Gazette Verbrauchermagazin

Obdachlosigkeit im Bezirk: Reichen die Maßnahmen des Bezirks, um Sauberkeit und Sicherheit zu gewährleisten?

Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Charlottenburg-Wilmersdorf diskutiert

Erschienen in Gazette Charlottenburg und Wilmersdorf September 2024

Monatlich erscheint in der Gazette Charlottenburg und Wilmersdorf ein Thema, zu dem die in der BVV vertretenen Fraktionen Stellung nehmen. Das Thema wird „reihum“ von einer der Fraktionen bestimmt. In dieser Ausgabe hat die FDP-Fraktion das Thema vorgeschlagen.

CDU-Fraktion

Es werden statistisch betrachtet immer mehr Menschen obdachlos. Die Ursachen sind vielfältig und jeder Mensch kann von Obdachlosigkeit bedroht sein. Viele Bezirke haben 2024 eine deutliche Maßnahme ergriffen: die Räumung der Schlafplätze. Eine Räumung heißt nicht – Lösung für den obdachlosen Menschen, sondern eine Verlagerung der Problematik an andere Orte. Charlottenburg-Wilmersdorf geht einen anderen Weg. Mit dem Projekt „Stuttgarter Platz“ sollen Streetworker eingesetzt werden, die ein kontinuierliches Angebot und einen direkten Zugang zu den obdachlosen Menschen haben, im Bereich der intensiven Beratung und Betreuung. Weiterhin prüft der Bezirk die Möglichkeiten der Bereitstellung von Safe Places und Tiny Häusern. Die Zielsetzung ist nicht die Vertreibung, sondern eine nachhaltige Verbesserung der Wohn- und Lebenssituation. Mit diesem Weg der Menschlichkeit und sozialer Kompetenz wird auch darauf gesetzt, dass die Sauberkeit und Hygiene gesichert werden kann in den bisher betroffenen Regionen und die obdachlosen Menschen ihr Hab und Gut in Sicherheit wissen.

Christine Schmidt-Statzkowski

B‘90/Grünen-Fraktion

Niemand weiß genau, wie viele Menschen es im Bezirk sind, die abends in den Straßen zurückgelassen werden, wenn andere hinter sicheren Hauseingängen ihre Wohnungen aufschließen. Die Schutzbedürftigkeit der obdachlosen Menschen wird selten gesehen. Der sicherste Schutz für obdachlose Menschen und zudem ein Menschenrecht ist eine eigene Wohnung. Die Unterbringung in eine Wohnung kann in einem Housing-First-Programm erfolgen, deren Bezug an keine Bedingungen geknüpft ist oder durch eine bereitgestellte Anzahl an Wohnungen in großen Wohnungsunternehmen, aber auch durch das temporäre Aufstellen von Tiny Houses. Dafür setzt sich die grüne Fraktion ein. Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum steht dabei an erster Stelle. Wir unterstützen eine verstärkte aufsuchende Sozialarbeit der Wohnungslosenhilfe und begrüßen einen verständnisvollen Umgang mit den Obdachlosen bei der regelmäßig notwendigen Räumung von Sperrmüll durch das Ordnungsamt an den angestammten Plätzen. Der Runde Tisch zum Thema Obdachlosigkeit ist unerlässlich, um Bürger*innen, Vereine, Verwaltung und Politik miteinander ins Gespräch zu bringen.

Heike Hüneke

SPD-Fraktion

Im Bezirk stehen wir vor der Herausforderung, Obdachlosigkeit nicht nur als soziale Frage, sondern auch als Thema der öffentlichen Sicherheit und Sauberkeit anzugehen. Als SPD setzen wir uns mit Nachdruck für Menschen in prekären Lebenslagen ein. Die Maßnahmen des Bezirks sind ein Schritt in die richtige Richtung, aber sie reichen bei Weitem nicht aus.

Wir wollen Obdachlosigkeit bekämpfen. Die Zustände, wie am Stuttgarter Platz, sind sowohl für Anwohnende als auch für obdachlose Menschen unzumutbar. Aus Sicht der SPD müssen mehrere Themen angegangen werden, darunter die Bekämpfung von Obdachlosigkeit durch den Ausbau von bezahlbarem Wohnraum sowie die Unterbindung von Schwarzarbeit. Gleichzeitig brauchen wir mehr rund um die Uhr verfügbare Einrichtungen für obdachlose Menschen. Zudem bedarf es eines umfassenden Konzepts, das die Betreuung und Integration von Obdachlosen in den Mittelpunkt stellt.

Sauberkeit und Sicherheit sind nicht nur Fragen der Ordnung, sondern auch der Menschenwürde. Wir müssen die Belange von allen ernstnehmen. Die SPD steht dabei für ein gerechtes Miteinander.

Dr. Ann-Kathrin Biewener

Linksfraktion

Die Bevölkerung unseres Bezirks ist sehr hilfsbereit gegenüber Obdachlosen und unterstützt vielfach vor Ort. Gefragt ist aber unser Bezirksamt: Zusammen mit Obdachlosen Müll zu beseitigen ist keine Strategie, sondern nur die Verwaltung von Obdachlosigkeit. Wir brauchen sichere Räume, besonders für obdachlose Frauen und Familien. Das leerstehende Kaffeehaus am Stuttgarter Platz könnte hierfür genutzt werden. Das Angebot dort für drogenabhängige Obdachlose muss erweitert werden. Die Linke Forderung nach einer Hygienestation vor Ort wurde im Bezirksparlament abgelehnt. Auch Beratungs- und Unterstützungsangebote zur Vermeidung von Wohnungsverlust müssen dringend ausgebaut werden. Wir brauchen eine echte Kraftanstrengung, um das EU-Ziel umzusetzen, Obdachlosigkeit bis 2030 zu beenden. Und das in einer Welt, in der immer mehr Menschen aus der kapitalistischen Verwertungslogik fallen! Denn es ist möglich: Statt 100 Milliarden für Rüstung wollen wir Investitionen in sozialen Wohnungsbau und zur Beendigung der Obdachlosigkeit. Weil wir uns Menschlichkeit leisten müssen!

Rüdiger Deißler

FDP-Fraktion

Die Zahl obdachloser Menschen wächst auch in unserem Bezirk, Brennpunkte wie um den Stuttgarter Platz verfestigen sich. Es ist es richtig, bestehende Camps zu säubern, dort lebende Personen bedürfnisbezogen zu betreuen und neue Möglichkeiten der Unterbringung wie in Tiny Houses in Aussicht zu stellen. Es darf aber nicht, wie beim seit Jahren geplanten Drogenkonsumraum, bei Absichtserklärungen und Prüfungen bleiben, die v.a. vonseiten der CDU regelmäßig boykottiert werden. Ansätze müssen endlich mit dem Ziel umgesetzt werden, die Zahl der Obdachlosen zu verringern. Obdachlose aus dem EU-Ausland, denen in Berlin weder Arbeit noch Unterkunft vermittelt werden kann, müssen in ihr Heimatland zurückkehren. Obwohl die Freizügigkeit von Personen in der EU gewährleistet ist, gibt es kein automatisches Recht auf Sozialleistungen in einem anderen EU-Staat. Und auch Räumungen müssen – wenn nötig – möglich sein. Kein Runder Tisch allein wird Anwohner beruhigen oder Lösungen für die vielschichtigen Probleme finden. Die Zeit drängt, wir brauchen sichtbare Verbesserungen für alle Betroffenen!

Stefanie Beckers

AfD-Fraktion

Unverschuldete Obdachlosigkeit ist eine Tragödie. Wer hierzulande durch eine Verkettung von Umständen seine Wohnung verliert, kann sich auf unsere Solidarität verlassen. Wir stellen jedoch fest, dass diese Gruppe verschwindend klein ist. Viele haben sich für dieses Leben entschieden. Rund zwei Drittel der Obdachlosen in Berlin kommt aus dem Ausland – viele aus Osteuropa. Bei den hiesigen Immobilienpreisen mag es unwirklich erscheinen, aber es gibt Menschen, die sich hier ein Eigenheim in der Heimat erbetteln. Leider begünstigen Hilfsprojekte diese Entwicklung. Sie machen das Leben auf der Straße erträglicher statt Auswege zu bieten. Bei aller Sozialromantik dürfen wir nicht verkennen, dass Drogenkonsum und die allgemeine Verwahrlosung eine direkte Begleiterscheinung von Obdachlosigkeit sind. Das dulden wir nicht. Unsere Lösung: Jeder verdient eine zweite Chance. Für die einen sind es Maßnahmen zur Wiedereingliederung und für die anderen eine Unterstützung zur Heimkehr. Wer die helfende Hand jedoch ausschlägt, wird nicht mehr auf öffentlichem Grund geduldet.

Martin C. T. Kohler

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