Erschienen in Zehlendorf Mitte Journal Dezember/Januar 2023
Ein Spaziergang über den Evangelischen Friedhof Nikolassee am Pfeddersheimer Weg wird schnell zu einer Reise in die Vergangenheit: Etliche Schilder an den Gräbern erzählen da die Geschichten bekannter Leute, die von sich Reden machten: Namen wie Jochen Klepper, Peter Lorenz, Axel Springer oder Hermann und Anna Muthesius wecken da Erinnerungen unterschiedlichster Art. Dabei findet man deutlich mehr Männer als Frauen unter den Beschriebenen – auch wenn hinter jedem erfolgreichen Mann bereits vor Jahrzehnten manch starke Frau gestanden haben mag.
Als Zeichen dafür hat nun auf Anstoß durch die Kirchengemeinde Nikolassee mit Historiker Prof. Dr. Eckart Henning und Dr. Norbert Bensel vom Förderverein der Gemeinde die bis vor Kurzem noch namenlose Treppenanlage, die von der Potsdamer Chaussee zum Rehsprung an der Rehwiese führt, den Namen Anna-und-Hermann-Muthesius-Steig erhalten. – In Erinnerung an das einst in Nikolassee aktive Architektenehepaar, an deren ehemaligem, an der Potsdamer Chaussee 49a gelegenen, von Zweckmäßigkeit geprägten Landhaus mit seinem 1991/92 als Gartendenkmal wiederhergestellten Garten der Steig vorbeiführt. Hinter Hecken versteckt, ist das Anwesen kaum noch einsehbar. Bereits im vergangenen Jahr war die Benennung des Steiges angeregt worden mittels an die BVV jeweils von CDU-Fraktion und Ampelzählgemeinschaft gestellter Anträge.
Während der CDU-Antrag den Namen „Muthesius-Steig“ favorisiert hatte, sprach sich der Antrag der Ampelzählgemeinschaft für einen deutlich umfangreicheren Namen aus, um beiden Eheleuten Muthesius und ihrem Wirken damit ein Denkmal zu setzen: Diesem Antrag wurde stattgegeben, und so heißt der gerade feierlich eingeweihte Fußweg nun – ganz im Sinne der Gleichberechtigung – „Anna-und-Hermann-Muthesius-Steig“.
Damit soll dem einst ortsansässigen Architekten und Mitbegründer des Deutschen Werkbundes, Geheimrat Dr.-Ing. Hermann Muthesius (1861-1927), und seiner Frau Anna, geb. Trippenbach (1870-1961), von Gemeindemitgliedern und Bürgern in Nikolassee ihre Dankbarkeit für das vitalisierende Schaffen der Beiden zugunsten dieses Ortsteils bewiesen werden.
Skeptiker dieser gleichberechtigenden Benennung des Fußsteiges sind indessen gespannt, ob sich diese Art der Doppelbenennung zukünftig durchsetzen wird. Dann dürfte es vielleicht in naher Zukunft auch einen Minna-und-Richard-und-Cosima-Wagner-Platz geben: Denn Richard Wagner hatte zwei Ehefrauen, Minna und Cosima, die erfolgreich Karriere machten: Die erste als Sängerin, die zweite als Pianistin.
Die Bauten von Hermann Muthesius prägen bis heute das Ortsbild von Nikolassee, lösten sie als Vorstadthäuser in Schlachtensee, Zehlendorf-West und Nikolassee doch den älteren Typ der von der Heimstätten A.G. errichteten „Villen“ weitgehend ab. Auf seinen Auslandsreisen hatte der Baumeister besonders in England errichtete Landhäuser neuen Typs kennengelernt. Geprägt von diesen Eindrücken, errichtete er 14 Landhäuser vor Ort (11 in Nikolassee), von denen noch 13 stehen. Modell stand ihnen das eigene Landhaus der Muthesius´. Heute stehen die Bauten größtenteils unter Denkmalschutz, nicht zuletzt dank des Einsatzes von TU-Bauhistoriker Prof. Dr. Julius Posener (1904-1996). – Ihm wurde zum Zeichen der Anerkennung seines Muthesius-Engagements im August 2012 Ecke Matterhornstraße/An der Rehwiese ein eigener öffentlicher Platz gewidmet. Baumeister Muthesius hingegen, der auch die Renaturierung des trockengefallenen Nikolassee verdienstvoll mitverantwortet, wurde bisher lediglich im Jahr 1929 mit der Benennung einer Seitenstraße der Schloßstraße in Steglitz gewürdigt. In Nikolassee, wo er und seine Frau ihre Ruhestätte – heute Ehrengrab – auf dem obengenannten Evangelischen Kirchhof haben, fehlte eine solche Würdigung bis jetzt.
Ehefrau Anna war nicht weniger sichtbar und ortsteilprägend als ihr Ehemann: Als ausgebildete Konzertsängerin wirkte die selbstständige Autodidaktin erfolgreich als Innenarchitektin und Modedesignerin. Dabei entwarf sie künstlerisch inspirierte Reformkleidung für Frauen und erkannte: „Könnte man erst gute Farben und Stoffe in jedem Laden als deutsches Fabrikat preiswert kaufen, so würde damit nicht nur den grossen Toiletten der reichen Frauen, sondern auch dem im engen Hinterstübchen mit der kleinen Schneiderin im Hause gearbeiteten Eigenkleide ein sehr grosser Dienst geleistet sein.“ Anna war Protagonistin der Reformbewegung und Mitglied des Werkbundes. Sie und ihr Mann prägten maßgeblich das gesellschaftliche Leben durch ihren in Nikolassee geführten Salon, in dem namhafte Persönlichkeiten wie Albert Einstein, Gerhard Hauptmann, Max Reinhardt, Max Liebermann, Hans Poelzig und Peter Behrens ein- und ausgingen. Anna und Hermann Muthesius hatten vier Söhne und eine Tochter, von denen die beiden Jüngsten, Eckart und Renata, mit auf der elterlichen Grabstätte in Nikolassee ruhen.
Jacqueline Lorenz
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