Erschienen in Gazette Zehlendorf April 2024
„Steglitz muss für große Kunst stärker erlebbar werden und mehr auf sich aufmerksam machen“, erklärt Kuratorin Dr. Brigitte Hausmann, Leiterin des Fachbereich Kultur Steglitz-Zehlendorf. Auch unter dem Fokus, Bezirk und Senat künftig stärker für Präsentationen der großen Kunstszene in Bezirksjuwelen wie dem Gutshaus Steglitz („Wrangelschlösschen“) gewinnen zu können, ist es ihr gelungen, 57 sehenswerte Exponate aus der Sammlung von Helmut Klewan ins Gutshaus Steglitz zu holen. Dort präsentieren sie sich bei kostenfreiem Eintritt bis zum 29. September 2024 dem Besucher in vier Räumen unter dem Titel „Picasso – Werke aus der Sammlung Klewan“. Dass auch Schulen und Bildungsstätten dieses besondere Ausstellungsangebot in dem zum Werk in reizvollem Kontrast stehenden frühklassizistischen Gutshaus vermehrt nutzen, wünschen sich Kuratorin und Kulturamt gleichermaßen. Zur Ausstellung erscheint im Wienand Verlag ein Katalog (112 S., zahlreiche Abbildungen), gefördert aus dem Bezirkskulturfonds und dem Fonds für die Kommunalen Galerien.
Zur Ausstellungseröffnung am 6. März war Helmut Klewan persönlich anwesend, an seiner Seite Sammlerweggefährte Ivo Wessel. Im gemeinsamen Gespräch gaben beide Einblick in die Welt ihrer ganz besonderen Sammelleidenschaft. In seiner anschließenden biografischen Lesung an diesem ebenso kurzweiligen wie aussagekräftigen Abend zeigte sich Helmut Klewan vor kunstverständigen Publikum dann als fachkundiger und humorvoller Zeitgenosse, der vielen Künstlern und Liebhabern der klassischen Moderne während seiner Galeristen-Karriere und seines Sammlerlebens begegnet ist und davon nach eigenen Aufzeichnungen äußerst lebendig zu erzählen weiß. – Zur Wiederholung empfohlen.
Als einer der populärsten Vertreter der klassischen Moderne fesselt Pablo Picasso (1881-1973) mit seinem facettenreichen, von künstlerischer Freiheit geprägten Werk seine Betrachter immer wieder neu. Seine stilistische Vielfalt steht für die kreative Entwicklung dieses Künstlers – einerseits sprunghaft, dabei aber auch konsequent anmutend. Dies spiegelt sich auch in den im Gutshaus ausgestellten Papierarbeiten aus der Sammlung Klewan (München – Wien) wider, die zwischen 1910 und 1970 entstanden sind und Picassos lebenslanges Experimentieren vor Augen führen. Die Exponate sind in auf vier Ausstellungsräume verteilte markante Motivgruppen eingeteilt mit Blättern der Themenkreise „Künstler und Modell“, „Porträts“ und „Mythologisches“, worin die jeweiligen biografischen Umstände des Künstlers eingeflossen sind. Atelierszenen des Künstlers spielen dabei eine wichtige Rolle, reflektieren sie doch die Rolle Picassos in seiner Beziehung zum Modell und zeigen häufig Lebensgefährtinnen des Künstlers. Die zahlreichen Porträts, die er schuf, entsprangen viel mehr seiner Vorstellungskraft als den wenigen Modellsitzungen. So zeigen die ausgestellten Porträts aus der Klewan-Sammlung Marie-Thérèse Walter, Dora Maar, Françoise Gilot und Jacqueline Roque, aber auch Bildnisse von Kunsthändler und Verleger Ambroise Vollard und Dichter Arthur Rimbaud.
Mit ihnen verband Picasso ein besonderes „Arbeitsverhältnis“, fertigte er doch von 1905 bis zu seinem Tod Grafiken für rund 160 belletristische Bücher. Beachtenswert dabei die Blätter zu Balzacs Novelle „Das unbekannte Meisterwerk“, von denen zwei in der Ausstellung in Raum 2 zu sehen sind.
Und natürlich dürfen in der Ausstellung auch der Faun und der Stiermensch Minotaurus, der in den 30er-Jahren in Zeichnungen, Grafiken und Malereien ins Zentrum von Picassos Privatmythologie gerückt war, nicht fehlen: Dieses Mischwesens der griechischen Mythologie nimmt sich Picasso an und erkennt in ihm mit seiner Kraft und animalischen Sinnlichkeit sich selbst wieder. So unterarbeitet er in etlichen Grafiken der ursprünglichen Gestalt des Stiermenschen psychologische und emotionale Aspekte seines eigenen Lebens und lässt daraus 1934 sogar einen blinden Minotaurus erstehen, als Abbild seiner eigenen zerrissenen Verfassung nach dem Scheitern der Ehe mit Olga Chochlova und der Liebe zu Marie-Thérèse Walter. Surrealistisch anmutenden Strandszenen des Künstlers sowie zirzensische Motivszenen auf Keramik und als Farblithografie schließen in Raum 4 schließlich den Reigen der Themenwelt dieser einzigartigen Gutshaus-Präsentation.
Helmut Klewan wurde 1943 im Baden-Württembergischen Bad Friedrichshall geboren, verbrachte aber Kinder- und Jugendjahre in Linz und Wien, wo seine Eltern einen Kunst- und Antiquitätenhandel überwiegend mit Salonmalerei führten und wo er noch heute lebt. Er entdeckte die moderne Kunst schon bald für sich, bestärkt durch das Zusammentreffen mit dem Maler Arnulf Rainer, von dem Klewan sein erstes „schwarzes Bild“ erwarb. Von Kurt Kalb und Hanni Rühm in den Kreis der Wiener Aktionisten eingeführt, eröffnete er 1970 seine erste Galerie in Wien. Von 1970 bis 1999 war er erfolgreich als Galerist in Wien und ab 1977 auch in München tätig, wo auch Kuratorin Dr. Brigitte Hausmann ihre „kulturellen“ Wurzeln hat. Mit Kurt Kalb und Hubert Winter gründetet Klewan eine Galeristenvereinigung, außerdem studierte er in Wien Kunstgeschichte. 1986 schloss die Wiener Galerie, die Münchner Depandance existierte bis 1999. Heute ist Helmut Klewan als Sammler und Besitzer von umfangreichen Werkgruppen von Picasso, Giacometti, Dubuffet, Maria Lassnig und von Surrealisten, aber auch als Kitschsammler sowie als Leihgeber für Museen, als Autor und als Verleger von Kunstbüchern eine echte Bereicherung für die Kunstwelt. – Die Sammelleidenschaft und Verbindung zum Kunstbuch ist es wohl auch, die ihn mit Privatsammler und iPhone App Entwickler Ivo Wessel zusammenführte, der ebenfalls mit der Kunst aufwuchs und Kunst „mit Narration und Humor“ bevorzugt, in der Bücher(veröffentlichungen) eine wichtige Rolle spielt. Die Plaudereien der Beiden am Eröffnungsabend der Ausstellung verrieten dem neugierigen Publikum, dass Helmut Klewan sich als Galerist von den Museen häufig als Dienstleister behandelt fühlte. „Als Sammler werde ich jetzt mehr hofiert. – Das ist wohl die Wiedergutmachung“, gab er mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Humorvoll ging es dann auch in Klewans biographischen Erzählungen zu, in denen das Publikum über Verbindungen seiner Familie zum Widerstand, die ersten Begegnungen des kleinen Helmut mit US-Soldaten sowie Skurriles und zuweilen Pikantes über Weggefährten wie die Schauspieler Helmut Qualtinger oder Vanessa Redgrave und eine champagnerprickelnde Nacht mit ihr erfuhr.
Einen besonderen Höhepunkt aber hatte die auch um 22 Uhr noch vor Energie sprühende Sammlerikone dann am Ende des Abends parat, die für ihre auch musikalisch ganz besonderen Festivitäten bei Insidern bekannt ist: Da trällerte Helmut Klewan, der über moderne Kunst auch schmunzeln kann, gelungen imitiert alte Schlager von Conny Froboess und Chris Howland über Bill Ramsey bis Gus Backus ins Publikum.
Jacqueline Lorenz
Gutshaus Steglitz
Schloßstraße 48, 12165 Berlin
Öffnungszeiten:
Mo–So von 10 bis 18 Uhr, Eintritt frei
Schließtage: Jeder 1. Dienstag im Monat sowie Mittwoch, 3. April 2024
© Gazette Verbrauchermagazin GmbH 2024