Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau August 2018
Es ist das älteste Gericht in Deutschland, das noch heute als solches aktiv ist: Die erste Erwähnung des Kammergerichts stammt aus dem Jahr 1468. Sein Sitz war zunächst im Stadtschloss, dann von 1698 bis 1735 in Cölln, der selbständigen Stadt, die erst 1710 nach Berlin eingegliedert wurde. 1735 zog das Gericht in das neue Kollegienhaus in Berlin. Das barocke Haus war das erste große Verwaltungsgebäude, das Friedrich Wilhelm I. errichten ließ. Heute ist das Gebäude Teil des Jüdischen Museums. Der heutige Sitz im Kleistpark wurde 1913 erbaut.
Die Unabhängigkeit des Gerichts von den preußischen Herrschern stellten die Richter schon früh klar. Als König Friedrich Wilhelm III. der Ansicht war, die Stadt Berlin sollte das Pflastern der Wege bezahlen, scheiterte er damit vor dem Gericht. Sein Vorfahr Friedrich der Große löste Probleme mit der Justiz auf seine Art. Anlass war der Fall des Müllers Christian Arnold. Dieser konnte seine Mühle nicht mehr betreiben, da ihm von dem Landrat, der weiter flussaufwärts lebte, im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser abgegraben wurde. Der Müller konnte daraufhin keine Zahlungen mehr an seinen Landesherrn, den Grafen von Schmettau leisten. Dieser übernahm daraufhin die Mühle. Der Müller klagte auf Schadensersatz und Friedrich II. unterstützte ihn dabei. Die Richter des Kammergerichts sahen das anders und wiesen die Klage ab. Das Urteil empfand der König als ungerecht und ließ die Richter in den Kerker werfen. Der König selbst sprach dem Müller den Schadensersatz zu.
Das heutige Gerichtsgebäude, das am 18. September 1913 eröffnet wurde, ist so gewaltig, dass sich der Besucher klein fühlt. Das 135 Meter lange Haus beherbergt 540 Räume auf fünf Stockwerken. Kaiser Wilhelm II. ließ eigens eine Loge für sich bauen, von der aus er die Prozesse verfolgen konnte. Diese wurde nie genutzt, da bald nach der Eröffnung des Gebäudes der Erste Weltkrieg ausbrach. Das Haus erlebte finstere Zeiten: 1944 und Anfang 1945 sprach hier der Volksgerichtshof unter dem berüchtigten Richter Roland Freisler seine Urteile. Auch die Beteiligten am Attentat vom 20. Juli 1944 verurteilte er hier zum Tode. Kurz nach Kriegsende sollen russische Soldaten in dem Gerichtsgebäude Schweine gehalten haben. Das Gerichtsgebäude im Kleistpark wurde zwischen 1945 und 1990 von den Alliierten für Verwaltungszwecke genutzt. Das Kammergericht war in dieser Zeit in der Witzlebenstraße in Charlottenburg untergebracht.
Seit 1997 befindet sich das Kammergericht wieder am Kleistpark. Es ist dort nicht allein – auch der Berliner Verfassungsgerichtshof, mehrere Berufsgerichte und die Berliner Generalstaatsanwaltschaft haben dort ihren Sitz. Der Name „Kammergericht“ wurde in Berlin aus historischen Gründen beibehalten. In anderen Bundesländern ist die Bezeichnung „Oberlandesgericht“. Verhandelt werden Straf- und Zivilangelegenheiten. Als oberstes Gericht kann das Kammergericht Urteile und Beschlüsse aufheben, die in anderen Gerichten gesprochen wurden.
Anlässlich des Jubiläums erschien das Buch „Das Kammergericht in Berlin“ von Michael Bienert im vbb-Verlag.
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