Erschienen in Gazette Steglitz und Zehlendorf April 2018
Die Begriffe Inklusion und Förderschule standen im Mittelpunkt der Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung im Februar 2018. Ausgelöst wurde diese Debatte durch bekanntgewordene Pläne der Schulaufsicht und des Schulamtes, die betreffenden, speziellen Angebote der Pestalozzi-Schule in den kommenden Schuljahren nicht weiter anzubieten, sondern auslaufen zu lassen. Dies hatte den massiven Protest der betroffenen Eltern, Lehrer und Schüler hervorgerufen. Die Fraktionen in der BVV nehmen in den folgenden Beiträgen zu diesem Thema und zum Vorgang Stellung.
Seit Jahren wird eine hochideologisierte Debatte über Inklusion geführt, also über Beschulung behinderter Heranwachsender in der allgemeinen Schule. In Deutschland gibt es ca. 3.000 Förderschulen (FS) mit ca. 300.000 Schülern und 70.000 Lehrkräften. Allein das zeigt, dass man die Schulbildung beeinträchtigter junger Menschen ernst nimmt. Die einseitigen Inklusionsprotagonisten führen die UN-Konvention als Begründung für die Abschaffung der FS an. Sie enthält keinen Passus, dass die Beschulung in FS als Diskriminierung zu betrachten ist, im Gegenteil: Art. 5 führt aus, dass „besondere Maßnahmen….zur Beschleunigung oder Herbeiführung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen nicht als Diskriminierung gelten.“ In Art. 7 heißt es, dass bei allem das Wohl des Kindes ein vorrangiger Gesichtspunkt ist, somit ist jede Behinderung individuell zu betrachten, der Elternwille ist maßgeblich, der Staat hat Angebotsvielfalt zu realisieren. Es sollte der Grundsatz gelten: So viel Inklusion wie möglich – so viel Differenzierung in FS wie nötig.
Harald Mier
Inklusion ist die Einsicht, dass in der Bildung niemand ausgegrenzt werden darf. Die Einbeziehung der Kinder mit Förderbedarf in die Regelschule steht hier im Mittelpunkt. Berlin schafft die Voraussetzungen dafür, möglichst viele Kinder nicht mehr an „Sonderschulen“ getrennt von anderen Kindern zu unterrichten. Inklusion ist ein Paradigmenwechsel, der Lehrpläne, Unterrichtsmethoden und Schulgebäude berührt. Bei so einem Änderungsprozess treten auch Probleme auf. Daher wird der Prozess permanent ausgewertet und angepasst. Inklusion heißt aber nicht, die bestehenden Förderzentren einfach aufzugeben, wie es kürzlich Bezirksstadtrat Mückisch (CDU) mit der Schließung der Pestalozzi-Schule vorhatte. Noch sind wir auf dem Weg zur Inklusion. Viele Schulen bieten noch nicht die Voraussetzungen und es existieren noch nicht für alle Förderbedarfe die richtigen Konzepte. Daher brauchen wir auch in Zukunft gute Förderzentren im Bezirk. Ob Inklusion für alle Kinder geeignete Wege bietet, wird die Zukunft zeigen. Und letztlich entscheiden die Eltern, welche Variante für ihr Kind die beste ist.
Jan Kellermann
Das Thema Inklusion wurde in letzter Zeit fast schon von der omnipräsenten Schulsanierung medial verdrängt, bis die Eltern der Pestalozzi Schule vor Kurzem Inklusion wieder in den Fokus der Öffentlichkeit rückten. Es gab Pläne, aufgrund niedriger Anmeldezahlen die Schule und das Förderzentrum zu schließen. Dieses Vorhaben wurde bei der letzten Bezirksverordnetenversammlung gestoppt. Warum nicht zumindest das Förderzentrum schließen, wenn doch Inklusion bald überall stattfinden soll? Ganz einfach, es funktioniert in Berlin nicht so, wie die theoretischen Konzepte gedacht sind. Nur an ganz wenigen Schulen wird Inklusion gelebt, so wie die geistigen Väter des Konzeptes es sich vorgestellt haben. Wieso? Es bedarf einer sehr aufwendigen Unterrichtsvorbereitung, einer fundierten Ausbildung, gegenseitiger Unterstützung und einer hohen Personaldecke. Der Senat dachte, es funktioniert auch, selbst wenn an der Ausbildung der Lehrer und der Personalausstattung gespart wird. Weit gefehlt! Solange hier keine Kehrtwende eingeleitet wird, geht eine mangelnde Umsetzung auf Kosten aller Beteiligten: Schüler, Lehrer und Eltern. Also Schluss damit!
Susanne Mertens
Die verrückten Schulreformen von Sozialdemokraten und Linken in Berlin zeigen, dass sie kein Interesse daran haben, auch nur annähernd ein gewisses Leistungsniveau zu erzielen. Gegen alle Widerstände wurde unter Rot/Dunkelrot die Vorschule im Jahr 2005 abgeschafft. Das altersübergreifende Lernen wurde eingeführt: von der 1. bis zur 3. Klasse hocken alle Schüler zusammen und sollen sich das Lernen selbst beibringen. Hinzu kommt die Inklusion: Geistig- und Körperbehinderte werden in den Regelschulbetrieb integriert. Allerdings: Berlin hat noch immer kein Konzept für die Umsetzung der Inklusion – und auch kein Geld dafür. Dabei lernen in der Hauptstadt inzwischen fast 60 Prozent der förderbedürftigen Kinder an Regelschulen. Und es werden immer mehr. Die zur Verfügung stehenden Förderstunden sind hingegen gleich geblieben. Das kann nicht funktionieren. 2016 fehlten in der Stadt über 800 Grundschullehrer: Quereinsteiger, beispielsweise Straßenmusiker, wurden rekrutiert. Berlin ist im Bildungs-Ranking auf den letzten Platz hinter Bremen gefallen. Und unsere Pestalozzi-Schule, eine vorbildliche Förderschule soll ausbluten. Unfassbar!
Peer Döhnert
Der BVV-Saal im Rathaus Steglitz erlebt im Februar eine erhitzte Sitzung der Bezirksverordneten des Bezirkes. Das ist nicht nur bedingt durch die große Zahl der Eltern mit ihren Kindern, die sich im Flur stark für ihre Schule machten, im Saal im Zuschauerraum aber das Treiben interessiert verfolgten, sondern auch durch eine heiße Diskussion.
Es sind starke Worte, die für den Erhalt der Förderschulen bemüht werden. Inklusion, die nur auf dem Papier stünde, aber zum Nulltarif und ohne ausreichende Doppelsteckung von Lehrkräften eingeführt werde, so wie es leider oft Alltag in Berliner Schulen ist, sei ein Verbrechen an den zu fördernden Kindern, findet die schulpolitische Sprecherin der FDP.
Der Fraktionsvorsitzende der Liberalen nimmt den CDU-Stadtrat Mückisch aufs Korn, der eine Schließung der Pestalozzi-Schule als beschlossen im Schulausschuss verkündete, ohne die dafür nötige Rücksprache und Abstimmung mit der BVV gesucht zu haben.
Einstimmigkeit herrscht unter den Verordneten zum Erhalt der Pestalozzi-Schule für 2018/19. Das allein reicht für die Zukunft nicht. Wir haben weiter ein Auge auf die Bildung im Bezirk!
Mathia Specht-Habbel
Seit 2009 gilt die UN-Behindertenrechtskonvention, die Eltern von Kindern mit erhöhtem Betreuungsbedarf das Recht einräumt, frei zwischen Förder- und Regelschule wählen zu können. DIE LINKE. Berlin macht sich für Gemeinschaftsschulen stark, weil wir glauben, dass spezielle Förderschulen und „Behindertengruppen“ isolieren, anstatt zu integrieren. Gemeinschaftsschulen hingegen können herkunftsbedingte Unterschiede ausgleichen. Deshalb stärkt der Berliner Senat das Konzept der inklusiven Schulen: 2018/19 werden dafür zusätzlich 28,6 Millionen Euro bereitgestellt. Zugleich sorgt Rot-Rot-Grün für mehr Fachpersonal. Dadurch sollen in den nächsten vier Jahren 36 inklusive Schwerpunktschulen in Berlin entstehen. Die Linksfraktion Steglitz-Zehlendorf begrüßt, dass die Schließungsabsichten des CDU-Stadtrates vom Tisch sind, das Förderzentrum und den Grundschulzweig der Pestalozzi-Schule in Zehlendorf zu schließen. An dieser Schule lernen Kinder mit verschiedenen Voraussetzungen gemeinsam und unter qualifizierter Betreuung und Anleitung. Die Pestalozzi-Schule weist mit ihrem guten Konzept bereits heute den Weg in die richtige Richtung.
Gerald Bader
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