Erschienen in Dahlem & Grunewald Journal Dezember/Januar 2023
Eigentlich hat Reiner Kolodziej aus Lichterfelde Ost sein Buch „Die frühen Jahre“ für seine Kinder und Enkel geschrieben. „Um ihnen die deutsche Nachkriegszeit, die Zeit des Wiederaufbaus sowie die Zeit des Vietnamkriegs aus meinen persönlichen Erfahrungen anschaulich näherzubringen“, wie er sagt. Überredet dazu hatten ihn schließlich zwei Freunde. Das Buch, das aus eigener Regie entstanden ist, wurde weitaus mehr als eine Familiengeschichte und steht damit für viele Familien in den USA, in Asien und Deutschland, für die das Ende des 2. Weltkrieges, das Wirken im besiegten Deutschland sowie der Vietnamkrieg in den 60ern tiefe Spuren hinterlassen haben. Darüber hinaus biete es sich für jüngere Generationen mit seinen verständlich vermittelten Hintergrundinformationen zur Historie als gut lesbare Begleitung für den Geschichtsunterricht an.
Bildhaft schildert Reiner Kolodziej im Buch „Die frühen Jahre“ seiner Lebensgeschichte, die ihm überaus turbulente Zeiten in Deutschland und in den USA brachten.1946 wurde Reiner in Norddeutschland geboren, bereits 1950 kehrten seine Eltern mit der Familie in die Heimat seiner Mutter nach Berlin-Lichterfelde zurück, wo sich die Eltern bald trennten. Als Trennungskind wuchs Reiner im Fuhrgeschäft seines Großvaters an der Ferdinandstraße und an der Lorenzstraße inmitten von Lichterfelde Ost auf, was dem Leser anschaulich vor Augen geführt wird. – 1958 heiratete dann Reiners Mutter den in den McNair-Barracks stationierten US-Soldaten Albert Kolodziej, der Reiner und seine Schwester Monika wenig später adoptierte. – Für den 12-jährigen Reiner bedeutete das zuerst einmal freien Eintritt in das der U.S. Army und ihren Angehörigen vorbehaltene Schwimmbad in der Finckensteinallee.
1959, mit Ende von Alberts Stationierung in Deutschland, ging es für die junge Familie auf nach Amerika, das die gebürtigen Deutschen anfangs wenig begeisterte. Albert hatte viele amerikanische Geschwister und die Familie Kolodziej – polnische Einwanderer der zweiten Generation – in Pennsylvania war groß. Als Stiefvater Albert seinen Dienst in Ford Devens bei Fitchburg in Massachusetts antreten musste, nahm er seine neue kleine Familie mit dorthin. Alltagssorgen gab es reichlich, das Einleben war nicht leicht für die Deutschen. Reiner arbeitete daran, akzentfrei Amerikanisch sprechen zu lernen, sein Freund war der Fernseher, später Hund Snoopy und das amerikanische Kino mit seiner schier endlosen Filmauswahl. In der Schule wurde es dem deutschen Jungen nicht leicht gemacht: Der Ruf Deutschlands war relativ kurz nach dem Krieg nicht der beste. Doch Reiner wuchs in das amerikanische Leben hinein, mit Basketball und ersten Dates mit Mädchen gehörte er bald dazu. Seine Schwester heiratete einen Soldaten aus Fort Devens – und dann ging es für Albert wieder zurück nach Berlin.1962 folgten ihm Mutter Hilde und Reiner – inzwischen amerikanische Staatsbürger – per Schiff über den großen Teich. Zurück in Berlin-Lichterfelde standen ihnen die großen Militäreinkaufshäuser commissary und post exchange PX so weit offen wie die Tür ihrer Wohnung für Verwandtschaft und väterliche Soldatenfreunde, denn Alkoholisches und Zigaretten gingen Albert nie aus. Mit seinem besten Freund Henryk aus Lichterfelde Ost gab es für den 16-jährigen Reiner, der als Militärangehöriger nun am Hüttenweg die amerikanische Thomas A. Roberts High-School besuchte, wichtige Erfahrungen auszutauschen: Übers Autofahren bis hin zu amerikanischen Schlagersongs. Ein „richtiger“ Amerikaner wurde Reiner aber auch auf der High-School nicht, wieder war er hier „the German kid“, auch wenn er recht fußballerfahren gute Grundlagen für die Soccer-Schulmannschaft mitbrachte.
Sorgenfreiere Lichterfelder Jahre verlebte Reiner von 1962 -1964; mit Freundin, Clique, mit Freizeitheimen (Folke-Bernadotte-Heim) und Beatschuppen (Sorgenpause) in der Nähe.
Spannend und beeindruckend auch die Schilderung Reiner Kolodziejs über seine weiteren Jahre zurück in Amerika, wo er sich 18-jährig als Freiwilliger (RA) bei der U.S. Army meldete – und sich so Dienstort und Berufsausbildung (Funker) aussuchen durfte. Die Grundausbildung in Fort Dix in New Jersey war hart, Heimweh machte sie nicht leichter. Die Weiterbildung zum Funkfernschreiber führte Reiner in Amerikas Süden. In der Folgezeit pendelte er zwischen Deutschland und Amerika. Seine neue Dienststelle wurde 1965 die Militärbasis Rhein-Main in Frankfurt, von wo aus er mit etwas Glück und per Anhalter via Militärflugzeug Abstecher nach Berlin unternehmen konnte. Nach vier Jahren Armeezugehörigkeit wurde Reiner zur „Belohnung“ nach Berlin in die Andrew Barracks an der Finckensteinallee versetzt, – wo bereits sein leiblicher Vater Otto vor 30 Jahren bei Hitlers Leibstandarte stationiert gewesen war.
Seit 1966 tobte der Vietnam-Krieg. Auch Funker Reiner Kolodziej geriet in seinen Strudel, erhielt den Marschbefehl in Berlin: Kriegsvorbereitung in Kansas, November ´66 per Schiff ab nach Vietnam; Seekrankheit, Alkohol, Henkersmahlzeit. Kurz vor Weihnachten war Camp Bear Cat in Vietnam erreicht, das „Weihnachtsgeschenk“ für Reiner: ein vierstündiger (überlebter) Wachdienst zur Grenzbewachung.
Ein falsch überreichter Orden, das unerwartete Treffen mit dem Stiefvater in Vietnam, der wenig später schwer kriegsversehrt wird. – Schließlich die Stationierung auf der Insel Okinawa im Ostchinesischen Meer, die ihm kurz eine kleine Familie beschert – nur einige seiner Erlebnisse, die Reiner Kolodziej, der Junge aus Lichterfelde, fesselnd im Buch zu erzählen weiß.
1968 endet Reiners Militärzeit, die lang genug gewesen ist. Alles hat seine Zeit.
Mit dem erhaltenen „Bonus for vietnam-veterans“ in Höhe von ganzen 300 US-Dollar zahlte Reiner 1969 das Flugticket zurück nach Deutschland. – Und lässt auch sein Buch „Die frühen Jahre“ damit enden.
Die Eingewöhnung brauchte ihre Zeit. Doch neue wilde Jahre erwarteten Reiner Kolodziej in Berlin an der Seite von AStA-Studenten. In der Druckerei der linkssozialistischen Publikation des Berliner „Extra-Dienst“, die als Gegengewicht zur Springer-Presse galt, arbeitete Reiner nun als Drucker. – Nach deren Pleite fand er als Drucker Arbeit in einer großen Steglitzer Druckerei.
Seine Frau wird Grundschul-Lehrerin, sodass der zweifache Familienvater Reiner also beschließt, Hausmann zu werden, später Tagesvater auch für andere Kinder. Seine Tätigkeit in der Druckerei behält er stundenweise bei, ist bald aktiv als Basketballtrainer im TuS Lichterfelde unterwegs und engagiert sich im Betriebsrat. Er bringt sich im GKR der Kirchengemeinde Petrus-Giesensdorf ein und unterstützt die Kulturarbeit an der Petruskirche. Mit seiner eigenen kleinen Druckerei, die er bis vor zwei Jahren hatte, druckte er als Grafiker und Drucker u. a. die Gemeindebriefe. – Und sein Buch.
Und heute? „Ich überlege, ‚Die frühen Jahre‘ ins Amerikanische zu übersetzen“, verrät der Autor, inzwischen schon zweifacher Großvater. Unterstützen bei der Übersetzung könnte ihn darin vielleicht seine Schwester, die noch in Amerika lebt. „Bis heute hat sie ihren deutschen Akzent behalten“, schmunzelt ihr Bruder. ´86 war er das letzte Mal drüben: „Alles sah da so ganz anders als früher aus.“
Dass diese historisch wichtige Zeit, über die das Buch erzählt, nicht vergessen wird, in den Köpfen bleibt, dafür setzt Reiner Kolodziej sich ein: „Denn man lebt in der Erinnerung weiter.“ Gegen das Vergessen setzt er, der nach wie vor in Lichterfelde wohnt, sich aktuell auch an der Seite von Lichterfelder Bürgern mit einer Unterschriftenliste für „die Erinnerung an die Präsenz der US-Amerikanischen Streitkräfte“ ein: „Erinnerung braucht Orte“, heißt es darin, und es wird aktuell dafür plädiert, die RTO Station am Bahnhof Lichterfelde West als einen solchen Erinnerungsort zu erhalten: Nach dem Mauerbau 1961 war West-Berlin eine von der DDR umschlossene Insel. Die US-Amerikanischen Streitkräfte schufen daher mitten im „Kalten Krieg“ für die in West-Berlin stationierten Militärangehörigen eine Bodenverbindung zur Rhein-Main-Airbase in Frankfurt am Main. Damit demonstrierte die amerikanische Schutzmacht in Berlin ihr Recht auf freien Zugang in die westliche Welt. Im Gegensatz zu den drei „Transitstrecken“ in die Bundesrepublik konnte dieser Zugang weder von der Volkspolizei der DDR noch von sowjetischen Streitkräften kontrolliert werden. Die Bahnlinie und der Haltepunkt auf der RTO Station (Rail Transport Organization) wurden zum Symbol. Sie bedeuteten freien Zugang der Alliierten nach West-Berlin. – Eine Stele zur Erinnerung mit „Informationen an einen Ost-West-Konflikt“ sollte an dieser Stelle aufgestellt werden, fordert die Bürgerinitiative. Außerdem droht die Station mit ehemaligem Ankunftsgebäude zu verfallen, und benötigt eine schnelle Wintersicherung. Auf Bürgerinitiative hin wurde aktuell in der BVV von der FDP- und Grüne-Fraktion dazu ein Antrag gestellt. – Damit ein Erinnerungsort mehr für Folgegenerationen erhalten werden kann.
Interessenten am Buch (12,90 Euro) von Reiner Kolodziej können sich bei ihm melden unter Telefon 0170 328 1100 oder E-Mail mediaray@t-online.de
Jacqueline Lorenz
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