Erschienen in Lankwitz & Lichterfelde Ost Journal Oktober/November 2023
Plastik, in unserer Wegwerfgesellschaft längst zum Problem für die Natur geworden, lässt sich nicht so einfach aus der Welt schaffen. Durch Upcycling eine sinnvolle Nachnutzung von Kunststoffen wie Polypropylen (PP) oder HDPE (High-Density-Polyethylen) auf den Weg zu bringen und junge Menschen für einen überlegten Umgang mit Plastik zu sensibilisieren, hat sich das Nachbarschaftshaus (NBH) Wannseebahn e. V. auf die Fahne geschrieben: Mit seinem Projekt frei nach dem Motto „Her mit dem Rohstoff aus der gelben Tonne“ setzt sich der Verein füreinander und miteinander gemeinsam mit Kooperationspartnern wie Schulen und Jugendeinrichtungen in Steglitz-Zehlendorf für ein zweites Leben ausrangierten Plastikmülls ein. Dabei spielt kreative Zweckentfremdung eine wichtige Rolle, die das zuerst gesammelte, dann geschredderte und schließlich in neue Form geschmolzene Plastik fantasievoll wiederbelebt.
Karl Maurer, Sozialpädagogischer Leiter Jugendarbeit vom NBH Wannseebahn e. V., erklärt, wie es zum Projekt kam: „Gemeinsam mit Jan Ehlen von der Botanikschule im Botanischer Garten fragten wir uns 2020 während der Corona-Hochphase, was man gemeinsam mit den Jugendlichen eigentlich machen könne. Wir kamen zu dem Entschluss: Sammeln und Produzieren!“ Seine Kollegin, Projektleiterin Jessica Iff, fährt fort: „Wir hatten in dieser Pandemie-Phase viel Zeit für die Prozessentwicklung dieser Idee, haben ein halbes Jahr zum Thema Plastik-Upcycling vieles ausprobiert und mit einer kleinen Gruppe Jugendlicher aus der JFE Schottenburg experimentiert. Die Maske hatte man ja zu dieser Zeit sowieso auf – günstig für den Produktionsgang.“ Kurz zuvor hatte der NBH Wannseebahn e. V. die Trägerschaft über diese Jugendfreizeiteinrichtung am Brittendorfer Weg übernommen. Das Projektziel erklärt Karl Maurer so: „Wir wollen Jugendlichen vermitteln, dass Kunststoff eine tolle Sache sein kann, aber dass man auch bedacht damit umgehen muss.“ Und was die Industrie in bereits größeren Upcycling-Verfahren umsetzt – beispielsweise die Herstellung von Flip-Flops aus alten Autoreifen – geht der im Bezirk gut vernetzte Verein nun mit Jugendlichen in passendem Rahmen an. Dabei stehen die fünf großen „S“ für das Nachnutzungsprojekt der Kunststoffe PP und HDPE: Sammeln, Säubern, Sortieren, Schreddern und Spritzgussverfahren zeigen den Produktionsweg von der Plastikflasche zum Schlüsselanhänger oder Klemmbrett verständlich auf. Dass dieses Projekt nach relativ kurzer Zeit schon je eine Schreddermaschine und eine Maschine für das Spritzgussverfahren vorweisen kann, geht nicht zuletzt auf den engagierten gemeinsamen Einsatz von NBH-Trägerteam und Jugendlichen der Freizeiteinrichtungen zurück, der Sponsoren, Bezirksamt und Fachleute mit ins Projektboot holte und damit sowohl finanzielle Unterstützung als auch wichtige fachliche Beratung sicherte. Karl Maurer dazu: „Zahlreiche wichtige Akteure unterstützen uns bei unserem Projekt im Hintergrund.“ So auch der Verein „Open Source Economy“, der als Plattform für im Nachhaltigkeitsbereich arbeitende und derartige Upcycling-Maschinen herstellende Techniker und Ingenieure steht: Mit der Bauplanveröffentlichung zu den vom NBH Wannseebahn e. V. angeschafften Schredder- und Gussmaschinen ermöglicht er dem Verein, seine Maschinen schonend und regelmäßig selbst zu warten.
Längst hat der Gedanke der Nachhaltigkeit in die Schulfächer Einzug gehalten und ist immer stärker in den Köpfen von Lehrenden wie Lernenden verankert. Bedingt durch den Schwund der natürlichen Ressourcen und durch gesellschaftlichen Wandel gewinnt Upcycling zunehmend an Bedeutung. Wichtige Projekt-Kooperationspartner zum Thema Upcycling sind für den NBH Wannseebahn e. V. mit ihren Projektwochen etliche Bildungseinrichtungen und Jugendfreizeiteinrichtungen im Bezirk wie die Mühlenau-Grundschule, die Conrad-Schule, der Campus Albert Schweitzer und die Nord-Grundschule – nicht zuletzt dank aktiver Sozialarbeiter. Auch mit dem Mittelhof besteht reger Austausch.
In der JFE Schottenburg wird das Thema Upcycling vertieft, der NBH Wannseebahn e. V. bietet wertvolle Theorie-Workshops zum Thema, auch in den Ferien, und ist regelmäßig mit seinem Team primär im Bezirk aufklärend unterwegs, so auch anlässlich der diesjährigen Nachhaltigkeitswoche am 14. und 15. Juni im Boulevard Berlin. Jessica Iff betont: „Wir lehren einführend zum Projekt die Theorie passend zur jeweiligen Altersstufe, schaffen so das Bewusstsein für einen überlegten Umgang mit Plastik.“ So werden aktiv Brücken zwischen den jungen Menschen im Bezirk hin zur Nachhaltigkeit geschlagen, spielerisch und spannend zugleich. Werden in der 1. Klasse aus aufgebügelten Plastiktaschen noch Wimpelketten gebastelt, können die Schülerinnen und Schüler ab der dritten Klasse bereits an den mobilen Maschinen erste Erfahrungen sammeln. „Mobile Maschinen und Geräte sind für uns wichtig, um damit den Jugendlichen entgegenzukommen. Flexibilität ist heute wichtig, um sie besser erreichen zu können“, betont Karl Maurer.
Die Schottenburg, die mit etlichen Projekten wie Fahrradwerkstatt und Werkzeugverleih, Foodsharing oder Modeupcycling das Thema aufgreift, schenkt Gegenständen aus Kunststoff ein zweites Leben, anstatt sie achtlos in den Müll zu werfen. Wie diese Wiederbelebung aussehen kann, lernen Kinder und Jugendliche in der Jugendfreizeiteinrichtung und in den Lerngruppen, in denen alle gleichermaßen willkommen sind und kostenlos mitmachen können. In den kooperierenden Schulen stellen sie selbstgebaute Sammelstationen auf, in denen der Kunststoff erst einmal gesammelt wird. Anschließend wird er gewaschen, sortiert und geschreddert, um danach aufgeschmolzen und neu verarbeitet zu werden. So erhält Altes eine komplett neue Form. Schlüsselanhänger, Türstopper, Handy-Halterungen, Buchstaben und Schneidebretter sind nur einige der daraus neu und sortenrein hergestellten Gegenstände. Und aus 100 Flaschendeckeln entsteht ein Klemmbrett. Im Schulhort erhalten die Erstklässler Seepferdchen-Schlüsselanhänger aus dem 3D-Drucker, auf denen steht „Ich war mal ein Plastikdeckel“. Plastikflaschen etc. zum Upcycling können in der Freizeiteinrichtung Schottenburg, in den kooperierenden Schulen und im NBH Wannseebahn e. V. in der Berliner Straße 82 in Zehlendorf abgegeben werden. Wie gut dieses Angebot genutzt wird, zeigen dort Taschen voller Plastikmüll, der auf seine Metamorphose wartet. „Eine große Tasche voller Plastik kommt monatlich allein schon von mir zusammen“, verrät Projektleiterin Jessica Iff.
„Jugendliche brauchen Räume. Wenn wir welche frei haben, können sie von anderen genutzt werden“, erklärt Maurer. So stehen unter der Trägerschaft des NBH Wannseebahn e. V. ggf. freie Räume in der Schottenburg für Workshops und für Treffen anderer Einrichtungen offen, auch hier wieder ganz nach dem Vereins-Motto „Füreinander-Miteinander“.
Als ein Forum für Menschen, die, unabhängig von Alter und politischer oder konfessioneller Zugehörigkeit, das Leben in ihrem Stadtteil und Bezirk mit kulturellen und sozialen Angeboten sowie mit gezielten Initiativen gestalten möchten, versteht sich der Verein, der 1994 gegründet wurde und im nächsten Jahr 30 Jahre Bestehen feiern kann. Ein Jahr später, 1995, wurde das Nachbarschaftshaus mit dem Schülerclub für Kinder gegründet. Schulstation in der Mühlenau-Grundschule und Übernahme der Trägerschaft für den Schulhort dieser Schule folgten. Wichtige Schulsozialarbeit leistet der Verein u. a. auch am Paulsen Gymnasium, am Arndt Gymnasium und der Gail S. Halvorsen Schule. Anfang 2016 übernahm der NBH Wannseebahn e. V. die Trägerschaft des Kinder- und Jugendbüros im Bezirk und seit 2020 gestaltet er auch die Angebote der JFE Schottenburg. Der Verein ist dem Verband für sozial-kulturelle Arbeit angeschlossen und Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband.
Gut besucht ist seit 2008 das „Mobile Wohnzimmer“, für Jugendliche unterwegs und jeden Dienstag in der Zeit von 16 – 18 Uhr als buntes „MoWo“ für Jugendliche Anlaufstelle am Hermann-Ehlers-Platz, die hier bei Snacks, Musik, Powerbanks, Spiel und Spaß finden und ihre Meinung sagen können. Auch über dieses Projekt kommt das Jugendarbeitsteam den Problemen, Wünschen und Vorstellungen der Jugendlichen näher. „Dadurch können wir mit unseren Projekten stärker auf ihre Potentiale und Bedürfnisse eingehen“, erklärt Karl Maurer, der sich auch zukünftig viele Multiplikatoren wünscht, die die Arbeit des Nachbarschaftshaus Wannseebahn e. V. unterstützen.
Weitere Informationen unter www.wsba.de
Jacqueline Lorenz
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