Gazette Verbrauchermagazin

Obdachlose in der Schloßstraße

Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Steglitz-Zehlendorf diskutiert

Joachim-Tiburtius-Brücke über der Schloßstraße.
Joachim-Tiburtius-Brücke über der Schloßstraße.
Erschienen in Gazette Steglitz und Zehlendorf August 2024
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In den letzten Jahren ist durch Fehlentwicklungen auf Teilen der Steglitzer Schloßstraße die Situation bei den Anliegern und Nutzern der Einkaufsstraße in die Kritik geraten. Hinzu kamen vermehrt nun auch obdachlose Menschen, die sich insbesondere im Bereich der Tiburtiusbrücke aufhalten. Neben den baulichen Mängeln, dem andauernden Leerstand und einer Dauerbaustelle der BVG tritt vor allem die Frage auf, wie man mit den obdachlosen Menschen vor Ort umgehen soll. Hierzu nehmen die Fraktionen und fraktionslose Bezirksverordnete in der BVV-Steglitz-Zehlendorf Stellung.

René Rögner-Francke, Bezirksverordnetenvorsteher

CDU-Fraktion

Zunehmend gibt es Beschwerden über die Obdachlosigkeit in der Schloßstraße und ihren Nebenstraßen. Kurzfristig wurde das Problem gemildert, als nämlich im Januar 2024 der Fraktionsvorsitzende der CDU im Abgeordnetenhaus mit der Abgeordneten Dr. Claudia Wein (CDU) im Rahmen ihrer „Kümmertour“ vor Ort waren, räumte die BSR an der Nordseite der Tiburtiusbrücke große Mengen Sperrmüll und Unrat weg, den Obdachlose dort hinterlassen hatten. Damit wirkt die Straße seitdem etwas weniger ungepflegt. Das reicht nicht zur Lösung des Problems. Wenn wir die Schloßstraße als attraktive Einkaufsstraße erhalten wollen, können wir den Daueraufenthalt Obdachloser nicht hinnehmen. Wenn wir nichts unternehmen, wird sich das Problem absehbar immer weiter verschärfen und weitere Obdachlose anziehen. Wir wollen jedem Obdachlosen dort ein Hilfsangebot machen, um ihn von der Straße zu holen. Geht er darauf aber nicht ein, wollen wir ihn notfalls mit Zwang aus der Schloßstraße entfernen. Wir dürfen öffentlichen Raum in Steglitz-Zehlendorf nicht der Verwahrlosung preisgeben. Im öffentlichen Raum müssen sich alle Bürger aufhalten und wohlfühlen können.

Torsten Hippe

B‘90/Grünen-Fraktion

Wer auf der Straße lebt, tut dies selten freiwillig. Drogensucht, Alkoholismus und psychische Krankheiten sind häufige Begleiter der Wohnungslosigkeit und erschweren den Weg zurück in ein normales Leben. In der Schloßstraße wird dieses Problem besonders deutlich. Maßnahmen des Ordnungsamtes wie Platzverweise und regelmäßige Reinigungen sind zwar gängig, doch es fehlen nachhaltige Angebote aus dem Sozialressort. Grüne und SPD haben beim Senat Mittel für aufsuchende Sozialarbeit und Kiezläufer beantragt. Gleichzeitig entwickelt der Bezirk aber keine Strategien, um wohnungslose Menschen dauerhaft unterzubringen und ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Lösungen könnten in der Zwischennutzung leerstehender bezirklicher Gebäude oder dem Aufstellen von Duschbussen bestehen, z. B. am Parkplatz unter der Tiburtiusbrücke. Als Ampel wollen wir Schließfächer aufstellen, damit obdachlose Menschen ihre Wertsachen diebstahlsicher verstauen können. Ein ernsthaftes Bemühen zur nachhaltigen Problemlösung ist seitens des zuständigen Stadtrates bisher nicht erkennbar. Obdachlosen Menschen einfach Broschüren zu geben, reicht nicht aus.

Daniel Eliasson

SPD-Fraktion

Die SPD-Fraktion Steglitz-Zehlendorf setzt sich für einen humanen Umgang mit Obdachlosen ein und lehnt Verdrängung sowie Kriminalisierung ab. Wir treten für umfangreiche und auf die Bedürfnisse zugeschnittene Hilfsangebote ein. Für eine echte Veränderung braucht es langfristige Lösungen, daher liegt unser Fokus auf der Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum (Housing First), medizinisch-psychologischer Versorgung, sozialer Betreuung und Ausbildungs- und Jobprogrammen. Wirkliche Hilfe erfordert eine permanente Anstrengung. Härte gegenüber den obdachlosen Personen verlagert das Problem nur an andere Orte und widerspricht generell den Grundsätzen einer humanitären und sozial gerechten Gesellschaft.

Die Schloßstraße, als zentraler Anlaufpunkt für Obdachlose im Bezirk, bedarf mindestens einer Unterkunft in Bahnhofsnähe. Die Notunterkunft im dezentralen Wannsee mit nur 32 Plätzen und temporärer Öffnung ist nicht genug. Schließfächer für Obdachlose sind ein Mittel zur Verbesserung der Situation. Wir kümmern uns um ein menschliches Steglitz-Zehlendorf.

Carolyn Macmillan

FDP-Fraktion

Obdachlosigkeit ist kein neues Phänomen. Doch die Situation an der wichtigsten Einkaufsstraße des Berliner Südwestens ist in den letzten Jahren unhaltbar geworden: Für die Obdachlosen selbst, bei denen jedes einzelne Schicksal eine Tragödie ist. Aber auch für Anwohner und Gewerbetreibende, für die die Verwahrlosung des öffentlichen Raumes zu einer immensen Belastung wird. Das muss sich ändern. Für uns Freie Demokraten (FDP) ist klar: Obdachlosigkeit lässt sich weder schönreden noch einfach verdrängen. Vielmehr braucht es soziale Angebote auf der einen Seite und konsequentes Vorgehen gegen Ordnungsverstöße auf der anderen. Wenn selbst die Notunterkunft in Wannsee an etlichen Tagen überbelegt ist, wie eine Anfrage der FDP-Fraktion offenlegte, muss jeder erkennen, wie hoch der Bedarf an Kältehilfe-Plätzen an der Schloßstraße ist. Eine Notunterkunft in Steglitz ist daher bitter nötig, um den Druck von der Straße zu nehmen. Neben Unterkünften und Sozialarbeit muss jedoch genauso konsequent gegen Verwahrlosung vorgegangen werden. Ein gepflegter und sicherer öffentlicher Raum muss allen Bürgern unseres Bezirks zur Verfügung stehen.

Søren Grawert

AfD 

Bier, Schweiß, Urin liegen in der Luft. Kreuzt man die Triburtius-Brücke am Bierpinsel, verschlägt es einem den Atem. Stoffhaufen, Schlafsäcke und Matratzen zeugen von Nachtlagern. Diese ziehen sich längs der Hochbrücke bis zur Düppelstraße. Im Sommer ist der Geruch besonders intensiv. Am Hermann-Ehlers-Platz das gleiche Bild: „Es war noch nie so vermüllt“, sagt eine Passantin. Auch ein Mitarbeiter der Berliner Wasserbetriebe, der hier fast täglich reinigt, spricht von dem „schlimmsten Brunnen“. Anwohner ärgern sich, dass der Platz inzwischen Hotspot für Obdachlose und alkoholisierte Gruppen geworden ist, so die B.Z. (23.09.23). Ordnungsamt-Stadtrat Urban Aykal (Grüne) vermittelt derweil den Eindruck, als gäbe es gar kein Problem. SPD, Linke und Grüne überschlagen sich mit Vorschlägen zur Betreuung der Obdachlosigkeit; stützen sich auf Erfahrungen aus Kreuzberg. Ihre Devise: „Hand reichen“ reicht nicht, „Hand halten“, am besten beide. Ihnen reicht es nie. Schon heute zählen Berlins Leistungen für Obdachlose zu den höchsten in westlichen Hauptstädten Europas. Anders die AfD, wir verfolgen das Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“.

Peer Döhnert

Die Linke 

Die Bezirkspolitik redet viel über Menschen ohne Obdach, anstatt mit ihnen zu sprechen. Durch Begegnungen auf Augenhöhe könnte man viel besser verstehen und letztendlich auch helfen. Die Linke hat deswegen einen Runden Tisch „Hilfe für obdachlose Menschen in Steglitz-Zehlendorf“ beantragt. Daran sollten u. a. das Bezirksamt, die BVV, Träger der Obdachlosenhilfe, BVG, S-Bahn, Polizei, Rettungsdienste und vor allem auch von Obdachlosigkeit betroffene Menschen beteiligt werden. Leider wurde unser Antrag von allen anderen Fraktionen in den zuständigen Ausschüssen abgelehnt. Der Bedarf für ganz konkrete Hilfe bei uns im Bezirk ist leider immer noch sehr groß und er liegt auf der Hand: Es gibt nur eine nur im Winter und nur nachts geöffnete kleine Hilfseinrichtung 20 Fußminuten vom S-Wannsee entfernt, keine Wärmestube für den Tag, keine Schutzräume für heiße Tage, keine Dusch- und Waschmöglichkeiten usw. Es braucht zentrale und gut ausfinanzierte Einrichtungen dort, wo sich die Menschen aufhalten – zum Beispiel in der Schloßstraße und Umgebung. Dort helfen heute schon viele meist ehrenamtlich tätige Menschen. Ihnen gilt unser Dank.

Dennis Egginger-Gonzalez

Titelbild

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