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Die Transformation einer Ikone

Nachnutzung des „Mäusebunker“-Betonbaus noch nicht entschieden

Gespenstisch schön – der Mäusebunker.
Gespenstisch schön – der Mäusebunker.
Erschienen in Lankwitz Journal Februar/März 2023
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Die Fertigstellung des Zentralen Tierlaboratoriums der Freien Universität Berlin – nicht nur in Wissenschaftskreisen als „Mäusebunker“ bekannt – verlief einst nicht hürdenlos und konnte erst nach Baustopp im Jahr 1981 fertiggestellt werden. Nun, über 40 Jahre später, stellt sich das Landesdenkmalamt Berlin (LDA) gemeinsam mit der Charité Universitätsmedizin Berlin und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung der großen Herausforderung, über verschiedene Entwicklungsszenarien des Modellverfahrens „Mäusebunker“ für den Betonkoloss eine sinnvolle Nachnutzung zu finden, die ihn zum lebendigen Zukunftsort im Berliner Südwesten werden lässt. Für diesen – wie Landeskonservator und LDA-Direktor Dr. Christoph Rauhut sagt – „hochspannenden Bau mit viel Potential“ wären in der Zukunft als Nachnutzung Archive, Wissenschaft, Kultur, Kreative, Start-ups, die IT-Branche oder auch Depots durchaus denkbar, wie die ersten fachöffentlichen Veranstaltungen der vier strategischen Werkstattdiskussionen ergeben haben.

Initiator des Mäusebunker-Modellverfahrens ist das Landesdenkmalamt Berlin, das den Betonbau als Ikone einer besonderen Zeit erhalten und ihm eine lebendige Zukunft geben will.

Abreißen oder Erhalten?

Eine Frage, die heute noch nicht hundertprozentig zu beantworten ist, und bei der letztendlich die Politik das letzte Wort haben wird. Ergebnisse aus den vier Werkstattdiskussionen, die Optionen für Umbau und Nutzung des Komplexes genauer benennen, sind erst für Frühjahr 2023 zu erwarten.

Fakt ist schon jetzt, dass der Mäusebunker reichlich Asbest, Schadstoffe und veraltete Technik birgt. Laut Charité würde nur allein der Rückbau mit Schadstoffsanierung geschätzte 50 Millionen Euro kosten. Fakt nach genauerer Untersuchung durch Statiker ist aber auch, dass der ursprünglich aus fünf separaten Bauteilen zusammengefügte Betonbau, der eigentlich noch größer geplant war, in fünf separaten Komplexen betrieben und innerbaulich verändert werden könnte. Vertikal angelegte Schächte für Haustechnik könnten so entkernt, die Unterdrucklüftung durch eine moderne Lüftungsanlage getauscht werden, und auch eine Teilbewirtschaftung wäre denkbar.

Menschen, Mäuse, Monumente

Erbaut wurde der graue Betonkoloss in den 70er-Jahren als eines der wenigen Objekte aus der Architekturrichtung des „Brutalismus“ (franz. „béton brut“ = roher Beton) in der Nähe des Teltowkanals an der Krahmerstraße 6 in Lichterfelde, um nahe der Universität einen Ort in Berlin zur Züchtung von Versuchstieren zu schaffen und sie nicht länger aus Westdeutschland holen zu müssen. Fast 40 Jahre lang wurden in dem 122 Meter langen, mit energiefressender mechanischer Unterdrucklüftung und Kühltürmen ausgestatteten Betonbau hermetisch von Tageslicht und Keimen abgeschottete Versuchstiere gezüchtet und steril gehalten. 60 Prozent der Fläche brauchte allein die Technik. Rund 50 Mitarbeiter arbeiteten hier, bis zu 45.000 Ratten und Mäuse fanden Platz, daneben aber auch Hunde, Katzen, Nager und Großtiere. Dabei wurden die Platzkapazitäten nie ganz ausgereizt, längst galten für die Versuchstierhaltung andere Regularien, galt das Tierlaboratorium als überholt. Hatte die Firma Schering vor Jahren die Übernahme des Baus erwogen, konnte dies nicht verwirklicht werden, weil in diesem Fall nutzungsgebundene Fördergelder von der Freien Universität Berlin hätten zurückgezahlt werden müssen. Mit Fertigstellung des Nachfolge-Tierlaboratoriums in Berlin-Buch im Jahr 2018 wurde das durch den sumpfigen Untergrund bedingt auf 1.500 Bohrpfählen ruhende Gebäude in Lichterfelde, das mit blauen Lüftungsrohren majestätisch in die Landschaft ragt, für die Charité nahezu nutzlos und ist seit zwei Jahren stillgelegt. Jochen Brinkmann, Leiter des GB Bau der Charité Universitätsmedizin Berlin, erklärt die Gründe damit, dass allein eine Leerstandbewirtschaftung mit monatlich 480.000 Euro zu Buche schlagen würde.

Ebenfalls auf dem 28.000 Quadratmeter großen Gelände stand auch der „kleine Mäusebunker“, der schon früher abgerissen worden war. Dem großen Bruder stand gleiches Schicksal bevor. Doch durch die dreijährige Verzögerung des Neubaus in Buch, hatte die sich frisch gegründete Initiative „Rettet den Mäusebunker“ genügend Zeit, die Öffentlichkeit zu mobilisieren und 8.000 Unterschriften zu sammeln, was letztendlich den Abriss erst einmal verhindert hat und dem Betonkoloss wenigstens schon den Status der Denkmalwürdigkeit einbrachte.

Für den Gelände-Eigentümer, die Charité, ist das Areal um den Mäusebunker inzwischen von geringerem Interesse: Sollte hier eigentlich der Campus für Medizin und Forschung mit Neubauten erweitert werden, wird dafür nun der zwischen Klingsorstraße und Hindenburgdamm gelegene Campus ertüchtigt und bei laufendem Betrieb über Jahrzehnte zum Life Science Center ausgebaut; mit neuen Gebäuden und einem neuen Klinikkomplex. Auch Intensivbereich und Notaufnahme werden erweitert, laut Jochen Brinkmann für rund 500 Millionen Euro.

Rundgang im Nebel mit erhellenden Ideen

Im Dezember hatte der Regionalinkubator Berlin SÜDWEST mit seinem 4. RegioTalk zum Rundgang um den Mäusebunker gerufen und über 60 Interessierte waren gekommen an diesem Nebeltag, der den grauen Bau gespenstisch in den Mittelpunkt rückte: Anwohner, BVV-Mitglieder, Architekten, Künstler, ehemalige Mitarbeiter des Tierlaboratoriums, die alle vom anwesenden Landeskonservator Dr. Rauhut und Charité-Bauleiter Brinkmann wissen wollten, wie es mit dem Mäusebunker weitergeht und viel Interessantes und erste Ideen für eine lebendige Zukunft des Baus erfuhren. Hatten einige auf die Begehung des Mäusebunkers gehofft, wurden diese Erwartungen enttäuscht. Aufgrund der Stilllegung sei ein Betreten nicht möglich, wurde erklärt. Im anschließenden Get-together hätte man sich gewünscht, dass dann wenigstens über Bildmaterial etwas mehr zum Innenraum erklärt würde. Und auch die Finanzierungs-Frage bleibt Thema für spätere Informationsveranstaltungen.

Geteilter Meinung zum Thema Abriss oder Nachnutzung waren viele Gäste: Während die einen überhöhte Kosten fürchten und den „unschönen“ Koloss lieber heute als morgen zurückgebaut sähen, begeistert andere sein Potential als erhaltenswerte Kunstikone.

So wie Manuel Schroeder, Mitgründer des Kunstverein Schlachtensee e. V., der mit seinem Projekt „Concrete Delusion“ seit 2013 in seinen medialen Recherchen die Ursprünge des Materials Beton und dessen Verfall, architektonische Hinterlassenschaften aus Beton im urbanen Raum und deren Möglichkeiten künstlerischer Transformationen in urbanen Zentren von Lettland, Belarus und Deutschland erforscht. Nach dem Rundgang um den Mäusebunker erklärte er: „Die erstmalige Begehung des Mäusebunker-Geländes und auch die über lange Jahre geführten Diskurse und gestrigen Vorträge zeigen erneut die Ohnmacht der heutigen Generation mit der Architektur der Macht aus den Zeiten vorausgehender Generationen. „Das Experiment“ als Passion von Architekten, Medizinern, Stadtplanern und Politikern bestimmte die Handlungsspielräume der 60er bis 80er-Jahre, oft frei von Empathie, Verantwortung und Nachhaltigkeit. Das massive Gebäude verharrt als Hinterlassenschaft wie ein „schwarzer Block“, innen wie außen voller unbeantworteter Fragen. Für den Künstler bietet das riesige Bollwerk jedoch ein riesiges Potential an Inspiration zu positiven Transformationen.“

Jacqueline Lorenz

Titelbild

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