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Friedenau vor 125 Jahren

Exponat des Monats – vorgestellt vom Schul- und Stadtteilmuseum Friedenau

Der alte Bahnhof Friedenau-Wilmersdorf. Archiv FBS
Der alte Bahnhof Friedenau-Wilmersdorf. Archiv FBS
Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau Juli 2018
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„Für die ältere Generation der Berliner war mit Schöneberg die Welt nach Südwesten zu Ende. Durch den tiefen Sand nach dem stillen Dörfchen Wilmersdorf zu waten, bot keinen Reiz, und die kahle, staubige Chaussee nach Steglitz wirkte ebensowenig einladend. Die Gründer von Friedenau haben ein feines Geschäft gemacht; sie bekamen die Quadratruthe zum Selbstkostenpreise mit 45 Mark.

So jung Friedenau auch ist, so hat es doch schon sein Altfriedenau. Denn ursprünglich beschränkte sich die Anlage auf das Terrain links von der Chaussee. Erst später trat die rechte Seite hinzu, als die Colonie einen so überraschenden Erfolg hatte. Hier reichen sich an der Ringbahn Friedenau und Wilmersdorf bereits die Hand, und einer der ausgedehntesten Ringbahnhöfe ist für die Doppelstation bereits vollendet.

Man sieht hier keine prunkenden Sommerpaläste, sondern gut bürgerliche Einfamilienhäuser, denen sich echt großstädtische Wohnhäuser von drei und vier Stock zugesellen.

In den Hauptstraßen reiht sich, wie in Berlin, Laden an Laden. Nirgends sieht man etwas Dürftiges, Verfallenes. Selbst der Polizeibeamte sieht mit feinen hellblauen Aufschlägen wie aus dem Ei gepellt aus.

Die Gründung von Friedenau war ein selten glücklicher Wurf. Mit dem linken Flügel lehnt es sich an die Potsdamer Bahn an, mit dem rechten an die Ringbahn, und durch sein Centrum fährt die Dampfstraßenbahn nach Berlin. So ist es denn kein Wunder, daß der Ort bereits gegen 6.000 Einwohner zählt. Er hat Post, Telegraph und Telephon, Wasserleitung und Kanalisation, Gasbeleuchtung und Apotheke in Sicht, vier Aerzte, eine Gemeindeschule mit fünf Klassen, eine höhere Knaben- und zwei höhere Mädchenschulen.

Augenblicklich veranstaltet ein Kirchbauverein Vorträge zum Besten der im Bau begriffenen Kirche.

Wohnungen, Baustellen und fertige Villen sind in Auswahl vorhanden. Die Grund- und Bodenpreise sind freilich schon stark berlinisch; die Quadratruthe gilt 400 bis 700 M. Eine Wohnung von 3 Zimmern kostet 500 bis 600 M.; kleine Wohnungen sind wenig vorhanden.

Die Potsdamer Bahn bietet alle 10 bis 20 Minuten, die Ringbahn alle 30 Minuten Verbindung mit Berlin.

Wilmersdorf trennt von Friedenau nur die Ringbahn. Wie eng die beiden zusammenhängen, zeigt schon der Doppelname der Bahnstation: Wilmersdorf-Friedenau.“

Der Text wurde dem Buch „Rund um Berlin – Unsere Vororte und ihre Zukunft“, erschienen 1893, entnommen.

Bei der erwähnten Chaussee handelt es sich um die heutige Rheinstraße. „Links von der Chaussee“ meint östlich der Rheinstraße. Eine Quadratruthe entspricht 14,185 Quadratmeter. Ein Arbeiter verdiente in der Woche 20 (Gold)-Mark. Der Ringbahnhof Wilmersdorf-Friedenau ist heute die Station Bundesplatz. Der Güterbahnhof Wilmersdorf-Friedenau ist seit Jahren stillgelegt, Gleise, Güterschuppen und Stellwerk abgebaut. In den nächsten Jahren wird das ehemalige Bahngelände bebaut, vorwiegend mit Wohnungen.

Wer das Buch „Rund um Berlin – Unsere Vororte und ihre Zukunft“ einmal im Original betrachten möchte, kann dies im „Schul- und Stadtteilmuseum Friedenau“ an der Friedrich-Bergius-Schule am Perelsplatz 6-9 gerne tun. Telefonische Voranmeldung unter 90277 – 7910 erbeten.

Auf Ihren Besuch freuen sich Museumsleiter Alexander Bauwe und die Schüler der Arbeitsgemeinschaft „Junge Historiker“ an der Friedrich-Bergius-Schule.

Rudolph/Lo

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