Erschienen in Lankwitz Journal Februar/März 2023
Seit Dezember steht am Jungfernstieg Ecke Bruno-Walterstraße in Lichterfelde eine regionalhistorische Informationstele, die an die Geschichte des Sanatoriums Lichterfelde am Jungfernstieg 14 und an das Schicksal der Familie Goldstein erinnert.
Die Stele wurde nach einem Entwurf von Karin Rosenberg gefertigt.
„Am Jungfernstieg 14 standen bis 1962 Reste des 1889 von den jüdischen Ärzten Dr. Max Goldstein und Dr. Albert Lilienfeld gegründeten Sanatoriums für Nervenkranke, innere Kranke, Suchtkranke und Erholungsbedürftige (später Sanatorium Lichterfelde genannt). Behandelt wurde auf der Basis neuer wissenschaftlicher Therapien, was den Ruf des Sanatoriums als moderne medizinische Einrichtung begründete.
Wilhelm von Carstenn ließ 1870/71 nach Plänen des Architekten Johannes Otzen am Jungfernstieg ein repräsentatives Gesellschaftshaus erbauen. Gedacht war es für gesellige Zusammenkünfte und Veranstaltungen nahe des damals einzigen Bahnhofs in Lichterfelde. 1889 ging das Haus in das Eigentum von Dr. Max Goldstein und Dr. Albert Lilienfeld über, die es zum Sanatorium umbauen ließen.
Im Privat-Sanatorium fanden sich Patientinnen und Patienten des gehobenen, nicht ausschließlich jüdischen Bürgertums aus dem gesamten Deutschen Reich ein. Bis 1939 blieb die Leitung der Einrichtung in der Hand der Familie Goldstein, seit 1935 unter Führung der Tochter von Max Goldstein, Charlotte Goldstein. Mit zunehmender Verfolgung, die 1938 auch zum Entzug der Approbation für jüdische Ärztinnen und Ärzte führte, entschloss sich Charlotte Goldstein zu emigrieren. Sie sah sich gezwungen, das Sanatorium nebst Inventar und verbliebenem Personal in einem Pachtvertrag der 1939 gegründeten Reichsvereinigung der Juden in Deutschland zu unterstellen. Längst diente das Sanatorium als »Dauerwohnheim« für Bewohnerinnen und Bewohner, die infolge antijüdischer Politik Erwerb und Wohnung verloren hatten.
Nach Ausschluss der jüdischen Bevölkerung aus der staatlichen Fürsorge wurden die Grundstücke Jungfernstieg 14 und 18, mit dem Wohnhaus der Familie Goldstein, zu Zwecken der allein der Reichsvereinigung obliegenden jüdischen Wohlfahrtsfürsorge als Siechenheim genutzt. Die nationalsozialistischen Machthaber strebten in der Heimfürsorge die isolierte Unterbringung jüdischer Hilfsbedürftiger an. Im Siechenheim wurden jüdische Menschen nach Selbstmordversuchen sowie alte, alleinstehende pflegebedürftige Jüdinnen und Juden untergebracht, darunter auch solche, die 1940 nach der sogenannten „Entjudung“ von Teilen des Deutschen Reiches – etwa aus dem Raum Leer oder Schneidemühl – mit Hilfe der Reichsvereinigung in das Heim gebracht wurden.
Das Reichssicherheitshauptamt befahl die Räumung des Heims zum Dezember 1941. Die Bewohnerinnen und Bewohner kamen in anderen Einrichtungen der Reichsvereinigung unter, bis sie deportiert wurden. Auf dem Areal von Nr. 14 wurden nunmehr SS-Mannschaften stationiert. Im Zweiten Weltkrieg zerstörten Fliegerbomben Teile des Gebäudekomplexes.
Die Alliierte Kommandantur ließ das Grundstück Jungfernstieg 14 treuhänderisch verwalten, zuletzt nutzte es das Bezirksamt Steglitz. 1962 wurden die Gebäudeüberreste abgeräumt und das Gelände neu bebaut.
Vor dem im Krieg zerstörten Haus Jungfernstieg 18 erinnern Stolpersteine an Charlotte Goldstein und ihre Söhne Helmut, Max und Joachim.“
Text: Barbara Wittkopf
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