Erschienen in Lankwitz & Lichterfelde Ost Journal Februar/März 2023
Hebammen üben einen der ältesten Frauenberufe aus. Sie betreuen Schwangere und Gebärende, beruhigen frisch gebackene Mütter und Väter und sind aus den Bereichen rund um Schwangerschaft und Geburt nicht wegzudenken. Inzwischen wählen auch Männer diesen verantwortungsvollen Berufszweig. Unter den im Oktober 2022 an der Evangelischen Hochschule Berlin (EHB) neu gestarteten 50 Studierenden der Hebammenwissenschaft befindet sich zwar erst ein männlicher Absolvent, doch die Tendenz ist steigend. Wie groß das Interesse am Hebammenstudium ist, zeigen die 360 Bewerbungen, welche die EHB am Teltower Damm 118-122 auf ihre 50 Studienplätze des Studienganges der Hebammemwissenschaft in diesem Jahr erhalten hat.
Nach der Novellierung des Hebammengesetzes gilt seit dem 1. Januar 2020: Wer Hebamme werden möchte, muss ein Bachelorstudium absolvieren. Bis zum 31. Dezember 2022 gab es für die bisherige Hebammenausbildung nach dem Hebammengesetz (HebG) von 1985 jedoch eine Übergangsfrist. Bis dahin konnten Hebammenschulen noch neue Kurse starten. Bis 2027 müssen alle Schülerinnen und Schüler diese Ausbildung jedoch abgeschlossen haben. Die Hebammenschulabsolventen erhalten wie bisher ihre Berufsurkunde und dürfen als Hebamme in Deutschland arbeiten. Doch man muss wissen, dass in diesem Beruf die Arbeitslast sehr hoch ist und die Arbeitsbedingungen aktuell stark verbesserungsbedürftig sind, – wenn auch am Ende einer Schwangeren-Betreuung dann großes Glück auf kleinen Händen und Füßen für manches entschädigt.
Prof. Dr. rer. medic. Melita Grieshop, Professorin für Hebammenwissenschaft und Hebamme, hat bereits im Jahr 2013 den damaligen ausbildungsintegrierten Modellstudiengang Hebammenkunde an der EHB mit aufgebaut und war federführend an der Antragsstellung und Umsetzung des neuen geburtshilflichen Fertigkeiten-Labors beteiligt. Im Wintersemester 2021/2022 startete dann der erste Jahrgang mit Studierenden im dualen Studiengang Hebammenwissenschaft B. Sc. an der EHB in Zehlendorf. Dieses neue 7-semestrige Studienangebot löste den seit 2013 an der Evangelischen Hochschule Berlin etablierten Modellstudiengang Hebammenkunde B. Sc. ab. Als Studiengangsleiterin und Lernbegleiterin weiß die Diplom-Pflegepädagogin und Hebamme aus eigener jahrelanger Praxiserfahrung, was unbedingtes Ziel dieses dualen Vollzeitstudium sein muss, und vermittelt anschaulich ihr umfangreiches Wissen den Studierenden. Mit diesem Ziel vor Augen müssen Hebammen in der Lage sein, sich während ihrer Berufsjahre in einem kontinuierlichen Bildungsprozess weiterzuentwickeln. Eigenständig Problemlösungen zu finden und Entscheidungen zu fällen, sind darüber hinaus die täglichen Herausforderungen ihres Berufs. Dabei steht bei den Hebammen die Verantwortung für Mutter und Kind ganz vorne, und es ist eine ihrer wichtigen Aufgaben, optimale Umgebungsbedingungen und Rahmenbedingungen mitzugestalten. „Gesundheitsfördernde Geburtshilfe“ ist das Schlüsselwort, an der die Hebamme durch ihre Begleitung und Unterstützung der werdenden Eltern beim komplexen Geburtsgeschehen maßgeblich mitwirkt.
Was ist der richtige Geburtsort? Wer soll dabeisein? Welche Atmosphäre wünschen wir uns? – Fragen der werdenden Eltern, bei deren Beantwortung die außerklinisch und klinisch umfangreich ausgebildete Hebamme wertvolle Hilfestellung leistet.
Problemorientiertes Lernen spielt beim Studiengang an der EHB daher auch eine wichtige Rolle, um nach 3 ½ Jahren umfassend auf Bachelor-Niveau ausgebildete Menschen in den Arbeitsmarkt entlassen zu können.
Seit Mai 2022 bietet das neue, für eine halbe Million und zum Hauptteil vom Land Berlin finanzierte SkillsLab an der EHB als geburtshilfliche Trainingsstation für das Hebammenstudium optimale Ausbildungsmöglichkeiten: Im neuen SkillsLab können Studierenden die Lerninhalte aus den Lernveranstaltungen an der EHB in Übungsszenarien anwenden und trainieren. Die Übungen sollen dazu beitragen, dass die angehenden Hebammen bereits mit ersten Anwendungserfahrungen in die praktischen Studienphasen in der klinischen und außerklinischen Geburtshilfe gehen. Dabei werden sie von den Lehrenden der EHB begleitet und unterstützt. Das SkillsLab befindet sich damit an der Schnittstelle von Theorie und Praxis. Als hochmoderner Lernort besitzt es zwei Geburtsräume, von denen einer mit Geburtsbadewanne ausgestattet ist, sowie ein häusliches und ein klinisches Zimmer zur Betreuung von Schwangeren oder Familien nach der Geburt. Über ein komplexes Audio-Video-System sind die Räume mit einem Regieraum verbunden, aus dem die Studierenden Übungsanleitungen erhalten. Mithilfe einer Simulationspuppe können diese praxisnah umgesetzt, über Kameras und Mikrophone die aufgezeichneten Abläufe gemeinsam reflektiert werden; – mit dem Ziel, die Kompetenzentwicklung der Studierenden optimal zu fördern. Dieses problemorientierte Lernen ermöglicht ihnen, über gestellte lebensechte Situationen Wissenszusammenhänge zu vertiefen und die eigene Problemlösungsfähigkeit zu entwickeln.
Antonia Racky ist eine der seit Oktober 2022 an der EHB Studierenden der Hebammenwissenschaft. Derzeit stehen die theoretischen Grundlagen-Lernblöcke im Vordergrund ihrer Studienausbildung, später dann kommen praktische Studienphasen vor Ort bei kooperierenden klinischen und außerklinischen Praxispartnern dazu. Bereits zu Studienbeginn haben die Studierenden einen Vertrag mit einem dieser Partner bzw. Geburtskliniken für den praktischen Teil vorzulegen.
Die 28-jährige Antonia fand aus eigener Erfahrung zum Studiengang der Hebammenwissenschaft: Sie hatte zuvor Kommunikationswissenschaften studiert. Als sie über eine ihr sehr nahe Person mit Schwangerschaft und Geburt in Berührung kam, wusste sie, dass Hebamme DER Beruf für sie ist. Nach Abschluss des ersten Studiums absolvierte sie also erst einmal ein Vorpraktikum im Geburtshaus und bewarb sich schließlich an der EHB für das Studium der Hebammenwissenschaft. Ihr späterer Praxis-Partner wird das St. Joseph Krankenhaus sein, der Vertrag steht. Man spürt deutlich ihre Vorfreude darauf und die Begeisterung dieser empathischen jungen Frau an der Ausbildung. Sie ist froh, dass sie für dieses Studium Dank ihres Lebensalters schon etwas Lebenserfahrung mitbringt.
Doch bei aller Begeisterung für ihre zukünftige Arbeit als Hebamme weiß auch sie um die erschwerenden Verhältnisse, die dieser Berufsgruppe immer mehr zu schaffen machen. Hat sich diese auf die Fahne geschrieben, einer Schwangeren 1:1 Betreuungskontinuität bieten zu können, lassen das die bestehenden Verhältnisse inzwischen kaum noch zu: Vielmehr betreut eine Hebamme heute mindestens vier Frauen. Dabei steht ihre Vergütung in keinerlei Verhältnis zur geleisteten Arbeit und hohen Verantwortung. Wirtschaftlichkeit der Geburtskliniken steht vor dem Wohl von Mutter und Kind, der Kampf ums Geld wird auf deren Rücken ausgetragen. Hebammen, die ihrem eigenen Anspruch nicht mehr gerecht werden können, ziehen sich reihenweise resigniert aus ihrem einstigen Traumberuf zurück. Wurden für das Jahr 2020 statistisch in Deutschland noch 27.000 Hebammen gezählt, ist längst eine Mangelsituation entstanden, die es schnellstens zu beheben gilt, will man Schwangeren auch zukünftig noch vertrauensaufbauende Geburtslösungen bieten. – Hören sollte man dabei unbedingt auf diejenigen, die aus Erfahrung sprechen: Hebammen, Lehrende und Studierende der Hebammenwissenschaft, die sich für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen in der Geburtshilfe starkmachen und dahingehend gemeinsam sinnvolle Wege entwickeln wollen. Voraussetzung dafür aber ist die Schaffung starker ressourcenreicher Standorte für eine umfangreiche Forschung auf diesem hochsensiblen Gebiet.
Als leistungsorientierte Bildungs- und Forschungseinrichtung für zukunftsweisende und gemeinschaftsfördernde Berufsfelder konzentriert sich die Evangelische Hochschule Berlin mit ihrem Lehrangebot auf Soziale Arbeit, Gesundheit/Pflege, Erziehung/Bildung und auf die Gemeinde. Als eine der ältesten Ausbildungsstätten für soziale Versorgungsberufe Deutschlands blickt die EHB auf eine seit dem Jahr 1904 bestehende Ausbildungstradition zurück. Rund 1.600 Studierende und mehr als 60 hauptamtliche Professor*innen und Dozent*innen sowie rund 200 Lehrbeauftragte arbeiten an der Hochschule, die Kontakte zu Trägern und Institutionen der Gesundheitswirtschaft ebenso pflegt wie zu Einrichtungen der Diakonie und Evangelischen Kirche. Außerdem bestehen Kooperationen und Projektpartnerschaften mit Hochschulen und Universitäten im In- und Ausland. Die EHB versteht sich als kompetenter Partner für praxisorientierte Lehre und anwendungsorientierte Forschung.
Bewerbungsvoraussetzung für das Studium der Hebammenwissenschaft an der EHB ist ein Schulabschluss, der in Berlin zum Hochschulstudium berechtigt oder eine abgeschlossene dreijährige Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege.
Jacqueline Lorenz
Evangelische Hochschule Berlin (EHB)
Teltower Damm 118-122
14167 BerlinWeitere Informationen unter www.eh-berlin.de
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