Erschienen in Gazette Wilmersdorf Dezember 2023
Ich mache mich auf den Weg ins nahe Wäldchen. Angefrorenes Gras knistert unter meinen Schuhsohlen. Tannen- und Fichtenzapfen möchten mitgenommen werden, am Fest in warmer Wohnstube teilhaben. Mit Goldfarbe und Pinsel werde ich ihnen ein glitzerndes Festtagsgewand anlegen. Die Deckschuppen geschlossen, prophezeien sie mir eine Reihe von Tagen mit tief hängenden Wolken und wenig Sonnenlicht, aber auch gemütliche Stunden bei Kerzenschein und einem guten Buch.
Von einem Wacholderbusch aus beobachtet mich skeptisch ein Rotkehlchen, bietet mit seiner leuchtenden Brust einen sehenswerten Kontrast zum Nadelgrün. Habe ich ihm seine Nahrungslieferanten gestohlen? – Doch es liegen noch reichlich Fichtenzapfen am Boden, leckere Samen zwischen ihren Schuppen werden mein Rotkehlchen schon sättigen!
Als Weihnachtsvogel ist er nicht nur den Briten, sondern auch mir gut bekannt und willkommen:
Galt er doch schon bei den Germanen als Überbringer der Sonne und heiliger Vogel des Gottes Thor. Und in der Christusgeschichte war schließlich er es, der als einfarbig brauner Vogel, sich auf dem Dornenhaupt von Jesus niederließ. Er beweinte das durchbohrte Haupt des Gottessohnes, zog mit seinem Schnabel einen Dorn aus der Krone und wurde dabei mit dem Blut Jesu bespritzt. Der aber segnete das mitleidige Vögelchen und verlieh ihm und seinen Nachkommen zeitlebens eine rote Brust zur Erinnerung an seine Pein.
Wie stolz streckt mir mein Rotkehlchen nun seinen wohlverdienten Federschmuck entgegen!
Aber ich muss weiter, auch der kleine Fliegenschnäpper erhebt sich mit einem kurzen Abschiedstriller aus roter Kehle.
Es raschelt über mir. – Zwischen tief hängenden Zweigen erscheint das graubraune Wintergesicht eines Eichhörnchens. Es hält eine dicke Haselnuss aus einer seiner zahlreichen Vorratskammern zwischen den zierlichen Pfötchen. Über ihm, gut getarnt in den Ästen, liegt sein gemütlich eingerichteter Winterkobel. Stunden hat es dort auf weich gepolstertem Moosbett die kalten Morgenstunde verdöst. Nun hat der Hunger es geweckt und hinausgetrieben.
Aber sei auf der Hut, Eichhörnchen! Viele hungrige Waldbewohner beobachten Dich: Unter dem Ast mit dem unbekümmerten Hörnchen hat sich bereits eine diebische Elster positioniert. Zu spät: Die Nuss rutscht aus den Pfötchen und kullert der aufmerksamen Elster direkt vor den Schnabel. Gierig greift sie die willkommene Beute und zieht sich ins Unterholz zurück, die leckere Frucht an einem Stein genüsslich aufzuschlagen, um an den fetten Kern zu gelangen. Wie verdutzt schaut da das Eichhörnchen! War das die späte Rache der Elster, weil es ihr Sommernest zum eigenen Winterquartier umgebaut hatte?
In der Natur lebt der Eine vom Anderen. Auch hier im Wald gilt dieses Gesetz, dem sich das Hörnchen unterwerfen muss. Also verliert es keine Zeit und klettert kopfüber flink vom Baum, den buschigen Schwanz geschickt als Steuerruder genutzt. Die Vorratskammern sind voll. – Auf ein Neues!
Leichter Schneefall hat eingesetzt, die Flocken glitzern und funkeln im Licht der frühen Nachmittagsdämmerung. Nur langsam komme ich voran, zu viel Faszinierendes gibt es zu entdecken: Und da ist auch der elegante Buntspecht, der letzte kältestarre Larven und Würmchen mit raschem Schlag seines Schnabels aus der morschen Baumrinde klopft. Der Wald hallt wider vom Echo seiner emsigen Holzarbeit. Der Baumeister bemerkt mich nicht, eifrig in sein Werk vertieft.
Ich will nicht stören, gehe leise weiter als rücksichtsvoller Gast in der Natur, die meine Taschen mit harzigen Tannen- und Fichtenzapfen füllt.
Da ein zartes „gib gib“: Ein ziegelroter Fichtenkreuzschnabel ist von einem kurzen Besuch aus benachbarten Gärten heimgekehrt und macht auf sich aufmerksam. Mit seinem gekreuzten Schnabel bearbeitet er einen Fichtenzapfen, aus dem er geschickt die klebrigen Samen herausgreift.
Auch er hat seine Geschichte, die zum Weihnachtsfest passt und ihn mit dem Rotkehlchen verbindet: Nach einer Legende war auch er am Kreuze Jesu anwesend, aus dem er mit seinem Schnabel die Nägel zu ziehen suchte. Den Namen „Christvogel“ aber bekam er nicht zuletzt deswegen, weil man ihn gerade zur Weihnachtszeit häufig in Menschennähe antrifft.
– Da habe ich auch schon den Waldrand erreicht, der Natur dankbar für die reichen Gaben, die sie mir so selbstlos überlassen hat.
Ich werde sie gut behüten und mich am Heiligen Abend dank zahlreicher vergoldeter Zapfen an meine kleinen Freunde im Wald erinnern.
Das Gazette-Team wünscht Ihnen auch in diesen oftmals schwer zu ertragenden Zeiten eine gesegnete (Vor)weihnachtszeit, die Raum für kraftspendende Spaziergänge in der Natur lässt.
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