Erschienen in Gazette Steglitz März 2017
Allmählich werden die Nächte wieder wärmer, und die Saison im Nachtcafé neigt sich dem Ende zu.
In der Winterinitiative an der Friedenauer Goßlerstraße 30 erwarten Menschen ohne Bleibe in den kalten Nächten – in der Zeit vom 1. November bis zum 15. April von Dienstag bis Freitag zwischen 21.30 und 8 Uhr – 15 der berlinweit 750 angebotenen Schlafmöglichkeiten in warmer Umgebung fern der Straße mit Waschmöglichkeit, Abendessen und Frühstück. In der Kleiderkammer können sie sich bei Bedarf Kleidung und Unterwäsche aussuchen. Das Wichtigste aber bleibt wohl der menschliche und ehrliche Umgang, der den Gästen seit nunmehr 23 Jahren von den überwiegend ehrenamtlichen Helfern und Betreibern aus den Gemeinden entgegengebracht wird.
Drei evangelische Kirchengemeinden sind „bezirksübergreifend“ Träger des Nachtcafé Zum Guten Hirten und finanzieren aus ihren Kollekten und aus Spenden diese Initiative: die Muttergemeinde „Zum Guten Hirten“ in Schöneberg, „Patmos“ in Steglitz, „Vaterunser“ in Wilmersdorf und Philippus-Nathanael in Friedenau. Finanzielle Unterstützung und Sachmittel für ihre Überlebenshilfe mit Herz erhalten sie aber auch aus dem benachbarten Einzelhandel, von Banken und Privatspenden sowie durch eine Bezuschussung vom Bezirksamt. Pro Saison müssen etwa 20.000 Euro für das Projekt aufgebracht werden.
Ende Februar. Drei Männer stehen im Halbdunkel vor der Tür des Nachtcafé. Eine letzte Abendzigarette kurz nach zehn, es wird Zeit zum Schlafengehen, drinnen ist Rauchen trotz der Rauchmelder verboten, Alkohol sowieso. Deutsche und osteuropäische Sätze tönen durcheinander, der Ausländeranteil unter den Gestrandeten ist hoch. Die Gesichter sind müde. Ein warmer Schlafplatz, für die meisten von uns selbstverständlich, für die, die hier Einlass finden, ist sie Luxus. Überwiegend Männer, deutlich weniger Frauen, suchen hier Ruhe für die Nacht auf den sauberen Isomatten mit frischer Bettwäsche. Seite an Seite schlafen sie einem oftmals ungewissen und wenig positiven Alltag entgegen.
Meist kennt man nur ihren Vornamen, doch sie sind alle willkommen, kein Fragenkatalog erwartet die Nacht-Gäste, von denen etwa die Hälfte immer wieder kommt, wenn die Kälte zu sehr an den Gliedern nagt, der Hunger zusätzlich quält. Ihr Durchschnittsalter ist Mitte 40, der Älteste ist um die 60, auf der Straße wird man nicht alt. Oft warten sie schon ab sieben Uhr, dass ihnen geöffnet wird, so wie Pero. Eine gewählte Aussprache hat er, bestimmt auch einmal bessere Tage gesehen. Den besten Platz im Schlafraum gilt es zu ergattern, „wer zuletzt kommt, den beißen die Hunde“, heißt es schließlich, auch im täglichen Überlebenskampf auf der Straße, das prägt.
Als ehrenamtliche Helferin von Beginn an im Nachtcafé dabei ist Heidi. In der ehemaligen Erdgeschoss-Zweizimmer-Wohnung des Küsters mit Küche/Bad, in der noch ein kleiner, zur Sicherung der Kollekte in die Wand eingebauter Tresor an vergangene Tage erinnert, ist ihr Einsatzort; bis etwa um 22.30 Uhr der Nachtdienst kommt: In der Kleiderkammer verteilt sie Bettwäsche, sie sortiert verschlissene Kleidung in den Müllsack, verteilt Handtücher und Waschartikel und fischt aus dem Regal einen dicken Pulli für Pero, denn noch sind die Tage kalt. Als es auf dem langen Flur etwas lauter wird, weil sich zwei Gäste nicht über die Schlafplätze einigen können, greift sie geschickt ein, schlichtet, ohne laut zu werden mit leiser, aber bestimmter Stimme. Unterstützung erhält sie von Herbert Spindler, der dafür kurz seinen Küchendienst unterbricht. Der Diplom-Pädagoge und Sozialarbeiter, der die Organisation des Nachtcafés seit rund drei Jahren begleitet, schöpft wenig später in der kleinen Küche wieder Rote-Beete-Eintopf in tiefe Teller, packt Brot dazu. „Eine Notlösung heute“, erklärt er. Eigentlich wird jeden Abend warmes Abendessen für etwa 20 Personen von einem Gemeindemitglied gekocht und warm angeliefert, muss dann nur noch verteilt werden. Zu den freiwilligen Köchen gehört übrigens auch eine muslimische Familie, die erklärte: „Allah sagt, wir sollen Gutes tun.“
Nur heute ist etwas schief gelaufen, und die Lieferung blieb aus. Im Kühlschrank wartet für solche Fälle immer eine tiefgefrorene Notration auf ihren Einsatz, an diesem Abend trifft es die Rote-Beete-Suppe. Doch sie kommt bei den Gästen nur bedingt an. „Gesundes ist nicht unbedingt der Renner“, verrät Spindler. Fleisch, Gehacktes, Eierspeisen gehören zu den Favoriten. Das Essen muss kräftig sein und vorhalten, denn draußen auf der Straße verbraucht man reichlich Kalorien. Getränke gibt es uneingeschränkt: Saft, Wasser, Tee, Kaffee – abends koffeinfrei („…damit alle schlafen können…“) morgens zum Wachwerden mit Koffein – belegte Brote, Quark, Joghurt, Obst; seltener, aber gern gesehen bei den Gästen, Eierspeisen. Mancher streicht sich noch Brote für unterwegs, bevor es gegen acht Uhr wieder nach draußen geht. Da warten schon der Reinigungsdienst und der Wäscheservice einer Wilmersdorfer Behindertenwerkstatt auf ihren Tageseinsatz im Nachtcafé.
Die Lebensmittel kaufen Mitglieder des rund 30-köpfigen Nachtcafé-Teams frisch ein, jeder hat seinen Bereich, seine Aufgabe, eine logistische Meisterleistung. Um Tafel-Lebensmittel zu nutzen, reicht der Lager-Platz in der Küche nicht aus, die aber wenigstens Kühlschrank und Geschirrspüler besitzt.
Eine Packung Einweghandschuhe steht griffbereit. Doch die wird nur im Notfall benutzt. „Wir wollen unseren Gästen menschlich begegnen, da stören Handschuhe“, betont Herbert Spindler. Er ist stolz darauf, wenn seine Besucher mit der Zeit Vertrauen schöpfen. Denn er weiß nur zu gut, wie schwer es ist, Obdachlose dazu zu bringen, Hilfe anzunehmen, obwohl Berlin ein vielfältiges Hilfssystem besitzt: „In einer kleinen Einrichtung wie dem Nachtcafé aber wird das Gespräch nicht nur angeboten, sondern von den Gästen auch gesucht.“ Das sei ein großer Lohn für ihn und das Team, die immer ein offenes Ohr für die Probleme ihrer Gäste haben. Dass jedoch unter den Obdachlosen immer mehr Menschen mit psychischen Problemen anzutreffen sind, gibt Herbert Spindler zu denken, es erfordere ein rasches Umdenken und Handeln von höherer Stelle.
Inzwischen ist es 22.30 Uhr und im Nachtcafé ruhig geworden. Die abgespannten Menschen kommen auf ihren Matten schnell zur Ruhe, wenigstens für eine Nacht. Der Nachdienst ist eingetroffen: Jenny, Studentin der Literaturwissenschaften, und Philipp, BWL-Student. Jenny überlegt, in ein Studienfach im sozialen Bereich zu wechseln, sie erklärt: „Es macht mir ungeheure Freude hier mit diesen Menschen, da bin ich wohl auf den Geschmack gekommen, in einen sozialen Beruf zu wechseln.“ Philipp erfuhr über einen Freund vom Nachtcafé, ist inzwischen in der 3. Saison ebenfalls begeistert dabei. Beide erhalten für die Nachtdienste eine geringe Aufwandsentschädigung.
Für Heidi und Herbert beginnt der Feierabend. Doch morgen geht es weiter in ihrer ehrenamtlichen Arbeit zugunsten der Menschen, die eher auf der Schattenseite des Lebens stehen. Doch Einrichtungen wie das Nachtcafé mit seinem Team sorgen mit gelebter Nächstenliebe dafür, dass für sie ein wenig öfter die Sonne scheint.
Nachtcafé-Spendenkonto:
Kirchliches Verwaltungsamt Schöneberg
Verwendungszweck ZGH und Nachtcafé
IBAN: DE 81 100 708 480 528 000 300
BIC: DEUTDEDB110
Jacqueline Lorenz
© Gazette Verbrauchermagazin GmbH 2022