Erschienen in Lankwitz Journal Juni/Juli 2018
Als vierbeinige Landschaftspfleger nehmen sie inzwischen ihren festen Platz im Lankwitzer Stadtleben rund um die Lanke-Aue im Alt-Lankwitzer Dorfkern ein:
Kräftig Zuwachs zu verzeichnen haben die 18 Mutterschafe von Martin Haesner in diesem Frühjahr, die bis Mitte April bereits 19 Lämmer – davon acht weibliche – auf die Welt gebracht haben.
Mit hohen Stimmchen blöken die kleinen Skudden-Lämmer nun nach ihren Müttern, die eher gelassen darauf reagieren. „Dranbleiben“ heißt es für die Kleinen, denn Mama rennt ihnen nicht hinterher, lässt höchstens ein aufmunterndes Blöken „hier bin ich“ ertönen. Dann heißt es, die Hufe geschwungen und ab Richtung Mamas Milchquelle.
Eigentlich sind sie alle Halbgeschwister mit Bock „Kaju“ als Vater, der als Zuchtbock alles aus einer Brandenburger Zucht mitbringt, was ein solider Vererber für kleine Landschafe haben sollte: Widerristhöhe nicht über 60 Zentimeter und Hörner, die nicht zu dicht am Körper anliegen. „Sonst könnten sie seitlich in den Kiefer hineinwachsen“, erklärt Schäfer Martin Haesner, der im Alltag als Musiklehrer an der Stechlinsee-Grundschule in Berlin-Schöneberg arbeitet, in seiner Freizeit aber ganz in seinen Schafen und der Landschaftspflege der wiederbelebten Grünanlage aufgeht.
Im Jahr 2012 übernahm er die Pflege, da das Areal der Lanke-Aue mit Obstwiese, Teich und sumpfigen Wiesen als Relikt einer bäuerlichen Kulturlandschaft erhalten bleiben soll. Seine vierbeinigen Helfer finanziert er selbst, unterstützt von Anwohnern und Freunden, die mit Futterspenden und freiwilligem Arbeitseinsatz dem ambitionierten Schäfer unter die Arme greifen. Zwei bis drei Lamm-Patenschaften jährlich bringen auch noch etwas Geld in die Futterkasse.
Gerade hat Haesner einen Antrag auf die Zuwendung von 2.500 Euro aus Sachmitteln für den ehrenamtlichen Dienst gestellt und hofft nun auf Bewilligung. Außerdem müssten die Zäune, die den lindenbewachsenen Teil des Geländes als Naturschutzgebiet abgrenzen, dringend erneuert werden, und ein Brunnen, um den Wasserbedarf der Tiere problemlos decken zu können, bleibt ein lang gehegter Wunsch Martin Haesners an den Bezirk Steglitz-Zehlendorf.
Während der Lammzeit konnte der Schäfer sich auch in diesem Jahr auf zehn bis zwölf freiwilligen Helfer verlassen, wenn es darum ging, Ohrmarken zu setzen, Holz zu hacken oder Timba, das Flaschenlamm, in seine Obhut zu nehmen. Besonderen Einsatz zeigten da Haesners Schüler: Während seine Zwillingsschwester nach der Geburt am Mittwoch nach Ostern sofort den Weg zu Mama Erikas Milchbar fand, war der kleine Bock zu schwach zum Trinken. Also wurde ein genauer „Flaschenplan“ aufgestellt, wer den kleinen Bock wann betreut.
Jannis versorgte ihn in den ersten beiden Nächten alle zwei Stunden mit Milch und gab ihm den Namen „Timba“. Das Böckchen, das anfangs 1.029 Gramm wog, brachte es innerhalb von fast drei Wochen dank zuverlässiger Betreuung bereits auf 3.000 Gramm.
Auch die Lämmer von Rosa und Wolle haben inzwischen einen Namen. Schulpaten von „Rosalie“ und „Winni“ zahlen nun jährlich 20 Euro pro Schaf und durften so auch die Namen ihrer „Patenkinder“ bestimmen.
Über mangelndes Interesse an seinen Skudden, unter denen – wie im richtigen Leben – auch zwei schwarze Schafe mit fast weißen (!) Lämmern sind, kann sich der Schäfer aus Leidenschaft nicht beschweren. „Gerade während der Lammzeit waren an einem Wochenende etwa 80 Personen auf dem Gelände – und rund die Hälfte hat hier mit angepackt“, freut er sich.
Leitschaf „Peter“ stört so viel Zuwendung ganz und gar nicht. Der sechsjährige kastrierte Bock, der bei seiner Vorbesitzerin mit Familienanschluss aufwuchs, kann gar nicht genug Streicheleinheiten von den Besuchern einfordern und ist wie seine blökenden Gefährten dankbarer Abnehmer von mitgebrachtem Knäckebrot, Grünzeug und Kartoffelschalen. Dafür kommt er sogar auf den Schoß und geht zur Selbstbedienung über, wenn es sein muss. Für die Mutterschafe mit ihren Lämmern ist er zuverlässiger Begleiter und Wegbereiter, unterwegs zu saftigen Weideflächen der Lanke-Aue.
Neben Peter ist noch ein halbwüchsiges Böckchen in der Herde. Üblich ist es, dass die jungen Böcke ein halbes Jahr bei den Müttern bleiben, bevor sie von ihnen getrennt werden. Einige gehen dann in den Verkauf. Nachfahren der Lankwitzer Skudden leben bereits im Nord-Harz und in Brandenburg. Auch Privatleute, die ihre Herde gründen oder vergrößern und damit die gefährdete Nutztierrasse der Skudden erhalten möchten, wenden sich an Martin Haesner. Kürzlich erhielt eine Kita in Mariendorf aus dem Lankwitzer Schafbestand drei weibliche Schafe. – Doch zwei von ihnen wurden vor kurzem nachts gestohlen. Das verbleibende Tier nahm Haesner wieder in seiner Herde auf und erklärt: „Ein Schaf alleine kann man nicht halten.“
Nicht nur in diesen Tagen kommen Schulkinder, Eltern und Lehrer nach Alt-Lankwitz, um privat oder an Projekttagen den direkten Kontakt zu den Schafen und dem damit verbundenen Landleben zu finden. Auch die Freie Waldorfschule Kreuzberg hat Interesse an dem Schafprojekt, und natürlich sind ebenso Kitas gern gesehene Gäste auf dem Areal in Lankwitz.
Während die Lämmer unbekümmert Bocksprünge im frischen Grün üben, Futtereimer zu erklimmen versuchen und sich aufs Erwachsenen-Dasein vorbereiten, füllt Martin Haesner indessen Listen mit Ohrmarkennummern aus und organisiert die bevorstehende Schafschur, die auch wieder viel Arbeit für ihn und seine freiwilligen Helfer bedeuten dürfte, – aber auch zufrieden kauende Schafe, ruhig in der Sonne dösende Lämmer und eine Lanke-Aue, die noch unseren Urenkeln von vergangenen Tagen erzählen wird.
Jacqueline Lorenz
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