Erschienen in Gazette Wilmersdorf April 2024
Seit dem Ende der 1960er-Jahre entwickelte sich in der ukrainischen Stadt Charkiw ein künstlerisches Phänomen, dessen ästhetische Prinzipien und experimentellen Konzepte bis heute bestehen: die Charkiwer Schule der Fotografie. Rund 40 Künstlerinnen und Künstler aus vier Generationen zählen zu der Gruppierung. Die heterogene Gemeinschaft durchlebte mehrere Umbrüche, welche die ukrainische Gesellschaft erschütterten bis hin zu dem immer noch andauernden Angriffskrieg Russlands. All diese Zeiten forderten die ukrainischen Kunstschaffenden auf unterschiedliche Weise heraus.
In ihren Anfängen war sie als eine der wenigen non-konformistischen Bewegungen der Stadt der strengen Kontrolle des Staates und der Strafbehörden ausgesetzt. Die Fotografinnen und Fotografen entwickelten eine Art Antihaltung zur offiziellen, oft propagandistischen Dokumentarfotografie der Sowjetunion und schufen Werke, die mit deren Vorgaben wenig zu tun hatten. So ist neben dem Experimentellen, wie etwa Überlagerungen von Dias oder durch künstlerisch erreichte „Fehlfarben“, auch zwanglos natürliche Nacktheit zu finden – in der Sowjetzeit schnell als Pornografie verurteilt. Nachfolgende Generationen entwickeln seit den 1990er-Jahren gesellschaftskritische Ansätze und integrieren verschiedene Medien wie Performances und Installationen bis hin zu Videokunst in ihre Praxis.
Präsentiert werden Werke der ersten Generation. Diese Auswahl, die in Kooperation mit dem MOKSOP entwickelt wurde, gibt Einblicke in die vielfältigen künstlerischen Entwicklungen des kunst- und kulturhistorisch bedeutenden Phänomens der Charkiwer Schule der Fotografie.
Das MOKSOP (Museum of Kharkiv School of Photography) ist das erste ukrainische Museum für zeitgenössische Fotografie. Es wurde 2018 von den Fotografen Sergiy Lebedynskyy und Vladyslav Krasnoshchok, sowie den Kunsthistorikerinnen Oleksandra Osadcha und Nadiia Bernard-Kovalchuk gegründet. Der Name des Museums ist von der gleichnamigen Bewegung der ukrainischen Kunstgeschichte inspiriert – der Charkiwer Schule der Fotografie. Diese erlangte vor allem durch den Namen von Boris Mikhailov, einem der einflussreichsten zeitgenössischen ukrainischen Künstler, internationale Anerkennung. Die Ausstellung basiert auf der Sammlung des MOKSOP die nach der Eskalation des Russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine nach Deutschland evakuiert wurde.
Die Ausstellung wird bis zum 2. Juni 2024 gezeigt in der Kommunalen Galerie Berlin, Hohenzollerndamm 176, 10713 Berlin. Geöffnet ist Di bis Fr 10-17 Uhr, Mi 10-19 Uhr, Sa, So und Feiertage 11-17 Uhr. Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen: www.kommunalegalerie-berlin.de
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