Erschienen in Gazette Charlottenburg September 2023
Rund um die Kantstraße in Charlottenburg findet man ein großes Fastfood-Angebot vom Döner bis zur Currywurst. Gesundes Superfood dagegen ist eher schwer zu finden. – So ging es auch dem Rechtsanwalt Kevin Keßler, der am Olivaer Platz arbeitete und in seiner Mittagspause vergeblich nach einem gesunden Mittags-Imbiss suchte. In der Pandemie am Küchentisch daheim reifte dann sein Entschluss, diese Lücke mit einem eigenen Lokal ganz nach seinen Vorstellungen zu schließen. Microgreens – junge, wenige Tage alte Keimpflänzchen mit hoher Nährstoffkonzentration – faszinierten ihn schon länger, waren die Ausgangsidee. Inzwischen hat sich Kevin Keßler seinen Traum verwirklicht und betreibt hauptberuflich das Restaurant „House of Greens“ in der Kantstraße, zweites Standbein ist die Juristerei. Sein Ziel: „Ich will hier in gesunden und nachhaltigen Produkt-Variationen dieses fantastische Grünzeug unters Volk bringen.“ Denn im Gegensatz zu anderen Ländern und den USA, wo dieses Superfood längst Trend ist, tut sich Deutschland mit Microgreens noch schwer.
In den Räumen eines ehemaligen Thai-Restaurants wachsen unter Kevins prüfenden Auge nun aus vorab bei ausgesuchten deutschen Verkäufern auf Keimbelastung und Keimfähigkeit streng geprüften Samen junge Pflänzchen, sozusagen Miniaturversionen unserer Lieblingsgemüse: Brokkoli, rote Bete, Möhre, Rettich, Kohlrabi, Grünkohl, Spinat, Senf oder Sonnenblume werden als wenige Tage alte Pflänzchen nur wenige Zentimeter hoch – meist im Alter zwischen 7 und 14 Tagen – frisch geerntet. Dem Genießer schenken sie dann im „House of Greens“ in Salaten, Bowls, Toppings, Smoothies und Säften sowie auf Kuchen und Waffeln, beim Brunch oder Frühstück ihre gesunde Kraft an Vitalstoffen. Der Gast kann sie mit gutem Gewissen essen, denn kein Regenwald wurde für sie abgeholzt, keine Flugkilometer rund um den Globus wurden in sie investiert, vielmehr kommen sie ohne Transportweg „zu Fuß“ knackfrisch an den Tisch. Für alle sichtbar und nur getrennt durch Glasscheiben wachsen die Pflänzchen in Kevin Keßlers Laden im separaten „Growroom“ bei konstant 25 °C und 50-60 Prozent Luftfeuchtigkeit komplett hydroponisch in Edelstahlbehältern heran. Ohne Erde und Substrat werden diese sogenannten Microgreens aus Samen gezogen, wobei sie ihren Nährstoff- und Wasserbedarf über eine die Wurzeln umblubbernde Nährstofflösung decken. Dabei entsteht kaum Abfall: Lediglich die Wurzeln werden schließlich über den Biomüll entsorgt.
Die geballte Energie und der Vitaminreichtum aber, welche die Pflanzen eigentlich zum Großwerden in sich tragen, landet mit den verschiedenen Microgreens auf dem Teller und im Glas und ist vielfach höher als später im reifen Gemüse. Im Geschmack spiegelt sich die jeweilige Gemüseart häufig, aber nicht immer wider; stets jedoch entfalten sich auf der Zunge frische Aromen mit etwas Schärfe, die den in den Keimlingen noch verstärkt vorhandenen Senfölen zu verdanken sind. Man isst den am Stielansatz abgeschnittenen oberirdischen Teil der Microgreens – im Gegensatz zu den Sprossen, die sich in einem früheren Entwicklungsstadium befinden. Bei den Microgreens sind die Keimblätter deutlich sichtbar, die Pflanzen benötigen etwas Licht, damit sie Photosynthese betreiben und ihre grüne Farbe entwickeln können. Das Zeitfenster für die Ernte ist kurz. Sie muss erfolgen, bevor die Keimblätter Bitterstoffe zum Schutz der Pflanze vor Fressfeinden entwickelt. Nachtschattengewächse wie Tomaten werden nicht genutzt wegen des darin enthaltenen gesundheitsschädlichen Solanins. So bilden die angebotenen Microgreens eine gesunde Ergänzung zum unverzichtbaren Gemüse auf unseren Tellern.
Fast klinisch rein präsentieren sich die Minipflänzchen im Schaufenster, das den Blick in den Growroom, den Keimraum, freigibt. Im Laden eine warme unaufgeregte Atmosphäre mit unaufdringlicher Musik, Naturmaterialien in Grautönen, Grün an den Wänden, helles Holz., Edelstahl. Vor dem Laden ist noch Baustelle. Der Versuch des House-of-Greens-Betreibers, das Baugerüst mit Blumenkästen zu verschönern, schlug fehl: Passanten können Ignoranten sein, nutzten die Kästen als Mülleimer. Im aktuellen Angebot des „House of Greens“ überwiegend Kalte Küche aus dem kleinen Küchenbereich mit Bowls und Suppen; Kevin Keßler ist bekennender „Suppenkasper“. Gesundheit gepaart mit gutem Geschmack hat im Haus der Microgreens das Sagen. Es gibt keinen Alkoholausschank, dafür aber ein Tee- und besonderes Kaffeeangebot. Der kontrollierte Humboldt-Spezialkaffee aus nachhaltigem Direkthandel wird fast um die Ecke im Röstwerk am Schloss Charlottenburg in der Humboldt-Manufaktur geröstet, ist inzwischen längst mehr als „Beiwerk“ der Microgreens und hat schon so manchen Kaffeefeinschmecker in seinen Bann gezogen. Das Team, das Keßler unterstützt, bringt wertvolle Gastronomie-Erfahrung mit. Sechs Tage in der Woche ist das „House of Greens“ geöffnet, Dienstag ist Ruhetag.
Gesundes Grün in seiner Reinform hatte es Kevin Keßler schon immer angetan. 2009 kam er vom Bodensee nach Berlin. Er erzählt: „Ich hatte schon immer irgendwo irgendwelche Pflanzen. Als ich von einem Moos-Burger erfuhr, musste ich unbedingt Moos züchten.“ Die heimische Schuhkammer wurde also zum Pflanzenlabor umgerüstet. Doch das Moos wuchs nur langsam im Nährstoffnebel und war schimmelanfällig. Nun im „House of Greens“ hat der Pflanzenzüchter aus Leidenschaft mit den verhältnismäßig leicht zu ziehenden Microgreens seine Berufung gefunden, die er in den kommenden Jahren unverkrampft dank sicheren beruflichen zweiten Standbeins ausbauen will. Nach dem ersten Schritt, der ihm innerhalb von über einem Jahr bereits etliche zufriedene Stammkunden und aufgeschlossene Nachbarn gebracht hat, will er nun den zweiten gehen und Microgreens in größeren Mengen für Privatabnehmer züchten. Denn die Gäste fragen oft danach. Auch immer neue Sorten probiert Kevin aus, aktuell Koriander, auch wenn der nicht jedermanns Sache ist. Eis mit Microgreens will er demnächst angehen. „Ausprobieren macht mir einfach viel Spaß“, gesteht er, der ein ganz gemischtes Publikum, Jung und Alt mit seinem ebenso abwechslungsreichen wie gesunden Angebot einfach zuzubereitender Speisen anspricht: Da sind die Mittagsgäste aus umliegenden Büros, ist die Brunch-Community und da sind die Kaffeegäste, die das „House of Greens“ als einen ganz besonderen Ort für entspannendes Superfood entdeckt haben und gespannt auf seine Weiterentwicklung sind.
Weitere Informationen unter www.houseofgreens.de
Jacqueline Lorenz
House of Greens
Kantstraße 105, 10627 Berlin
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