Erschienen in Gazette Wilmersdorf Januar 2024
Staatlich geförderte Theater mit großer Bühne, geräumigem Foyer und pompösem Theatersaal gibt es viele. Doch nicht zu vergessen sind da die kleinen Kiez- und Zimmertheater, die ihre Türen zwischen Häuserfluchten für Nachbarn und Freunde der Theaterkunst öffnen: Meist von engagierten Menschen mit viel Liebe zum Detail privat geführt, wobei Profitdenken eher hinten ansteht.
Eines dieser privaten Kleinode, das bei Theaterkennern weit oben steht, macht in der Düsseldorfer Straße 2 in Wilmersdorf mit Schaukasten und Leuchtreklame auf sich aufmerksam: Das „Theater unterm Turm“ hat hier hinter dem Friseursalon von Monika Uecker im Jahr 2012 als Salontheater Quartier bezogen und sich zum beliebten Treffpunkt für Theaterfreunde aus ganz Berlin entwickelt. Während Ronald R.H. Uecker als Schauspielers und Intendant auf der Bühne wirkt, ist seine Frau Monika dahinter für Maske, Kostüm und als Vereinsvorsitzende für den Verein TUT e. V. zuständig, der hinter dieser kleinen, aber feinen Institution steht. Das Repertoire des Salontheaters reicht von der Lesung bis zur altgriechischen Tragödie, dargeboten von ausgebildeten Schauspielern wie Uecker selbst, die auch auf kleiner Bühne die große Welt der Geschichten überzeugend zu vermitteln wissen.
Angefangen hat alles im Jahr 2010 gleich gegenüber vom heutigen Standort unterm markanten Turm der im expressionistischen Architekturstil nach Fritz Höger Anfang der 30er-Jahre errichteten denkmalgeschützten Ev. Kirche am Hohenzollernplatz. Um alle räumlichen und Nutzungs-Anforderungen zu erfüllen, war der Gemeindesaal mit Hebebühne einst einige Meter tief in das Erdreich unter die 40 Meter lange und 14 Meter breite Grundfläche des Hauptraumes der Kirche verlegt worden. Dieser beeindruckende Raum schien wie gemacht für die Theaterpläne von Ronald Uecker: Ursprünglich hatte er Schauspiel studiert. Er erzählt: „Doch mit dem Tod von Rainer Werner Fassbinder im Jahr 1982 hatte der Beruf des Schauspieler für mich wie für so viele meiner Bühnenkollegen keine Perspektive mehr. Etliche gingen in ganz andere Berufe, wurden Lehrer.“ Und wie das Leben so spielt, studierte Uecker also BWL und landete erfolgreich in der freien Wirtschaft. – Doch einmal Schauspieler immer Schauspieler: Als ihm 2009 sein Sohn dann von einer jungen Theatergruppe berichtete, die dringend einen älteren Schauspieler suchte, entflammte seine Theaterleidenschaft neu und er überlegte nicht lange. Kurze Zeit später stand er wieder auf der Bühne, in Kreuzberg mit neuer Truppe und den „Bakchen von Euripides“, der archaischsten Tragödie des griechischen Dichters, die er kurz vor seinem Tod im Jahr 407 v. Chr. geschrieben hat. Von Berlin ging es nach Leipzig, nach Hamburg und Italien, der Erfolg und zahlreiche Auszeichnungen reisten mit.
Auf den Geschmack gekommen, eröffnete Ronald Uecker am 1. November 2010 das neue „Theater unterm Turm“ mit dem Stück „Herzliches Beileid“ von Georges Feydeau in der Inszenierung von Poyraz Dürkheim in der Kirche am Hohenzollernplatz. Uecker erinnert sich: „Der Saal unter der Kirche konnte zwar geheizt werden, doch aufgrund seiner Größe war er kaum warm zu bekommen, eigentlich hätte er zwei Tage im Voraus beheizt werden müssen.“ Da aber nur am Montagabend gespielt wurde, war der Saal dann noch nicht durchgewärmt und das Publikum holte sich spätestens in der Pause die vorher abgegebenen Mäntel. Als dann in der Düsseldorfer Straße fast gegenüber ein Laden mit dahinterliegendem, fast vergessenen Theaterraum frei wurde, griffen die Ueckers zu: Monika, die bis dahin ihren Friseursalon in der Kaiser-Friedrich-Straße führte, zog mit Trockenhaube und Kunden nach vorne, der Raum dahinter wurde zuerst nur als Probenraum genutzt, ab 2012 dann als Theatersaal.
Inzwischen zählen neben Ronald Uecker, der gerne auch mal in zwei Rollen schlüpft, sechs bühnenerfahrene Schauspieler zum regelmäßigen Ensemble, darunter Christoph und Daniela Schobesberger – Tochter von Anita Kupsch – sowie Marija Jancic. Dazu treten regelmäßig Gastkünstler auf.
Am Tag lässt sich kaum erahnen, welch Glanz an den Theatertagen Freitag, Samstag und Sonntag hier im Hinterzimmer des Theatersalons einzieht, in dem nebenan auch noch ein Büro untergebracht ist: Dann finden um die 35 Gäste Platz vor der kleinen Bühne, auf der selten mehr als vier Personen gleichzeitig stehen. Manchmal wird das Bad dahinter per Projektion mit in die Handlung einbezogen, und im Friseursalon vorne ist die Maske mit Monika Uecker im Einsatz. Garderobenwechsel erfordert genauste Organisation, damit es beim Ankleiden nicht zum Verknoten von Körperteilen und Kostümen der verschiedenen Schauspieler kommt. Leseabende, Tanzvorträge, Satire, Tragödie und natürlich aussagekräftige Komödien sind beim Publikum beliebt. „Hier ist es uns möglich, am Abend noch die ein oder andere Textänderung einzufügen, die Tagesaktuelles aufgreift “, betont Ronald Uecker, das komme beim Publikum besonders gut an. Der Spielplan wird über die Presse und den Vereinsnewsletter publiziert, die Ticketpreise liegen um die 20 Euro, je nach Stück und Besetzung. Besondere Matinees sind der Geheimtipp des Theaters. Monika Uecker erklärt: „Da gibt es dann passend zum jeweiligen Thema von uns zusammengestelltes Getränke- und Speisen-Bufett.“ So ging es passend zum Sinatra-Vormittag schon italienisch, ein anderes Mal zum „Oktoberfest“ dann bayerisch zu. Und auch im Ausstellungsbereich sind die Theatermacher aktiv, die in den Sommerferien in ihren Salonräumen Malerei von einer der ältesten Malerinnen in Zehlendorf – Beatrice Schneiderreit – präsentierten.
Etliche technische Neuerungen gab es in den letzten Jahren: Die alten, mitübernommenen Scheinwerfer, die wahre Stromfresser waren und glühend heiß wurden, hängen nur noch zur Dekoration. Sie sind längst durch platz- und stromsparende LED-Scheinwerfer ersetzt. – Kosten, die der TUT e. V. und die Macher selbst aufbringen müssen. Die Mitgliedschaft im Verein beträgt monatlich 5 Euro, beinhaltet aktuellen Newsletter, Kartenvorkaufsrecht bei Premieren, Ermäßigungen für Eigenproduktionen und „freien Blick“ hinter den Vorhang.
Für Januar geht im Salontheater hinterm Theatersalon wieder „Der Schwan in Stücken“ an den Start, der im November erfolgreiche Berlin-Premiere gefeiert hat: In der makabren szenischen Lesung mit Marcus Jürgen Zollfrank nach dem Text von Tim Krohn spielen Kochkünste, ein Kommissar als Theaterbesucher, ein Mordfall und natürlich irgendwie auch ein Schwan eine besondere Rolle. Und derzeit in Bühnenvorbereitung ist der 900-Seiten dicke, auf berlinisch (klein)geschriebene Roman „Einsames Lachen“ von Willi R. Gettél, der von Westberlin 1953, von Ruinen, Wiederaufbau, Wirtschaftswunder und Unterwelt erzählt – und kein Roman für Spießer ist.
Infos, Tickets und Spielplan über Webseite www.theateruntermturm.com oder Ticketportal Eventim.
Jacqueline Lorenz
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