Erschienen in Gazette Charlottenburg Februar 2023
Hier stand die Dorfkirche und nicht weit von der heutigen Wilhelmsaue fuhren die Boote der Fischer über den Wilmersdorfer See. Heute sind nur noch vereinzelte Reste des alten Ortes Wilmersdorf zu finden. Sei es das Blissestift oder das Haus der Bauernfamilie Gieseler in der Wilhelmsaue 122 – besonders in dem Abschnitt zwischen Mehlitz- und Uhlandstraße kommt noch das Flair der guten, alten Zeit auf. Die Mehlitzstraße ist nach dem Sprössling eines alten Wilmersdorfer Bauerngeschlechts benannt.
An der Bundesallee ist die Wilhelmsaue noch eine kleine, mit Pflastersteinen versehene Seitenstraße. Neben sehr schönen Altbauten sind in der baumbestandenen Straße einige Nachkriegshäuser aus der Wiederaufbauzeit der 1950er- bis 60er-Jahre zu sehen. Hier ist die Wilhelmsaue überwiegend Wohngegend, in der sich vereinzelte Geschäfte befinden.
Ab der Mehlitzstraße steht die ehemalige Dorfaue im Mittelpunkt. Sie wurde bereits im Jahr 1888 in eine Grünanlage verwandelt. Mit ihrer Begrünung stellt sie eine Erholungsoase dar, Spazierwege und Parkbänke laden zur Erholung und zum Verweilen ein. Auf dem Spielplatz können die Kleinen ihrem Bewegungsdrang freien Lauf lassen.
Ein Findling auf der Dorfaue erinnert an den früheren Dorfkern. Er trägt die Inschrift:
„DU
befindest dich hier auf der
ehemaligen Dorfaue im
ältesten Teil unseres Bezirkes.
UM 1750
gaben Bauerngehöfte,
umschlossen von Feldern,
Wiesen und Seen Alt-
Wilmersdorf das Gepräge“.
In der Umgebung der Dorfaue befinden sich zahlreiche alte, sehenswerte Häuser. Das Haus mit der Nr. 120 gehörte einst der weiter unten näher beschriebenen Familie Blisse.
Ebenfalls nahe der Dorfaue steht das älteste erhaltene Haus von Wilmersdorf – das „Schoeler-Schlösschen“ mit der Nr. 126. Das Gebäude entstand um das Jahr 1752 als eingeschossiges Bauernhaus. 14 Jahre später ging es in den Besitz des Kaufmanns Hesse über. Dieser ließ es zu einem schlichten, zweigeschossigen Herrenhaus umbauen und legte zudem einen Park hinter dem Haus an. Der Schoelerpark kann heute noch bewundert werden, auch wenn von der ehemals biedermeierlichen Parkanlage nichts mehr übrig geblieben ist. Nach einigen Eigentümerwechseln und Umbauten kaufte es im Jahr 1893 der populäre Geheimrat, Universitätsprofessor und Augenarzt Heinrich Schoeler, nach dem es noch heute benannt ist. 1935 wurde das Haus unter dem Nazi-Regime um ein weiteres Stockwerk aufgestockt. Zu dieser Zeit wurde es von der Hitlerjugend genutzt.
Von 1946 bis 2003 diente das Haus als Kindertagesstätte. Von 2003 bis nach einem Brand im Jahr 2003 stand es lange leer. 2010 begannen die Renovierungsarbeiten. Das zusätzliche Stockwerk wurde wieder zurückgebaut, sodass sich das Schoeler-Schlösschen heute wieder wie in alten Zeiten präsentiert.
Die Planungen klangen gut: Hier sollte die Bibliothek des früheren Bundespräsidenten Johannes Rau untergebracht und öffentlich zugänglich gemacht werden, es war auch ein Café geplant, das von Roncalli-Gründer Bernhard Paul mit historischen Kaffeehausutensilien eingerichtet werden soll. Das Schoeler-Schlösschen sollte sowohl Kulturtreff als auch als Begegnungsort für die Nachbarschaft dienen. Für kurze Zeit stand das Erdgeschoss für kulturelle Zwecke zur Verfügung, aber seit 2021 ist das Schoeler-Schlösschen wegen Sanierungsmaßnahmen geschlossen. Ende dieses Jahres soll es voraussichtlich wieder öffnen.
Im wahrsten Sinne des Wortes herausragend ist die von 1895 bis 1897 erbaute Auenkirche, die 2022 auf ihr 125-jähriges Bestehen zurückblickte. In der beeindruckenden dreischiffigen Backstein-Hallenkirche finden außer Gottesdiensten auch regelmäßig Konzerte statt. Ihre Orgel ist die zweitgrößte Kirchenorgel Berlins und besonders die alljährlichen Weihnachtskonzerte sind bestens besucht. Sie stand ursprünglich hinter der alten Wilmersdorfer Dorfkirche. Diese wurde 1772 eingeweiht, nachdem ihre Vorgängerkirche 1766 – gemeinsam mit dem halben Dorf – abbrannte. 1898 wurde die alte Kirche gegen den ausdrücklichen Willen der Gemeinde abgerissen.
Hinter der Uhlandstraße, die die Dorfaue seit den 1960er-Jahren durchschneidet, erinnert weit weniger an eine dörfliche Idylle. Doch auch auf dem Abschnitt zwischen Uhland- und Blissestraße sind noch schöne alte Häuser zu bewundern, zum Beispiel das Haus mit der Nr. 111. Auch hier steht eine Kirche, die auf den ersten Blick gar nicht als solche zu erkennen ist. Hier ist die Erste Kirche Christi, Wissenschafter Berlin zu Hause. Das Gebäude wurde 1936/37 von Otto Bartning entworfen und nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg auch unter seiner Leitung wieder aufgebaut. Einen Turm hat die Kirche nicht, jedoch haben in dem großen Kirchenschiff, das von der Wilhelmsaue aus nicht zu sehen ist, ca. 1000 Menschen Platz.
Das alte Wilmersdorf hat hier keine Spuren mehr hinterlassen – ein Teil der Blissestraße führte einst als Steglitzer Weg durch die Felder der Familie Blisse. Ihnen verdankt sie auch ihren Namen. Es war das kinderlose Ehepaar Amalie Auguste Blisse, geborene Schierjott (1845 – 1907) und Georg Christian Blisse (1823 – 1905), deren Gedenken hier bewahrt wird. Durch den Verkauf ihres Eigentums waren die Nachfahren einer großen Bauerndynastie reich geworden. Der geschäftstüchtige Landwirt hatte am längsten mit dem Verkauf seiner Äcker gewartet und konnte so von einer enormen Wertsteigerung profitieren. Sie gehörten zu den sogenannten „Millionen-Bauern“ der Gründerzeit.
Das Ehepaar Blisse hatte keine eigenen Kinder. Vielleicht war das ein Grund, warum ihr Vermögen nach ihrem Tode Kindern zugutekommen sollte. Als Georg Christian und Amalie-Auguste Blisse noch lebten, spendeten sie der damals neu gebauten Auenkirche eine Orgel sowie eine Glocke. In ihrem Testament verfügte Amalie Auguste Blisse, die ihren Ehemann um zwei Jahre überlebte, den Bau eines Waisenhauses. Das Grundstück an der Wilhelmsaue und drei Millionen Mark waren dafür im Testament vorgesehen. Das Blissestift an der Wilhelmsaue steht heute noch, über der Eingangstür erinnert ein Schriftzug an das Ehepaar Blisse. Das Gebäude in der Wilhelmsaue 116 – 117 beherbergt heute den integrativen Hort der Comenius-Stiftung. Das Ehrengrab des Ehepaares Blisse ist auf dem Friedhof Wilmersdorf in der Berliner Straße 81 bis 103 zu sehen.
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