Erschienen in Gazette Steglitz März 2023
Dass Kunst viel zu sagen hat, dürfte wohl keinem Kunstfreund unbekannt sein.
Doch Maler und Theatermacher Achim Freyer ist ihnen weit voraus, besitzt der Meister doch die besondere Gabe, die Sprache der Bildern und Gemälde nahezu perfekt zu sprechen und ihre Anliegen zu verstehen. Im Dezember 2012 öffnete er für das breite Publikum die Tür zu seiner „Wunderkammer der Kunst“ in Lichterfelde West, die nach über zehn Jahren rund 2.300 bildnerische Werke der Moderne von mehr als 300 Künstlern birgt. Da hängen im KUNSTHAUS der ACHIM FREYER STIFTUNG weltbekannte Künstler eng neben unbekannten Meistern, Durchgesetztes trifft in dieser Welt des Visuellen auf Unbekanntes. Das Haus wird auch als Forschungsstätte für Kunstwissenschaftler, Künstler, Studierende und die Öffentlichkeit genutzt. Im Souterrain des Hauses ist ein Bilderarchiv eingerichtet.
„Kunst ist alles und trifft ins Herz“, weiß der Künstler nur zu gut und will auch anderen Menschen mit seiner Privatsammlung diese Erfahrung in Führungen durch ehrenamtlich Engagierte näherbringen. In der zur Kunst in reizvollem Kontrast stehenden denkmalgeschützten viergeschossigen Gründerzeitvilla mit den zum Schutz vor Tageslicht verhängten Fenstern kann man sich gut vorstellen, wie nachts die Bilder miteinander diskutieren, sich unterhalten und Einblicke in ihr Innerstes geben. Dann leuchten die Fenster wundersam in verschiedenen Farben ins Dunkel, – außer der in Lettern auf der Fensterscheibe angegebenen Farbe. Dahinter vermag der Sehende das schelmische Augenzwinkern Achim Freyers zu entdecken, das hinter so vielen seiner Werke steckt. Kunst ist glücklicherweise nie todernst, ist wahrhaftig, aber ist sie auch wahr?
Mit seinem weißem Wuschelkopf scheint der Künstler ein großer Junge geblieben zu sein, der weiter entdecken will, sich seine Neugier und seinen Humor bewahrt hat und stete Entwicklung in seine Arbeiten einfließen lässt. Wohl dosiert, gekonnt ins Bild gesetzt mit einer guten Portion Toleranz. Zum KUNSTHAUS erklärt er:
„Es ist mein Anliegen, das Haus zu einem besonderen Kunstort zu machen, einer Forschungsstätte für Kunstwissenschaftler, Künstler, Studierende und eine interessierte Öffentlichkeit; vor allem aber – durch die Diversität der angesammelten Werke – zu einer „Schule des Sehens“ sowie einem Ort der Integration und Toleranz und jenseits von kulturellen, ethnischen, religiösen oder anderen Aspekten.“ Großer Freiheitsdrang spricht daraus, der ihn – von seinen Werken Einschränkungen und Zwänge fernhaltend – 1972 aus der DDR fliehen ließ, und sie heute frei und kraftvoll atmen lässt.
Wenn auch nicht von Anfang an, aber inzwischen doch deutlich hört der bis heute lernwillige Kunstprofessor auf die Befindlichkeiten der Bilder, hängt sie so, dass sie anstatt sich in ihrem Wesen zu behindern, sich ergänzen und ihre Aussage klar vermitteln können. – Sowohl in seiner Privatsammlung als auch in der angebauten Galerie, in deren Untergeschoss der Meister sein Atelier hat. Sichtlich mit Freude erfüllt den Künstler, gerade zum KUNSTHAUS-Jubiläum in der Galerie wieder einmal in der Einzelausstellung „im Bilde Sein“ seine eigenen Werke präsentieren und Einblicke in 70 Jahre Malerei geben zu können. Dort, wo sonst häufig andere namhafte Künstler, seine erfolgreichen Meisterschüler und Gruppenausstellungen Arbeiten präsentieren.
Der Titel „im Bilde Sein“ der Ausstellung, die noch bis zum 2. April 2023 zu sehen ist und etliche Rahmenveranstaltungen bietet, kommt nicht von ungefähr, kann das kleine Wörtchen „Sein“ laut Duden doch so vieles bedeuten: sich in einem bestimmten Zustand, in einer bestimmten Lage befinden; sich bestimmten Umständen ausgesetzt sehen; eine bestimmte Eigenschaft, Art haben oder jemandes Besitz, Eigentum darstellen; jemandem gehören. – Lassen wir also die Bilder, die Werke Freyers erzählen, hören wir ihnen zu und entscheiden wir, welches „Sein“ jeweils auf sie zutrifft!
Ein Gemälde dieser Ausstellung musste Achim Freyer schon bald umhängen, da es von seinen älteren Werken abgelehnt wurde. Der Meister erklärt verständnisvoll: „Diese Bilder haben ihre Reife und haben sich ihre Nachbarschaft und ihre Wände genommen. Das von mir so heiß geliebte jüngere Werk haben sie abgelehnt, müssen es erst kennenlernen, um es anzunehmen.“ Wieder einmal hat der Meister hier bei der Kunst sehr genau hingehört und jeglichen Zwang vermieden. Seine Bilder danken es ihm.
Ein Phänomen, dass er auch gerne bei Kuratoren sähe, die ein Thema vorgeben und die Kunst dort hineinzwingen, sie mundtot machen, den wichtigen Austausch der Kunstwerke verhindern. „Denn Kunst muss sprechen dürfen“, macht Freyer sich für sie stark.
Um diese Sprache verständlich zu vermitteln, unterstützt den Meister die von ihm 2012/13 gegründete ACHIM FREYER STIFTUNG, welche die Bildenden Künste mit Ausstellungen und Veranstaltungen bedeutender zeitgenössischer Kunst fördert und sich der Dokumentation und Erforschung der Sammlung, des malerischen Werkes von Achim Freyer und des Gesamtwerkes seiner früh verstorbenen Frau, der Malerin und Bühnenbildnerin Ilona Freyer-Denecke, widmet. Der 2016 gegründete Freundeskreis der Achim-Freyer-Stiftung ermöglicht die Führungen durch das KUNSTHAUS sowie Ausstellungen zur Förderung junger, noch unbekannter oder in Vergessenheit geratener Künstler zeitgenössischer Kunst. Via Lewandowski, Nanne Meyer, Timm Ulrichs und Ruth Wolf-Rehfeldt sind nur einige von Achim Freyers Meisterschülern, die heute ausgezeichnete Künstler sind.
Mitglieder des Freundeskreises erhalten freien Eintritt in die Sammlung, zu den Ausstellungen und Veranstaltungen. Zu exklusiven Führungen, Festen oder Exkursionen, bei denen oftmals auch Achim Freyer anwesend ist, werden sie ebenso eingeladen, wie sie Sonderkonditionen für die Publikationen des Hauses erhalten.
Bereits Kindern ungezwungenen Zugang zur Kunst zu vermitteln, ist Achim Freyer und seiner Stiftung sehr wichtig. Schließlich fand auch er in jungen Jahren dazu, saß stundenlang am Küchentisch und malte. Wohl vom Vater das Zeichentalent geerbt, zeichnete er viel und schuf mit seinen Händen schon damals kleine „Kunstwerke“. „Junge, geh´ spielen, sitz´ nicht so krumm“, der gutgemeinte Rat seiner Mutter, wenn er wieder einmal konzentriert malend mit der Nasenspitze das Papier berührte. In seinem KUNSTHAUS gibt er heute nun kleinen Meistern von morgen die Möglichkeit, sich vor Bildern aus seiner Sammlung Skizzen zu machen und danach später ein eigenes Bild zu malen. Schulkooperation besteht mit der Rudolf-Steiner-Schule in Dahlem: Da lassen 11-Klässler zwei Stunden lang das Smartphone aus, um in Freyers KUNSTHAUS ganz ungestört Kunst auf sich wirken zu lassen. – Ein ganz besonderes Erlebnis, zur Nachahmung empfohlen.
1934 wurde der Maler, Theatermacher und Stifter Achim Freyer in Berlin geboren. Er studierte Grafik und Malerei, war Meisterschüler von Bertolt Brecht. Wegen künstlerischer Repressalien floh er 1972 nach West-Berlin, wo er als Regisseur arbeitete.
Heute inszeniert er weltweit an führenden Theatern. Für sein Bühnenschaffen erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt für sein Lebenswerk den deutschen Theaterpreis „DER FAUST 2022“. Zweifacher documenta-Teilnehmer war er als Bildender Künstler und stellte auf der „Deutsche Kunst heute“ aus. Immer wieder ist er weltweit in Kunstmetropolen wie Los Angeles, Seoul, Venedig, Paris, Wien, Paris und Berlin in nationalen und internationalen Ausstellungen vertreten. 1976 erhielt Freyer eine ordentliche Professur an der UdK Berlin und gründete 1988 das Freyer-Ensemble. 2012 öffnete er sein KUNSTHAUS.
Anlässlich des 100. Geburtstages seines Weggefährten Walter Weiße, der vor zwei Jahren verstarb, ehrt Achim Freyer seinen Malerfreund im KUNSTHAUS mit der vom 16. April bis 2. Juli 2023 laufenden Ausstellung „Walter Weiße Werke“. Dazu schon heute ein Satz aus seiner bevorstehenden Eröffnungsrede: „Walter Weiße – mein Malerfreund: Das Leben im Bilde. Dem Bilde selbst für das Gegenüber sich offenbaren. Immer und immer.“
Auch das Museum Schloss Neuenburg in Freyburg (Unstrut), wo Weiße lebte und arbeitete, gedenkt des Malers und Kunsterziehers mit der Ausstellung „Chiffre W.W.“.
Das Museum erhielt 2020 in einer Schenkung einen großen, künstlerischen Werkkomplex Walter Weißes mit über 4.000 Arbeiten unterschiedlicher Techniken.
Achim Freyer betont: „Auch in der Kunst kann es Verwandtschaft geben“, und denkt dabei an die ihm so ähnliche sensible Auseinandersetzung mit der Kunst, der Philosophie und Literatur, die den Bildern des Freundes zugrunde liegt, und die den Betrachter zum Eintauchen, Nachdenken und Interpretieren des Gesehenen animiert. Oft hatten sich die Kunst-Seelenverwandten in Freyburg getroffen. „Aus Königsberg und Freyburg ist Walter selten herausgekommen“, erklärt Freyer mit Wehmut in der Stimme. Ein typisches Gemälde-Motiv seines Freundes – Weinberg und Schloss Neuenburg mit „Dicker Wilhelm“ (Bergfried, Freyburgs Wahrzeichen) – hat Achim Freyer als Würdigung an ihn in einem eigenen Gemälde verewigt.
Ein Bild Walter Weißes aber will er als Zeichen seiner Verbundenheit an einen besonderen Ehrenplatz im KUNSTHAUS hängen. Einen Platz, an dem es mit andern Bildern ins Gespräch kommen, seine Geschichte erzählen und „Immer und Immer sich dem Gegenüber offenbaren“ kann.
Weitere Informationen unter www.achimfreyer.com
Jacqueline Lorenz
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