Erschienen in Nikolassee & Schlachtensee Journal Februar/März 2024
Verträumt duckt sich das Häuschen am ruhigen Westhofener Weg in Schlachtensee unter leicht geschwungenem Walmdach, freundlich geöffnet die Fensterläden. Wer hier wohl wohnt? Die Bewohnerin, eine ältere Dame, öffnet auf mein Klingeln: Dunkle strahlende Augen unter dichtem grauen Langhaar, Fellweste, intensive Ausstrahlung. Man sieht Ines Bonin die Künstlerin an: Die gerade Haltung verrät die Tänzerin, die bis heute tief in ihr steckt. Tanzen wollte sie von frühester Jugend an, getanzt hat sie ihr ganzes Leben – mal mehr, mal weniger, aber immer intensiv aus ganzem Herzen: erst klassisches Ballett, Folklore, später dann Gesellschaftstanz, Flamenco und orientalischen Tanz. Dabei hat sie nie den Boden unter den Füßen verloren.
Die Zehlendorferin, die 1942 in den Kriegswirren unter dem Familiennamen Hönig geboren worden war, genoss eine gute Erziehung, wie sie selbst sagt: „Ich wurde zu einem selbstbewussten Menschen erzogen.“ Mit ihrem besonderen Berufswunsch, Tänzerin werden zu wollen, stieß sie bei den Eltern auf offene Ohren – nicht selbstverständlich in damaliger Zeit. Vater Karl war eine Künstlerkarriere verwehrt geblieben, einen bürgerlichen Beruf hatte er stattdessen lernen müssen. Sänger hatte er viel lieber werden wollen, malte gerne; ein Talent, das auch Ines besitzt und bis heute für ihre beeindruckende Hobby-Malerei nutzt. Beruflich ging ihr Vater dann in den Garten- und Landschaftsbau – galt aber auch in diesem Metier als wahrer Künstler, der mit seinem Unternehmen u. a. die Gärten von Schauspielerin Sonja Ziemann und Komponist Heino Gaze gestaltete. Vom elterlichen Bungalow in der Bergengruenstraße aus ging es für die kleine Ines nach Friedenau zur Bühnentanzschule Margarete Hess, die schnell ihr Talent erkannte. Weiter empor stieg sie die Tanzkarriereleiter in der Berliner Tanzschule von Tatjana Gsovsky, professionelle Tanzausbildung in Klassischem und Lyrischem Tanz folgte 1961.
16-jährig tanzt Ines bereits auf der Tournee von Edith Piaf im Zwischenprogramm in der Tanzfolkloregruppe, wird dafür kurzfristig vom Schulunterricht befreit. Wie sehr sie diese große Sängerin beeindruckt hat, spürt man in jedem Satz, in dem Ines Bonin von dieser Chansonsängerin schwärmt. Sie erzählt: „Ich habe mir nie viel aus Autogrammen gemacht – aber das von Edith Piaf – darauf bin ich stolz.“
Ihr erstes Tanzengagement hat Ines Anfang der 60er-Jahre im legendären Musical „My Fair Lady“ am Theater des Westens, neben dem jungen Rex Gildo. Viele weiter Engagements folgen und führen sie weit über Deutschland hinaus auf große Tanzbühnen. Als Ines ‘63 in Kassel im Engagement ist, stirbt der Vater, die Mutter übernimmt das Garten- und Landschaftsbau-Unternehmen. 1978 heiratet Ines ihren Mann, der in der Bergengruenstraße gleich nebenan ein Zimmer hatte und irgendwann eine Rose an ihren VW steckte, bekennender Marxist und „ein ruhiger Mann“, wie sie sagt, der 42-jährig einen schweren Infarkt überlebt. 1979 wird Sohn Frank geboren, wenige Jahre später sterben Mutter und Schwester, der Gartenbaubetrieb ist verwaist, Ines übernimmt das Unternehmen. („Etwas, das ich nie wollte, zumal ich so gar keine Frühaufsteherin bin.“) Was sie macht, macht sie richtig: Sie absolviert die höhere Handelsschule, fährt 5-Tonner zu den Baustellen, besucht Baumschulen, ist bestimmt, doch gerecht mit den Angestellten – und erkennt ihr Verkaufstalent. ‘87 zieht die kleine Familie in den Westhofener Weg.
Doch damit nicht genug: Über die Jahre macht Ines zusätzliche Tanzausbildungen, wird geprüfte Tanzlehrerin für Gesellschaftstanz, entdeckt den orientalischen und Folklore-Tanz für sich. Ihr Verkaufstalent verhilft ihr als ausgebildete Reisekosmetikerin zu weiterem Erfolg, sie eröffnet einen kleinen Kosmetiksalon in Frohnau. Die nötige Freiheit dazu lässt ihr ihr Mann, den Gartenbaubetrieb übernimmt der Sohn. 60-jährig wird Ines Bonin klar: Ich will Chansons singen. Und wieder schafft sie es, tritt u. a. im „Charlottchen“ auf. Ihr Mann rät ihr, das Durchgangszimmer mit einem Samtvorhang in Bühnen- und Publikumsraum zu verwandeln. „Alles für die Liebe“ heißt Ines‘ Show, mit der sie als Diseuse von nun an Nachbarn, Freunde und Gäste in den eigenen vier Wänden auf ihrer Privatbühne begeistert, mit Chansons, Tanz, Zwischentexten, viel Humor – und Charly am elektrischen Klavier.
Seit dem Tod ihres Mannes vor vier Jahren lebt Ines Bonin nun in dem kleinen gemütlichen Haus mit dem norwegischen Waldkater Willi zusammen, der ihr an Geschmeidigkeit in nichts nachsteht. Seine schnurrende Gefährtin verlor er auf der Straße, – auch am Westhofener Weg kommt ab und zu ein Auto. Ines‘ Sohn ist inzwischen mit Frau, den zwei Enkeln und drei Pferden nach Uruguay ausgewandert, würde die Mutter gerne nachholen. Doch Ines Bonin hat hier so vieles, das sie in ihrem Zehlendorf hält, was es noch zu tun gibt.
Die Zimmerwände sind voll mit ihren Bildern, die kaum vermuten lassen, dass sie nie eine professionelle Malausbildung genossen hat. Porträts, Landschaften, Stillleben, dazwischen einige Werke ihres Vaters. „Ich bin nur eine Hobbymalerin – aber war schon immer von Bühnenbildern und Bühnenbildnern interessiert“, schmunzelt sie bescheiden. Aktuell experimentiert sie mit Farben und Materialien, hat Kaffeesatz für ihre Arbeiten entdeckt, der ihnen besondere Tiefe verleiht. Am Mexikoplatz hat sie kürzlich zufällig Manuel Schroeder vom Kunstverein Schlachtensee getroffen, der sie für eine seiner nächsten Ausstellungen gewonnen hat: Vom 2. Februar 2024 an stellt Ines Bonin unter dem Motto „Alles für die Liebe“ eigene Werke in der PopUp-Galerie @ Siggel Art & Fashion in der Breisgauer Straße 2 aus, – mit kleiner musikalischer Einlage zur Eröffnung.
Als ich mich an der Gartenpforte von ihr verabschiede, fragt sie in ihrer so liebenswerten Art: „Warum soll gerade über mich etwas gesagt werden? Es gibt doch so viele andere wichtige Menschen, über die es Geschichten zu erzählen gibt.“ Und nach kurzem Überlegen: „Eigentlich ist mein Leben ganz schön kompliziert, es hat mich in vieles hineingetrieben. Vieles hat sich aber auch zufällig ergeben – so wie jetzt diese Ausstellung.“ – Eine bemerkenswerte Frau mit einem bemerkenswerten Leben, von der es aber bestimmt noch vieles zu erzählen geben wird.
Jacqueline Lorenz
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