namhaften Veranstaltungen wie „Karneval der Kulturen“ in Berlin oder Zirkusseminaren, Zirkus-Kooperationen, Außenauftritte und jährliche Trainingsreisen ins In- und Ausland hielten den Kiezzirkus im positiven Gespräch. 1996 gründet sich der Verein zur Förderung des Juxirkus. Als er ein neues Zirkusdach brauchte, konnte dies aus einer von der ARD initiierten Spendenveranstaltung 1998 finanziert werden. 2001 brachten angekündigte Etatkürzungen die Existenz des Juxirkus in Gefahr, doch 6.000 gesammelte Unterschriften und der Einsatz von Eltern und Familien konnten die Maßnahme verhindern. Über die Jahre entwickelte der Kiezzirkus, der seit 2009 von Mona Griesel geleitet wird, immer neue spannende Projekte mit sozialem und jugendförderndem Hintergrund. Inzwischen wird ein Elterntraining angeboten, ein Ehemaligentreff ist entstanden, und bei der technischen Ausstattung des Zeltes wird in Zusammenarbeit mit der TU-Berlin von der Lichtanlage bis zu Dämmung, Lüftung und Heizung auf Nachhaltigkeit und Energieeffizienz gesetzt – auch wenn alle Maßnahmen dafür nicht auf einmal umsetzbar sind. Seit 2013 besitzt das Pestalozzi-Fröbel-Haus die Hauptträgerschaft über den Juxirkus.
Seit den Anfängen des Juxirkus dabei ist Krzysztof, wegen der schwierigen Schreibweise seines Namens bei allen besser als „Christoph“ bekannt. Der Sportlehrer und Trainer aus Polen hat hier vor 34 Jahren seine Lebensaufgabe gefunden und zählt zu den Gründern. Anfangs unterrichtet er alle Disziplinen außer Jonglieren und Tanzen, damals noch ohne Zelt auf dem Winterfeldtplatz. Inzwischen trainieren die Kids längst in beheiztem Zelt an der Hohenstaufenstraße zwischen Martin-Luther- und Eisenacher Straße. Langsam kommt der beliebte Trainer, der immer den richtigen Ton für den Nachwuchs findet, ins Rentenalter, doch Ruhestand kann man sich bei ihm kaum vorstellen.
Montags trainiert er nachmittags die Einradakrobaten; zuerst die Anfänger, dann die Fortgeschrittenen. Vormittags füllen meist Projektgruppen die Manege. „Jungen sind in den Zirkuskursen eher selten“, erklärt der Trainer. Mädchen seien für das Thema Zirkus heute wohl eher zu begeistern. So sind etwa 85 Prozent der Teilnehmer in den Kursen Mädchen, die überwiegend aus dem Bezirk und aus Nachbarbezirken kommen. Über Mundpropaganda, Geschwister oder Internet haben sie meist zum Angebot des Juxirkus gefunden. Die Einradfahrerinnen an diesem Tag sind zwischen 10 und 15 Jahren. Christoph erklärt: „Bei uns kann jeder mitmachen, egal, ob er Vorkenntnisse hat oder nicht. Unser Prinzip ist: Weniger Leistung, mehr Spaß.“ Spaß bringen auch die regelmäßigen Zirkusreisen, die in den vergangenen Jahren u. a. nach Bayern, Polen, in die Schweiz und ins nähere Ausland führten.
Die acht Mädchen, die an diesem Nachmittag zum Training kommen, rollen erst einmal unaufgefordert in Teamarbeit Matten zusammen, holen Einräder herbei, gemeinsam schafft man eben schneller. In Paaren zur besseren Balance radeln sie wenig später unter viel Lachen und Scherzen ihre Aufwärmrunden. Es wird gekichert, sich aber auch konzentriert. Alle sind mit Feuereifer dabei. Die zwölfjährige Jule, von der Kugelakrobatik her im Gleichgewicht stabil, radelt elegante Kurven. „Weiterfahren, größere Bögen, Körperspannung!“ korrigiert Christoph, der die Augen überall zu haben scheint.
Der Ton ist locker, aber bestimmt. „Hepp, zu Viererpäckchen“, seine Anweisung, deren Umsetzung nach anfänglichem Kuddelmuddel bei besserer Konzentration der Mädchen erstaunlich gut gelingt. Am Ende der Trainingsstunde gibts ein kleines Spiel. Christoph muss aufpassen, dass er nicht umgefahren wird, man merkt ihm an, dass auch er viel Spaß an dem Training hat. Schließlich sind alle außer Atem, aber glücklich. Am Eingang warten indessen schon die Fortgeschrittenen auf ihren Einsatz auf Rädern.
Wer den Juxirkus so richtig „in Aktion“ erleben möchte, kann dies bei den Winteraufführungen zum Thema „Eine galaktische Reise“. Jeweils am 14., 20., und 21. Januar sowie am 11. und 17. Februar 2023 um 17.30 Uhr sowie am 18. Februar 2023 um 17 Uhr nehmen die Jugendlichen des Juxirkus im Juxi-Zelt an der Hohenstaufenstraße das Publikum mit auf ihre abenteuerliche Zirkusreise bis zur Unendlichkeit und weiter.
Eintritt Erw. 5,- / erm. 3,- Euro. Karten unter Tel. 030 215 58 21 oder E-Mail juxirkus@pfh-berlin.de.
Weitere Informationen unter www.juxirkus.de
Jacqueline Lorenz
© Gazette Verbrauchermagazin GmbH 2023