Erschienen in Nikolassee & Schlachtensee Journal Februar/März 2023
Längst gilt er als DER Autor, Journalist und Dichter unzähliger geistlicher Kirchenlieder, kann sich darin durchaus mit Martin Luther oder Paul Gerhard messen: Am 11. Dezember 2022 gedachten gebührend des Autors und Schriftstellers Jochen Klepper, seiner Ehefrau Johanna und seiner jüngsten Stieftochter Renate anlässlich ihres 80. Todestages die Evangelischen Kirchengemeinden Nikolassee und Berlin-Mariendorf sowie die dazu u. a. aus England angereisten Verwandten und Anverwandten der Familie. Auch sie fanden berührende Worte des Gedenkens und erinnerten an die von den Nationalsozialisten rücksichtslos zugrunde gerichtete Familie, die solch großes menschliches und kulturelles Potential besaß.
Wegen der „nichtarischen Herkunft“ von Johanna und ihren Töchtern hatten die Nationalsozialisten die Familie zunehmend bedroht. Johanna (Hanni) und Renate (Reni), die nicht mehr wie ihre ältere Schwester außer Landes hatte gelangen können, stand die Deportation bevor. Jochen, seine Frau und die 20-jährige Stieftochter sahen daraus keinen anderen Ausweg als ihren mit Schlaftabletten und Gas herbeigeführten Freitod in der Nacht vom 10. zum 11. Dezember 1942. Tochter Brigitte hatte sich im Alter von 19 Jahren im Jahr 1939 kurz vor Kriegsausbruch gerade noch rechtzeitig über Schweden nach Croydon in England in Sicherheit bringen können.
Unter den Gästen der Gedenkfeier im Jochen-Klepper-Gemeindesaal in Nikolassee fanden sich etliche Nachkommen der Familie, in denen Jochen, Johanna und Renate zeitlos weiterleben. Nach dem Gottesdienst in Nikolassee war es am Vormittag gemeinsam zum einstigen Wohnhaus der Klepper-Familie in die Teutonenstr. 23 gegangen, wo Gedenktafel und drei Stolpersteine an ihr tragisches Schicksal erinnern. Ein Besuch des Gedenksteines am Jochen-Klepper-Weg und des Familiengrabes auf dem Kirchhof der Gemeinde folgten. In wärmender Runde im Gemeindehaus gedachte man später des Schaffens von Jochen Klepper, las aus den Erinnerungen seines Freundes Kurt Ihlenfeld, unter dessen Leitung der junge Journalist ab 1927 beim Evangelischen Presseverband für Schlesien (EPS) in Breslau literarische, biografische und kirchengeschichtliche Beiträge für das kirchliche Wochenblatt verfasst hatte, zitierte aus seinen Büchern und sang gemeinsam Jochen Kleppers Lieder wie „Gott wohnt in einem Lichte“, „Freuet Euch im Herren allewege“ oder „Der du die Zeit in Händen hast“.
Ein besonderer Höhepunkt des Tages aber war die Einweihung zweier Johanna-Klepper-Büsten, welche die in der Gemeinde Nikolassee hochgeschätzte Büste Jochens nun vervollständigen. Überbringer aus England war Johannas Urenkel und Brigittes Enkel Alexander. Neben der Steinbüste der Urgroßmutter überreichte er eine mit dem 3D-Drucker dreidimensional nach ihrem Vorbild gefertigte zweite Büste.
Auf Deutsch fand der gebürtige Engländer, der seine Urgroßmutter nur von Fotos, Büchern, Tagebüchern und Gemälden her kennt, die dazu passenden Worte:
„...Wenn ich heute an die verschiedenen Tätigkeiten denke, von Schreiben und Lehren zu Schauspielern, Brot backen, Malen und Modedesign, ist mir klar, dass in unserer Familie immer Kreativität gediehen ist und von großer Bedeutung war…“
Die Idee, eine Büste in 3D von Johanna zu schaffen, erklärte der Urenkel an die Gemeinde gerichtet so: „Ich fragte mich, wie kann ich einige meiner Kindheitserfahrungen mit Ihnen teilen, als ich umgeben von dieser Kunst, diesem Leben und dieser Lebendigkeit aufgewachsen bin. Ich dachte auch daran, wie wir die Vergangenheit in der Gegenwart verstehen, und wie uns die Kunst dabei hilft, in die Zukunft zu schauen. Ich entschied mich dazu, ein Werk für die Gemeinde zu schaffen, das die Skulptur Jochens ergänzen würde. So möchte ich nun zwei lebhafte Objekte an die Gemeinde Nikolassee überreichen: einen 3D-Druck, der die Vergangenheit widerspiegelt und auf einer Skulptur von Walter Wadephul aus dem Jahr 1931 beruht. Zum anderen eine Skulptur mit dem Titel „In die Zukunft“, die ein Bildnis von Hanni mit weiteren Familienmitgliedern verbindet, und die uns dabei helfen soll, nach vorne zu schauen. Ich hoffe, dass die ganze Gemeinde an diesen beiden lebhaften Objekten teilhaben kann, sodass wir sie vielleicht als Symbole sehen, Symbole dafür, wie wir uns sehen und wie wir von anderen gesehen werden, und wie wir manchmal ein wenig Glück und viel Liebe füreinander brauchen.“
Am 22. März 1903 in Beuthen an der Oder (Schlesien) geboren, studierte Jochen Klepper, Sohn eines Pfarrers, in Erlangen und Breslau Evangelische Theologie, wurde dann aber nicht Pfarrer wegen seines labilen Gesundheitszustandes. Er schrieb stattdessen unter Pseudonym bei verschiedenen Zeitungen feuilletonistische Artikel. 1927 begann er unter der Leitung von Kurt Ihlenfeld als Journalist zu arbeiten und schrieb vorwiegend für „Unsere Kirche“. Vom Jahr 1932 an führte Jochen Klepper Tagebuch, das 1957 gekürzt von seiner Schwester Hildegard unter dem Titel „Im Schatten deiner Flügel“ herausgebracht wurde. Kleppers erster Roman „Der Kahn der fröhlichen Leute“, der nach dem Krieg von der DEFA verfilmt werden sollte, erschien im Jahr 1933 als Heimatdichtung, in welcher der Autor seine Jugendjahre verarbeitet hat.
In Breslau lernte Jochen Klepper im Frühjahr 1929 die Witwe Johanna Stein mit ihren zwei Töchtern kennen, in deren Haus er zur Untermiete wohnte. Sie stammte aus der angesehenen Familie der Modehaus-Besitzer Gerstel. 1931 heiratete er standesamtlich gegen den Willen seiner Familie die 13 Jahre ältere, so vielschichtig interessierte und sehr gebildete Johanna, die ihn in seiner Schriftsteller- und Dichtertätigkeit stets unterstützte. 1932 fand er – Mitglied der sozialdemokratischen Partei – Anstellung beim Hörfunk, musste aber schon bald aus der Partei austreten. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Jochen Klepper wegen seiner früheren SPD-Mitgliedschaft und jüdischen Ehefrau 1933 entlassen. Im Redaktionsbüro des Ullstein Verlag in Berlin-Kreuzberg erhielt er eine kurzzeitige Anstellung, die ihm wegen seiner „jüdischen Belastung“ aber 1935 bereits wieder gekündigt wurde. 1934 war er in der Reichsschrifttumskammer aufgenommen worden. Nach Definition der Nürnberger Rassegesetze galten Johanna und ihre beiden Töchter als Jüdinnen, was die Familie immer mehr unter Druck setzte. Doch Jochen kehrte sich noch mehr Gott zu, suchte seinen Halt, lebte ganz im Namen von Gottes Wort. Seinen Tagebuchaufzeichnungen stellte er Losungen voran. In der zunehmenden Judenfeindlichkeit sah Klepper den Frevel an Gott.
Angeregt von einem seiner Freunde, dem Dichter Reinhold Schneider, schrieb er 1935 für die „Weißen Blätter“. Inspiriert von einem Stadtschloss-Besuch in Potsdam und bekräftigt von dem Redakteur Wilhelm Emanuel Süskind arbeitete er schon seit 1933 an seinem Roman „Der Vater“, in dem er den Vater-Sohn-Konflikt zwischen dem preußischen Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. dem Großen thematisierte. Dabei zeichnete er ein Bild des Königs, der sich „als erster Diener im Staat“ stets auf Gott beruft. – Ganz im Gegensatz zum Führerkult des Nationalsozialismus. 1937 erschien der zweibändige Roman und wurde zum Verkaufsschlager – nicht nur in preußisch gesinnten Kreisen. Dennoch musste Jochen Klepper die Reichsschrifttumskammer verlassen, was Berufsverbot bedeutete. Zwar überlegte Klepper, ins Ausland zu flüchten, konnte sich aber nicht dazu entscheiden. 1938 brachte er trotz Berufsverbots noch den Gedichtband „Kyrie“ heraus.
Seit 1935 wohnten die Kleppers im Berliner Stadtteil Südende im heutigen Oehlertring 7 und gehörten damit zur Kirchengemeinde Berlin-Mariendorf. Am 22. Dezember 1935 war dort die Martin-Luther-Gedächtniskirche eingeweiht worden, an der Max Kurzreiter – Pfarrer „Der Bekennenden Kirche“ – predigte.
Am 18. Dezember 1938 – nur sechs Wochen nach der Pogromnacht – traut der Pfarrer, der sich vehement gegen die proklamierte Einheit von Christentum und Nationalsozialismus wehrt, Johanna und Jochen kirchlich, nachdem er Johanna vorher getauft hat.
1939, nachdem die Familie Klepper gezwungen wird, aus der Wohnung am Oehlertring auszuziehen, wechselt sie im Mai nach Nikolassee in das von ihnen erbaute Haus an der Teutonenstraße 23. Tochter Brigitte reist über Schweden nach England aus.
Im November 1940 wird Jochen Klepper zur Wehrmacht eingezogen und ist bis Oktober 1941 Soldat in Polen und auf dem Balkan, wobei er am Angriff auf die Sowjetunion teilnimmt. Aufgrund seiner „nichtarischen Ehe“ wird er als „wehruntüchtig“ erklärt und fürchtet, dass seine Ehe zwangsgeschieden wird. Die Ausreise von Tochter Renate scheitert, die Deportation ins KZ von Frau und Tochter steht bevor.
In der Nacht zum 11. Dezember 1942 übergibt Jochen Klepper seinem Nachbarn Hans Karbe seine Manuskripte zur sicheren Aufbewahrung. Am nächsten Tag findet man die durch Suizid aus dem Leben geschiedene Familie. Ihre drei Gräber zu Füßen eines schlichten Holzkreuzes auf dem Kirchhof Nikolassee erinnern mahnend an ihr furchtbares Schicksal und an die schrecklichen Zeiten des Nationalsozialismus und der Judenfeindlichkeit.
Jochen Kleppers letzter Tagebucheintrag lautet:
„Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott – Wir gehen heute nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.“
Jacqueline Lorenz.
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