Erschienen in Gazette Steglitz und Zehlendorf Oktober 2017
Der Begriff Inklusion wurde in den vergangenen Jahren oftmals nur unter den Gesichtspunkten der inklusiven Pädagogik betrachtet. In diesem Bildungssystem lernen Menschen mit und ohne Behinderung von Anfang an gemeinsam. Inklusion bedeutet zugleich aber auch z. B. die Schaffung von Strukturen in der Gesellschaft, in denen allen das selbstverständliche Recht auf Teilhabe ermöglicht wird und sich barrierefrei in ihr zu bewegen. Zu diesem Themenkomplex nehmen die Fraktionen in der Bezirksverordnetenversammlung in den folgenden Beiträgen Stellung.
Das christliche Menschbild sieht den Menschen geschaffen als Ebenbild Gottes – ob mit oder ohne Behinderung. Für uns als CDU steht deswegen im Mittelpunkt jeder schulischen Arbeit das Wohl des einzelnen Kindes. Deswegen halten wir an der Wahlfreiheit fest: Den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, bedeutet für uns, die Vielfalt der Lebensläufe in den Blick zu nehmen. Dies schließt auch die Möglichkeit ein, dass es für bestimmte Kinder mit Behinderungen auch weiterhin Förderschulen/Sonderschulen geben sollte. Eltern, die ihr Kind aufgrund der jahrzehntelang entwickelten guten Förderbedingungen in dieser Einrichtung weiter gefördert wissen wollen, verdienen denselben Respekt wie Eltern, die einen Regelschulplatz für ihr Kind wünschen. Ferner plädieren wir für einen ehrlichen Zeitplan bei der Realisierung von Inklusion. Eilige Maßnahmen, die Qualitätsanforderungen und Ressourcenfragen außer Acht lassen, sind nicht verantwortbar. Neben den öffentlichen Schulen setzen sich auch kirchliche und private Träger mit großem Engagement für die Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen ein. Gerade auch bei uns in Steglitz-Zehlendorf!
Dr. Clemens Escher
Inklusion darf sich nicht nur auf die Schule beschränken sondern muss im Alltag erlebbar sein. Wir setzen uns dafür ein, dass Menschen im Rollstuhl Hürden frei Kirchen, Kneipen und Kinos besuchen können. Dies ist heute oft nicht möglich. Dabei profitieren auch Familien mit Kinderwagen und ältere Menschen mit einem Rollator davon, wenn Gehwege abgesenkt und Zugänge verbessert werden. Damit niemand ausgeschlossen wird, müssen defekte Fahrstühle im öffentlichen Verkehr so schnell wie möglich repariert werden.
Blinde Menschen sollen sich im Straßenverkehr sicher bewegen können. Deshalb sind Blindenampeln zu installieren und bei Beschädigungen schnell wieder gangbar zu machen. Auch dies dauert heute noch zu lange. Und: Am Bodenbelag muss erkennbar sein, wo es einen Übergang gibt. Menschen mit und Menschen ohne Behinderung sollen zusammen lernen, arbeiten und Spaß haben. Die SPD hat sich diese Forderungen, die auch die Behindertenverbände erheben, zu eigen gemacht und setzt sich aktiv dafür ein.
Juliana Kölsch
Wenn wir über Inklusion sprechen, sprechen wir über Aufmerksamkeit und Respekt für Menschen mit Behinderungen. Wenn wir nicht aufmerksam sind, merken wir gar nicht, wo in unserem Bezirk überall Barrieren bestehen. Hürden, die Menschen von der Teilhabe abhalten. Ein hoher Bordstein, ein fehlender Aufzug bei der einzigen Fachärztin weit und breit, Betriebe, die für die Beschäftigung von behinderten Menschen nicht genügend Informationen und Unterstützung erhalten. Zur Schule gehen, auf die mein bester Freund geht? Arbeiten, wo ich will? Wohnen, mit wem ich will? So lange das nicht Alle für sich selbst bestimmen können, müssen wir sagen: Menschen sind nicht behindert, sie werden behindert! Zum Glück haben wir mit der UN-Behindertenrechtskonvention begonnen, Selbstbestimmung als Recht für alle Menschen zu akzeptieren. Wir Bündnisgrünen wollen mit unserer Arbeit im Bezirk dazu weiter beitragen. Konkret finden wir zum Beispiel, dass Inklusion nur gelingen kann, wenn wir die Schulen, die LehrerInnen und die SchülerInnen nicht mit den Problemen allein lassen. Eine große Herausforderung, aber für uns ist sie das für alle Kinder im Bezirk wert.
Carsten Berger
„Die Inklusionsfalle: Wie eine gut gemeinte Idee unser Bildungssystem ruiniert“ ist ein Beststeller. Der Autor nennt die Defizite der Inklusionsentwicklung: Unterfinanzierung, fehlenden Qualifikationen, Irrtümer und Grenzen des Konzepts Gemeinsames Lernen.
Doch von vorne: Die Inklusionsprotagonisten behaupten, mit einer UN-Resolution sei dem differenzierten deutschen Schulwesen das Ende attestiert worden. Das gibt die UN-Konvention: „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ aber nicht her. Die Konvention enthält keinen Passus, mit dem die Beschulung in Förderschulen als Diskriminierung betrachtet würde. Im Gegenteil: „besondere Maßnahmen … zur Beschleunigung oder Herbeiführung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen“ nicht als Diskriminierung gelten. In Artikel 7 (2) heißt es: „Bei allen Maßnahmen, die Kinder mit Behinderungen betreffen, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“ Daher soll stets das Kindeswohl an erster Stelle stehen: „So viel hochqualitative Integration wie sinnvoll und möglich – anspruchsvoller getrennter Unterricht überall da, wo nötig!“
Peer Döhnert
Steglitz-Zehlendorf hat ein enormes Potential: 300.000 Menschen, die darauf drängen ihre Stärken zu nutzen und die Chancen, die das Leben bietet, zu ergreifen. Dafür setzen wir als FDP die Voraussetzung: Die Möglichkeit zur Teilnahme an allen Facetten des gesellschaftlichen Lebens. Deswegen bauen wir Barrieren ab – im Kopf und im Alltag. Im Alltag bedeutet das die Ermöglichung von Wahlfreiheit. Kindern muss die bestmögliche und individuelle Bildung und Förderung zuteilwerden. So wollen wir inklusive Angebote in Freizeit und Schulen so fördern, dass Kinder mit und ohne Handicap sie wahrnehmen können. Gleichzeitig erhalten und fördern wir erfolgreich arbeitende Förderschulen. Die herausragende Arbeit von Sportvereinen und Verbänden muss stärker eingebunden werden. Ein digitales Bürgeramt, barrierefreies Wohnen im Kiez und der Zugang zu Kultur runden das Bild ab. Wir Freien Demokraten definieren Barrierefreiheit aber weiter: Wir wenden uns gegen jede Art von Diskriminierung gegen Menschen mit Einschränkungen, insbesondere gegenüber Älteren. Deren Wissen und Erfahrungen sind für den Bezirk zu wertvoll, um sie nicht zu nutzen.
Lars Rolle
Barrieren im Alltag, im Verkehr, Arbeitsstätten, Schulen, Kitas und Behörden, erschweren oder verhindern Teilhabe. Inklusion ist ein Menschenrecht – sie kann nur gelingen, wenn Hürden sowohl in baulichen, rechtlichen und administrativen Bereichen als auch in unserer persönlichen Haltung überwunden werden. Das bedeutet für uns als Linksfraktion das Recht auf inklusive Bildung, Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt zu Mindestlohn, auf selbstbestimmtes Wohnen ebenso wie den Zugang zu Kultur, Freizeit und Sport. Das Wahlrecht für alle Menschen mit Behinderung ist für uns eine Frage der Menschenwürde! Für die BVV- und AGH-Wahlen 2021 wird dies durch R2G ermöglicht, im Bund bräuchte es dafür endlich einen Politikwechsel!
Wir unterstützen die Erhöhung der Zahl von barrierefreien Wahllokalen im Bezirk. Im städtebaulichen Vertrag mit der Groth-Gruppe muss für das Areal in Lichterfelde Süd verbindlich ein fester Prozentsatz barrierefreier Wohnungen festgelegt werden. Für inklusive Sportvereine müssen ausreichend Hallenzeiten im Bezirk bereitgestellt werden. Wir brauchen überall Inklusion – denn sie nützt uns allen!
Gerald Bader
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