Erschienen in Gazette Charlottenburg und Wilmersdorf Februar 2024
Monatlich erscheint in der Gazette Charlottenburg und Wilmersdorf ein Thema, zu dem die in der BVV vertretenen Fraktionen Stellung nehmen. Das Thema wird „reihum“ von einer der Fraktionen bestimmt. In dieser Ausgabe hat die Linksfraktion das Thema vorgeschlagen.
Die CDU-Fraktion hat sich bis zuletzt im Rahmen ihrer Möglichkeiten für den Erhalt von GALERIA Berlin Wilmersdorfer Straße eingesetzt und bedauert dessen Schließung. Nunmehr befürworten wir die Umnutzung zu einem multifunktionalen Stadtquartier. Denkbar sind ein Mix aus Einzelhandel, Wohnraumangeboten, Büros, Gastronomie, Kultur- und Freizeiteinrichtungen und/oder Ärztehaus zur Nutzung vorhandener Infrastruktur von attraktiven Standorten. Zur Verbesserung der Lebensqualität könnte das Objekt mit Grünflächennutzung auf dem Dach ausgeplant werden, auch das Betreiben von Solaranlagen wäre vorstellbar, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Wichtig wäre uns, dass die Bürgerinnen und Bürger vor Ort in die Planungen mit einbezogen werden, um eine hohe Akzeptanz sicherzustellen. Ein nachhaltiges Konzept zur weiteren Nutzung der Warenhausstandorte von Karstadt sollte auf eine vielseitige Nutzung, Grünflächen, erneuerbare Energien und die Einbindung der lokalen Gemeinschaft setzen. Durch diese Maßnahmen kann eine nachhaltige und zukunftsfähige Nutzung der Standorte gewährleistet werden.
Nilüfer Bakkal
Die Wilmersdorfer Straße ohne Karstadt – das war für viele undenkbar. Doch Karstadt steht in der Insolvenz – die Eigentümer des Hauses um C&A hatten schon vorher gekündigt und wollen neu bauen. Sie wollen das bestehende Haus nicht weiter nutzen und werden damit viel „graue Energie“ vernichten. Dabei orientiert sich der Neubau an dem bestehenden Gebäude. Jetzt könnte gut mit den Anwohnenden gemeinsam geplant werden, was an diesem Ort gebraucht und gewünscht wird. Stattdessen werden fertige Pläne vorgestellt. Zeit zum Neu Denken. Die Fußgängerzone braucht einen Ort, der die Straße weiter belebt. Platz für eine Nachbarschaft, die mit Kultur, gemeinsamen Arbeiten, einem Markt für Lebensmittel, aber auch einem Markt für Gebrauchtes oder andere Dinge, den Kiez stärkt und das Zusammenleben fördert. Einen Ort, der Platz für Ideen, Kreativität und Dialog schafft. Leider lässt bisher der Eigentümer keine Dialogbereitschaft erkennen. Für das Entwickeln gemeinsamer Ideen muss der Kiez einbezogen werden. Hier könnten Projekte in einer Zwischennutzung inspirieren und weitere Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen.
Ansgar Gusy
Nach 118 Jahren schließt mit Karstadt das letzte Warenhaus in der Wilmersdorfer Straße. Einkaufszentren, Online-Handel und Corona-Pandemie haben dem stationären Handel schwer zugesetzt. Dennoch haben sie eine wichtige Funktion für Einkaufsstraßen. Traditionelle Konzepte müssen überdacht werden: Ein am lokalen Bedarf orientiertes Sortiment, Kundenberatung, die über das Internet nicht möglich ist, und eine Atmosphäre, die zum Verweilen einlädt, könnten Teil eines nachhaltigen Konzeptes sein. Öffentliche Dienstleistungen, wie Bürgerämter, und verschieden nutzbare Kulturflächen sollten in solche Konzepte integriert werden. Auch das Umfeld spielt eine Rolle. Mit dem Städtebauförderprogramm „Lebendige Zentren und Quartiere“ des Bundes hat unser Bezirk die Möglichkeit, z. B. durch bauliche Maßnahmen, die Attraktivität der Wilmersdorfer Straße zu steigern. Zu guter Letzt hängt es aber auch von uns Verbraucher:innen ab, inwieweit Kaufhäuser überlebensfähig sein werden. Nur wenn wir uns bemühen, möglichst vor Ort einzukaufen, werden unsere Geschäftsstraßen lebendig und attraktiv bleiben.
Timur Sarić
Kaufen, kaufen, kaufen oder doch lieber Kunst, Kultur und sozialer Treffpunkt? Die Schließung der Galeria-Filiale in der Wilmersdorfer Straße mindert die Attraktivität der Geschäftsstraße, ermöglicht aber ein zukunftsorientiertes Umdenken im Sinne der sozial-ökologischen Stadtentwicklung. Der aktuelle Abrissplan widerspricht allen gesetzten Klimaschutzzielen. Angesichts des knappen Raums und der horrenden Mieten in Berlin darf es keinen dauerhaften Leerstand oder gar Verfall des ehemaligen Galeria-Gebäudes geben. Stattdessen soll eine Zwischennutzung der Räumlichkeiten für möglichst kostengünstige Kunst und Kultur angestrebt werden. Steglitz geht bereits mit gutem Beispiel voran und hat die ehemalige Primark-Fläche für Kunst und Kultur geöffnet. Sanierung und Umbau statt Abriss und Neubau lautet die Losung und solange keine verbindliche Planung besteht, soll das Gebäude für kulturelle Zwischennutzungen geöffnet werden. Eine dauerhafte sozialverträgliche Nutzung muss gemeinsam mit der Öffentlichkeit erarbeitet werden – Klima und Anwohner:innen danken es!
Frederike-Sophie Gronde-Brunner
Ein verändertes Einkaufsverhalten wird zukünftig keine großen Warenhäuser mehr zurück in die Wilmersdorfer Straße bringen, dies gilt es bei der Ausgestaltung zu berücksichtigen. Anstatt Warenhäusern und großen Filialisten hinterher zu trauern, öffnet sich hier ein Fenster für kleine, individuelle Unternehmen, inklusive kleiner Gastronomien. Richtig gefördert, z. B. durch Entbürokratisierung und nachvollziehbare Vorgaben für die Nutzung der öffentlichen Flächen ergeben sich attraktive neue Chancen für individuelle Unternehmen. Das für den Bezirk geltende Sondernutzungskonzept aus dem Jahr 2015 sollte für die Wilmersdorfer Straße versuchsweise völlig aufgehoben werden. Es gilt dabei eine Umkehr der Erlaubnispraxis herbeizuführen, sodass zunächst erst einmal im Sinne der Gewerbetreibenden alles erlaubt ist, was nicht konkret vor Ort untersagt wird. Motto: Wie kann etwas gelingen, wie erlaubt statt verboten werden. Flankierend muss eine Steigerung der Aufenthaltsqualität erfolgen (Pflanzen, Spielplätze, kl. Sportplätze z. B. Boule/Tischtennisplatten/Beachvolleyball-Felder/Schachfeld etc.). Shopping muss zum Erlebnis werden.
Christian M. Schuchert
International existieren sehr erfolgreiche innovative Warenhauskonzepte. Dort präsentieren sich kleine Geschäfte und große Marken – auch aus dem Online-Business. Kunden können hereinschauen, probieren, vergleichen. Produkte werden bestellt und nach Hause geliefert. Lagerräume für den Laden und schwere Last für den Kunden entfallen. Das Beste aus zwei Welten. Es gibt Gastronomie, Freizeitangebote, Kunstausstellungen, Veranstaltungen, auch Büroflächen für Co-Working. Einladende Konferenz- und Tagungsräume beleben den Standort zusätzlich. Dem Kunden wird ein inspirierendes Einkaufserlebnis geboten. Nachhaltig kann ein neues Konzept für die Wilmersdorfer Straße nur sein, wenn es sich für die Firmen rentiert. Die Bezirkspolitik muss einen attraktiven Rahmen schaffen. Dazu gehören zuvorderst Sicherheit und Ordnung. Ein einladendes Café wird nicht neben einem Obdachlosenlager entstehen. Aber auch neue Grünanlagen können zum Flanieren einladen. Das ist die Aufgabe des Bezirksamtes und nicht ein Warenhaus am Reißbrett zu entwerfen. Hier ist Unternehmertum gefragt.
Martin C. T. Kohler
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