Erschienen in Wannsee Journal Februar/März 2024
Er war ein Macher und hatte Erfolg – Karl Wolffsohn (1881 – 1957) gründete in Berlin den Verlag Lichtbild-Bühne und brachte Fachzeitschriften rund um das Kino heraus. Inhalt waren Filmkritiken, aber auch wirtschaftliche und rechtliche Informationen für Kinobetreiber. 1919 wurde er Teilhaber an der Scala in der Schöneberger Lutherstraße, heute Martin-Luther-Straße und dem Plaza am Ostbahnhof. Die Scala wurde zu einem internationalen Varieté und Revuetheater von Weltruf. Die Plaza war eines der ersten Volksvarietés Deutschlands und gezielt auf Arbeiterfamilien ausgerichtet. 1928 eröffnete er sein Kino Lichtburg in Essen, 1931 ein gleichnamiges Kino in Berlin-Gesundbrunnen, das inmitten der Gartenstadt Atlantic lag, deren Aktien Karl Wolffsohn ebenfalls erwarb. Zu den ehemaligen Bewohnern zählt der frühere Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen.
Für seine Familie kaufte Karl Wolffsohn in den 1920er-Jahren ein Grundstück am östlichen Ufer des Stölpchensees, auf dem er eine Villa errichten ließ. Hier ging nicht nur die Familie ein und aus, auch Stars und Sternchen jener Zeit waren gern zu Besuch. Ab 1934 musste er seinen Besitz nach und nach zwangsweise weit unter Wert verkaufen, denn Karl Wolffsohn war Jude. Von 1938 bis 1939 kam er in „Schutzhaft“. Nach seiner Freilassung ergriff er mit seiner Frau die Flucht. Sie gingen nach Palästina, wo ihr Sohn bereits lebte. Nach Kriegsende kehrte Wolffsohn nach Deutschland zurück und begann, um sein Eigentum zu kämpfen. Die Prozesse wurden jedoch in die Länge gezogen und endeten erst 1962. Karl Wolffsohn starb bereits 1957 und erlebte das Ende der Prozesse nicht mehr. Sein Sohn Max führte die Prozesse zu Ende. Für die Essener Lichtburg, deren Inneneinrichtung alleine einen Wert von 800 000 Reichsmark hatte, wurden Karl Wolffsohns Witwe Recha gerade einmal 30 000 DM zu gesprochen. Die Gartenstadt Atlantic wurde immerhin zurückgegeben, die dortige Lichtburg riss man 1970 ab.
Das Grundstück am Stölpchensee mit stark beschädigter Villa wurde 1954 zurückerstattet. Allerdings mit einer Auflage – falls der Bezirk aus dem Grundstück eine öffentliche Grünanlage machen wollte, musste das Gelände verkauft werden. Unter genau diesem Vorwand, dort eine öffentliche Grünanlage errichten zu wollen, drängte der Bezirk Zehlendorf die Familie zum Verkauf. Zu jener Zeit gab es zu wenig Grün- und Erholungsflächen am Wasser für die West-Berliner, sodass das Ansinnen nicht abwegig erschien. Eine bis heute nicht geklärte Rolle spielte der damalige Bezirksbürgermeister Willy Stiewe, der in der NS- Zeit als ein bedeutender Bildredakteur galt. Familie Wolffsohn verkaufte 1965 zwangsweise an den Bezirk. Die angekündigte Grünanlage kam jedoch nie. Zuletzt gab es 2019 einen BVV-Beschluss, dass das Grundstück mittels eines Wegs zum See und Aussichtsplattform für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollte. Der Beschluss wurde jedoch aus finanziellen Gründen nicht verwirklicht.
Am 13. Dezember wurde eine Stele in einiger Entfernung von dem Grundstück am Stölpchensee enthüllt. Sie erinnert an Karl Wolffsohn und klärt über die Geschehnisse rund um sein ehemaliges Grundstück auf.
Die Texte auf der Stele informieren über das Schaffen von Karl Wolffsohn und seine Zeit am Stölpchensee:
Am Südostufer des Stölpchensees, direkt am heutigen Griebnitzkanal, lebte von 1924 bis 1938 Karl Wolffsohn (1881 – 1957) mit seiner Familie. Er zählte zu den Pionieren der deutschen Film- und Unterhaltungsindustrie und war Mitbegründer sowie ab 1937 alleiniger Eigentümer der heute denkmalgeschützten Wohnanlage Gartenstadt Atlantic mit dem Großkino „Lichtburg“ in Berlin-Gesundbrunnen. 1924 pachtete Karl Wolffsohn das rund 7500 qm große Grundstück einschließlich Landvilla, Gärtnerhaus und Bungalow. Hier, in unmittelbarer Nähe der Filmstadt Babelsberg, traf sich bei Karl und Recha Wolffsohn (1887 – 1972) fortan die damalige Welt des Films.
Im August 1938 kam Karl Wolffsohn in Gestapo-„Schutzhaft“. Er hatte sich geweigert, die Gartenstadt Atlantic und das Kino „Lichtburg“ „arisieren“ zu lassen. In der „Schutzhaft“ wurde er schließlich gezwungen, die Enteignung seines Besitzes hinzunehmen, und wurde daraufhin im Februar 1939 aus der Haft entlassen. Im März 1939 floh er nach Britisch-Palästina. Das war gleichbedeutend mit dem Verlust seines gesamten Vermögens, einschließlich seines Anwesens am Stölpchensee.
Um ihr geraubtes Vermögen nicht den NS-Profiteuren zu überlassen, kehrten Karl und Recha Wolffsohn 1949 trotz allem und nach allem aus Israel nach Deutschland zurück. Für Karl Wolffsohn begann der jahrelange, meist vergebliche Kampf um Rückerstattung.Das teils von der Roten Armee zerstörte und völlig heruntergekommene Stölpchensee-Anwesen wurde Karl Wolffsohn 1954 rückübertragen. Doch bereits zwei Jahre später verweigerte der Bezirk Zehlendorf Max Wolffsohn, auf dem Grundstück notwendige Baumaßnahmen durchzuführen, mit der Begründung, dass ein Gesamtbebauungsplan noch nicht vorliege und sich das Grundstück in einer geplanten öffentlichen Grünfläche befinde. Nach fast zehnjährigem ergebnislosen Hin und Her sah Max Wolffsohn 1965 schließlich keine andere Möglichkeit mehr, als in den Verkauf des Grundstücks an den Bezirk einzuwilligen. Eine öffentliche Grünfläche hat der Bezirk am Stölpchensee nie realisiert. (Auszug aus dem Stelentext von Thomas Brechenmacher)
Der jüdische Verleger des Filmfachblatts „Lichtbild-Bühne“ (LBB) und Filmunternehmer Karl Wolffsohn engagierte sich ab den 1910er Jahren bis zum Ende der Weimarer Republik für den Wandel des anfangs kleinteiligen deutschen Filmgewerbes zu einer international wettbewerbsfähigen Filmindustrie, die sich mit künstlerisch wertvollen Produktionen weltweites Ansehen verschaffte.
Geboren am 16. Mai 1881 in Wollstein (Wolsztyn, Polen), erlernte Karl Wolffsohn in der väterlichen Druckerei und beim Ullstein-Verlag in Berlin das Handwerk der „schwarzen Kunst“. Von 1901 bis 1905 besaß er mit Bruder Willy (1875-1914), dann allein die Gebr. Wolffsohn, Buch- und Kunstdruckerei in der Kreuzberger Naunynstraße 38. 1908 gründeten seine Brüder Jacob (1880-1915) und Max (1885-1919) in der Michaelkirchstraße 17 die Gebr. Wolffsohn GmbH, Buchdruckerei und Verlag, und ernannten Karl zum Geschäftsführer.
Nach dem Tod von Jacob und Max führte Karl Wolffsohn die Gebr. Wolffsohn GmbH in der Weimarer Republik erfolgreich allein weiter. 1924 gelang es ihm, den Ullstein-Konzern als Minderheitsgesellschafter zu gewinnen und das kleine Familienunternehmen zu einem mittelständischen Betrieb auszubauen. Sein Verlag in der Friedrichstraße 225 mit Druckerei, Buchbinderei und Klischeeanstalt beschäftigte 1931 rund 150 Personen. Daneben publizierte Wolffsohn Fachbücher zum Film, darunter die Standardwerke „Reichs-Kino-Adreßbuch“ und „Jahrbuch der Filmindustrie“. Wolffsohn verstand sich als Unternehmer im buchstäblichen Sinn. So beteiligte er sich an den 1919 und 1929 eröffneten Berliner Varietés Scala und Plaza, betrieb allein ab 1929 in Essen und Berlin die neu erbauten Kinos „Lichtburg“ mit je 2000 Plätzen, daneben drei mittelgroße Kinos in Köln und Düsseldorf.
Seit Beginn der nationalsozialistischen Diktatur widersetzte sich Wolffsohn energisch, doch letztlich vergeblich der erzwungenen Übertragung seines beträchtlichen Firmen- und Privatvermögens an nichtjüdische Profiteure. Nach dem Exil in Palästina von 1939 bis 1949 lebte er wieder in Berlin. (Auszug aus dem Stelentext von Ulrich Döge)
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