Erschienen in Gazette Charlottenburg August 2023
Gleich hinter der Zehlendorfer Dorfaue führt ein eher unspektakulärer Weg hinab zum barrierefreien Souterrain der offenen open-med-Ambulanz. Doch was dort auf verhältnismäßig kleinem Raum Großes geleistet wird, ist beachtlich: Aus ganz Berlin findet Jung und Alt ohne Krankenversicherung in der Zehlendorfer Anlaufstelle kostenfreie medizinische Hilfe, psychologische Psychotherapie und soziale Beratung, wobei die Anonymität respektiert wird. Projektleiterin Dorothea Herlemann erklärt: „Im Schnitt behandeln wir im Monat ca. 170 Personen in unseren medizinischen Sprechstunden vor Ort in der open-med-Ambulanz. Etwa zur Hälfte Erwachsene und zur Hälfte Kinder. Hinzu kommen Personen, die wir an Facharztpraxen in unserem ehrenamtlichen Netzwerk weiterverweisen und Personen, die die Sozialberatung wahrnehmen. Denn Menschen ohne regulären Aufenthalt sind vom Zugang zur Gesundheit ausgeschlossen.“
Dass diese Anlaufstelle für Migranten und Geflüchtete mit eingeschränktem Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem, Menschen ohne Aufenthaltsstatus und Menschen ohne Krankenversicherung überhaupt zustande kommen konnte, ist in erster Linie dem gemeinnützigen Medizin Hilft e. V. zu verdanken, der sich im Jahr 2014 zum ersten Mal – aus dem Engagement einer kleinen Gruppe von Ärzten erwachsen – der medizinischen Erstversorgung von neu angekommenen Geflüchteten ohne Krankenversicherung annahm. Seit Oktober 2016 betreibt Medizin Hilft e. V. nun mit „open-med“ in angemieteten Räumen der Paulusgemeinde am Teltower Damm 8a in Zehlendorf eine feste kostenlose medizinische Anlaufstelle, welche ein niedrigschwelliges Angebot für alle Menschen mit eingeschränktem Zugang zum Gesundheitssystem darstellt und eine Lücke im System schließt. Seit 2015 mobilisiert Dr. Pia Skarabis-Querfeld, Initatorin und Vorsitzende des Medizin Hilft e. V., ca. 30 ehrenamtlich tätige Ärztinnen und Ärzte verschiedener Fachrichtungen und über 100 nichtmedizinische Freiwillige, welche seitdem zehntausende Stunden ehrenamtlicher Arbeit leisten. Die Ambulanz bietet regelmäßig dreimal wöchentlich Sprechstunden für Kinder und Erwachsene an. Seit 2016 unterstützt der Verein engagiert das Gesundheitsamt Steglitz-Zehlendorf. Dabei misst der Bezirk besonders der Versorgung und Behandlung von Säuglingen ohne Versicherungsschutz große Bedeutung zu. Dieser Einsatz wurde im März diesen Jahres mit der Übergabe der Verleihungsurkunde sowie des Verdienstkreuzes am Bande an Dr. Pia Skarabis-Querfeld durch Bezirksbürgermeisterin Maren Schellenberg gewürdigt.
Die Ambulanz für Menschen ohne Krankenversicherung am Teltower Damm konnte mit ihrem niedrigschwelligen Angebot für alle Menschen mit eingeschränktem Zugang zum Gesundheitssystem vom Medizin Hilft e. V. nach großzügiger, doch begrenzter Anschubfinanzierung der Rotary Foundation eröffnet werden. Inzwischen arbeitet die Ambulanz in Kooperation mit der milaa gGmbH, einer Tochtergesellschaft des Evangelischen Diakonievereins, die Mitglied im Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e. V. ist.
Der verhältnismäßig kleine Raum in der Anlaufstelle ist bis ins letzte Eckchen geschickt genutzt: Dieser Ort für sowohl körperliche als auch mentale Gesundheit bietet Behandlungsraum mit Wartebereich im Flur, bei schönem Wetter warten die Patienten gerne an der frischen Luft. Sozialberaterin Ines Jungmann empfängt die Gäste im Extra-Büro. Die vergebenen Wartenummern sichern die Anonymität der großen und kleinen Patienten, die ohne Zugang zum Gesundheitssystem zu den vulnerabelsten Personengruppen unserer Gesellschaft zählen und auch in anderen Lebensbereichen belastende Situationen erleiden.
Regelmäßig finden in der Ambulanz Sprechstunden statt: Allgemeine für Erwachsene Di. zwischen 16 und 18 Uhr sowie Do. zwischen 13 und 18 Uhr. Kindersprechstunde nach Vereinbarung Di. zwischen 12 und 15 Uhr. Ebenfalls nach Terminvereinbarung finden außerdem psychiatrische, psychologische und dermatologische Sprechstunden statt. Rund 30 Ärzte sowie rund 60 aktive Studierende und Pflegekräfte sind vor Ort ehrenamtlich im Einsatz. Dabei sucht die Ambulanz dringend weitere ehrenamtlich Interessierte jeden Alters, denn der Hilfsbedarf steigt rasant.
Enge Kooperation besteht zu Fachärzten, zu denen bei Bedarf überwiesen wird, aber auch zur Stadtmission und zahlreichen sozialen Einrichtungen, die vermittelnd tätig sind. Und da sind ganz vorne die wichtigen Unterstützenden: Beispielsweise das Labor 28, das der Ambulanz seine Laborleistungen kostenfrei zur Verfügung stellt oder gegenüber der Ambulanz die Stadtapotheke Zehlendorf, die in Sachen Rezepte und Medikamente unkompliziert kooperiert. Ultraschallgeräte, EKG-Gerät, all das kostet und wird überwiegend aus Spenden und von Sponsoren bestritten. Gerade hat die Gerhard Jaeck Stiftung aus Nikolassee die Kosten für ein neues EKG-Gerät übernommen.
„Je mehr Menschen zu uns kommen, desto mehr Geld geben wir aus. So können wir nur eine begrenzte Zahl behandeln“, bringt es Dorothea Herlemann auf den Punkt und hebt damit die Notwendigkeit der finanziellen Zuwendungen hervor. – Da wäre eine sichere und dauerhafte Finanzierung wichtig, um großzügiger planen zu können, gibt die Projektleiterin zu bedenken. Zwar gibt es seit 2022 Zuwendungen vom Senat, werden teilweise die Sprachvermittler bezahlt, doch reiche man damit nicht weit. Überhaupt seien die Sprachvermittler und Dolmetscher oftmals unterbewertet, doch unverzichtbar, meint Dorothea Herlemann. Ohne sie sei vielfach ein persönliches und ergebnisreiches Gespräch zwischen Arzt oder Beratenden und Patienten kaum möglich, auch wenn hier und da von der Ambulanz „Triaphon – zur Übersetzung in medizinischen Notfällen“ genutzt werden kann und immerhin ¾ des Ambulanz-Teams Russisch, Türkisch, Englisch und Deutsch spricht.
Die Leistungen in der Zehlendorfer Anlaufstelle werden von ganz unterschiedlichen Menschen angenommen: Da sind Säuglinge, deren Eltern aus Gründen einer fehlenden Geburtsurkunde von der Krankenversicherung keine Versichertenkarte für ihr Kind erhalten. So, wie viele vietnamesische Mütter, deren Kinder zwar einen deutschen Vater haben, darüber aber keine beurkundete Vaterschaft vorliegt, oder Menschen mit Migrationshintergrund. Viele Menschen finden aber auch in unserem Land trotz ihres rechtlichen Anspruchs auf Krankenversicherung und somit auf medizinische Versorgung nicht den Weg in ein komplexes Gesundheitssystem und nutzen die Anlaufstelle. Auch Wohnungslose suchen daher die Ambulanz auf, doch da diese keine Duschen hat, ist deren Zahl eher klein. Daneben nutzen ukrainische Geflüchtete häufig die Ambulanz aus folgendem Grund: In der Ukraine waren diese Menschen vom Gesundheitswesen her gut versorgt, sind hier vielfach bei Verwandten untergekommen. Doch je mehr Kinder nun hier in der Stadt sind, desto mehr Kinderärzte werden auch benötigt. Da gestaltet sich die Suche nach einem Kinderarzt oftmals schwierig, sodass die Ambulanz dann als beste Möglichkeit genutzt wird, um fündig zu werden.
Man sieht also, die Herausforderungen der Anlaufstelle in Zehlendorf sind vielfältig und zu einem Großteil nur durch den Einsatz selbstlos ehrenamtlich Tätiger so erfolgreich zu bewältigen.
Dass diese Einrichtung in Sachen Finanzierung nicht aus den Augen verloren werden darf, ist für Mitbegründerin Dr. Pia Skarabis-Querfeld Herzensangelegenheit. Sie betont: „Es ist für uns sehr wichtig, gesehen zu werden. Denn wir übernehmen staatliche Aufgaben.“
Jacqueline Lorenz
open-med-Ambulanz Steglitz-Zehlendorf
(Ambulanz für Menschen ohne Krankenversicherung)
Teltower Damm 8a
14169 BerlinTelefonisch erreichbar
Mo. – Do. von 11 Uhr bis 18 Uhr
mobil: 0176 6315 2094Weitere Informationen unter www.medizin-hilft.org
Ehrenamtlich Interessierte können sich unter E-Mail info@medizin.org melden.
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Medizin hilft e. V.
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