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Lucky Punch gegen Frust

Box-Club-Olympia 75 e. V. lebt Integration in Vorbildfunktion

Setzen sich mit dem Boxsport für Groß und Klein ein: (v.l.n.r.) Nejat Kalayci, Wolfgang Haring und Cahit Kalayci.
Setzen sich mit dem Boxsport für Groß und Klein ein: (v.l.n.r.) Nejat Kalayci, Wolfgang Haring und Cahit Kalayci.
Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau April 2023
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Seit Jahrzehnten trägt der Box-Club-Olympia 75 mit seinem Sport-Angebot erfolgreich zur Gewaltprävention in Friedenau bei und besitzt damit Vorbildfunktion. Dass er deswegen Ende 2022 aus rund 30 Vereinen und Institutionen zum Gewinner des Integrationspreises des Bezirks Tempelhof-Schöneberg gewählt worden ist, freut Vorstand und Mitglieder gleichermaßen. „Wir hatten gar nicht damit gerechnet und waren total überrascht, als man uns dann ausgezeichnet hat“, verrät stolz Cahit Kalayci, Vorstandsvorsitzender des gemeinnützigen Boxvereins, der aus diesem Grund dann auch Besuch von Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann und der Integrationsbeauftragten Lisa Rüter erhielt.

Und so widmen sich Alt und Jung des Friedenauer Clubs nun noch überzeugter ihrem Boxtraining, das fairen Umgang fördert und mit manch glücklichem Schlag bestehende Aggressionen und Emotionen k.o. gehen lässt.

Sprache, der Schlüssel zur Integration

Mit seinen Trainern Cahit und Nejat Kalayci zeigt sich der vor 48 Jahren gegründete Boxclub offen für alle und besonders engagiert im Nachwuchsbereich. Mit ihren Geschwistern wuchsen die beiden Brüder in Schöneberg auf und lernten schon früh, geprägt vom integrationswilligen Elternhaus, dass die Sprache der Schlüssel zur erfolgreichen Eingliederung ist. So riet ihnen die Mutter – bekannt für ihre besonders köstlichen Rouladen nach deutschem Rezept – anstatt untereinander nur türkisch zu sprechen, sich auch mit deutschsprechenden Spielkameraden auszutauschen. „Wenn wir Sport machen wollten, konnten wir im Bezirk zwischen Fußball und Boxen wählen“, erinnert sich Cahit. Und so entschieden er und zwei Brüder sich fürs Boxen. 1987 fanden sie zum Box-Club-Olympia 75, wo Cahit und Nejat während ihrer aktiven Zeit etliche große Titel für ihren Verein holten. Bald schon zählte der Verein zu den mitgliedstärksten Boxvereinen Berlins, nicht zuletzt Dank seiner engagierten Arbeit im Nachwuchsbereich und zahlreich erlangter Titel im nationalen und internationalen Boxsport.

Aus ihrer Erfahrung heraus und als beeindruckende Vorbilder gelungener Integration trainieren die Brüder heute gemeinsam mit anderen hochrangigen Trainern 2-3x wöchentlich Kinder und Jugendliche in der zur Gemeinschaftsschule Schöneberg gehörenden Sporthalle Haus Paul in der Rubensstraße 83. Offen für alle, kommen hier Groß und Klein im Alter zwischen 10 und 40 Jahren (und älter) übers Boxen zusammen: Da trainieren Angehörige des Polizeidienstes in ihrer Freizeit ebenso hart wie der 16-jährige Box-Neuzugang, da springen Armenier, Araber, Bosnier und Kroate gemeinsam Seil, feuert der sozial Schwächere den sozial besser Gestellten an und trainieren beide intensiv ihre Kondition. Dass dies in deutscher Sprache geschieht, ist selbstverständlich. Sie gilt hier in der Halle als „Amtssprache“ und vereint rund 21 Nationalitäten, die über den Sport zusammenfinden. – Gelebte Integration pur. „Geflüchtete Menschen, die bei uns boxen möchten, sind immer herzlich willkommen“, erklärt Cahit, doch verlangt er, dass sie sich in der hiesigen Landessprache verständlich machen und sie verstehen können. Das hilft, Missverständnisse und Konflikte zu vermeiden.

Sport als Lösungs- und Integrationsweg

Cahit und sein Bruder Nejat zeigen großen ehrenamtlichen Einsatz im Club, und das trotz ihres anspruchsvollen Arbeitsalltags. Er fordert Cahit als Kfz-Sachverständigen mit eigenem Büro und großer Werkstatt, die er einst von seinem Vater übernommen und stetig erweitert hat. Und Bruder Nejat bringt aus seiner Tätigkeit als Team-Mitarbeiter der Gewaltprävention Friedenau das notwendige Know how für den pädagogischen Bereich des Boxclubs mit.

Jugendliche für den Boxsport zu begeistern, liegt beiden besonders am Herzen. Unterstützt werden sie darin u. a. von Boxtrainer-Urgestein Wolfgang Haring, zu dessen Schützlingen auch die Klitschko-Brüder zählten. Kein Meister ist sich hier zu schade, Box-Anfänger in bewährte Tricks einzuweihen. So vorausschauend trainiert, steigen immer wieder junge Boxtalente aus der Vereins-Schmiede in den Meisterschafts-Ring.

Doch mindesten ebenso wichtig ist es den Box- und Menschenfreunden im Club, dass sie Kinder und Jugendliche von der Straße holen und ihnen über das Boxtraining zeigen, wie man Aggressionen und Emotionen in Kondition und Treffsicherheit kanalisieren und umwandeln kann. „Denn wer sich regelmäßig beim Training auspowert, der tritt keine Tür mehr ein oder verprügelt einen anderen“, weiß Nejat nur zu gut, der als erfahrener Streetworker Grenzen zu setzen vermag, dabei aber stets das schwächste Glied im Auge behält. – Wie beim Boxtraining eben auch.

Leistung und Spaß boxen Hand in Hand

Viel Kraft kostet das Training, an dem auch einige Mädchen teilnehmen. Unverzichtbare Grundlage für harte Schläge und optimale Deckung sind gute Kondition und ein schnelles Reaktionsvermögen. Laufen über etliche Runden, Liegestütze, Seilspringen, Hantel- und vor-zurück-Pratzentraining sind nur einige Übungshürden, die es im Training zu nehmen und überstehen gilt, ehe es an den Sandsack geht. Dazu kommen immer wieder Dehn- und Streckübungen. „Jeder Muskel, jede Sehne muss beim Boxen Einsatz zeigen und richtig funktionieren“, erklärt Cahit, der die Augen bei seinen Schützlingen in der Halle überall hat, jede Schwäche sieht und nachhakt. Dabei vermittelt er streng aber gerecht Regeln, die es einzuhalten gilt, und fragt verantwortungsbewusst genauer nach, wo es notwendig ist. Dazu gehört die regelmäßig bei den Box-Zöglingen eingeholte Information über ihren derzeitigen schulischen Leistungsstand. „Wenn eine Fünf dazugekommen ist oder es in der Schule plötzlich mehr hängt, muss weniger Zeit in der Halle und dafür mehr am Schreibtisch verbracht werden“, betont Cahit, ganz erfahrener Vater. Schule und Bildung gehen vor. Doch wer einmal beim Training zusieht, dem fällt auf: Es wird Leistung verlangt, doch mindestens ebenso viel Spaß ist bei Jung und Alt mit dabei. Auf den Punkt bringt es Judi, im Polizeidienst und vor Kurzem aus Baden-Württemberg nach Berlin gekommen. Der Sandsack ist ihm alles andere als fremd. Er erzählt: „Ich bin im Club super aufgenommen worden. Mir gefällt die gesunde Durchmischung. Jeder wird gleich ernst genommen; egal ob Groß oder Klein.“ Vertieft wird das Gemeinschaftsgefühl bei regelmäßigen Trainingsreisen in die Türkei – derzeit aufgrund der aktuellen Lage für dieses Jahr noch fraglich.

Fragt man nach den Wünschen des Box-Club-Olympia 75 Berlin kommt die Antwort rasch: „Hier in der Halle würden wir sehr gerne weitertrainieren. Und es wäre toll, wenn mehr Politiker uns – nicht nur vor der Wahl – besuchen und sich ein Bild von unserer Arbeit machen würden. Und dann wünschen wir uns natürlich gerade nach Corona nun endlich wieder viele neue Vereinsmitglieder.“ Ein Wunsch aber steht darüber: Dass noch viele große und kleine Boxfreunde unter dem Dach des Boxclubs im Sport zusammenfinden mögen, egal welcher Nationalität sie sind oder sozialen Stellung sie angehören.

Weitere Informationen für Box-Interessierte zu Trainingszeiten und -angeboten unter www.bcolympia75.de

Jacqueline Lorenz

Titelbild

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