Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau April 2017
Die Koburger Straße in Schöneberg ist eine ruhige Straße. Wenig Spektakuläres vermutet man hier. – Bis sich die Ladentür der Hausnummer 12 auftut.
Bestimmt ist es Günter Hoffmann, der öffnet: (Lebens)Künstler und Autodidakt, Philosoph, begnadeter Tüftler und Handwerker, ehemaliger Schauspieler und Tonassistent – und stolzer Dorfschulze des fantastischen Miniaturdorfes Neu Gülze. Einzelheiten aus dessen Dorfleben erzählt Hoffmann, der in Zehlendorf wohnt, anhand liebevoll selbst erbauter Puppenhäuser, die in dem kleinen Laden ein geheimnisvolles Dasein fristen und Hauptdarsteller zahlreicher YouTube-Videos sind. Beobachtet werden sie von Puppen und Marionetten, deren Geburtsstätte ebenfalls die Ladenwerkstatt ist. In ihrer detailgetreuen Inneneinrichtung spiegeln die Häuser das 20. Jahrhundert und die Lebensepoche ihres Erzeugers Hoffmann wider, ebenso bunt, erstaunlich und manchmal auch fragwürdig genial wie dessen Leben selbst.
Auferstanden aus Ruinen sind diese Häuser, ehemals halb zerfallen von ihm aufgekauft und aufgerüstet. Ihre Bewohner „Flüchtlinge aus der Welt des Habens und noch-mehr-Habenwollens“, voller Poesie und mit praktischem Verstand, „aber ohne Erinnerungskultur in Gülze“, betont Hoffmann. Um ihre Geschichten zu verstehen, muss der Neugierige ganz in sie eintauchen. Dorfschulze Hoffmann hilft ihm dabei, selbst nur zu gerne über sie berichtend und aus seinem halbfertigen Buch rezitierend. Dabei ist er genial in seiner Art, auf jedem einzelnen Gebiet seiner vielfältigen Begabungen. Zu seinem künstlerischen Schaffen erklärt er: „Ich mache keine Moderne Kunst, weil ich nicht weiß, was sie sein soll. Ich mache bewusst Biedermeier.“
Der gebürtige Neuköllner Junge aus dem Jahr 1944 startete an der Fritz-Karsen-Schule dank engagierter Pädagogen erfolgreich ins Leben. Er bastelte gerne, und im Werkunterricht ließ man ihm freie Hand sich zu entfalten. 11-jährig ging er das erste Mal zum Zeichnen zur Volkshochschule.
Eine willkommene Unterbrechung des Schulalltags bot 1958 die Filmarbeit zu dem berühmten Kriegsfilm „Die Brücke“ unter Regisseur Bernhard Wicki, in dem der damals sich noch mit „h“ schreibende Günt(h)er Hoffmann den jungen Sigi Bernhard verkörperte, der im Film als erster erschossen wird. Verschafft hatte ihm die Rolle sein Deutschlehrer Ludewig von Hohenfeld, der auch Musik und Theater unterrichtete. Die Rolle blieb Hoffmanns wohl größter Erfolg als Schauspieler.
„Ich wurde ein 68er ohne Gewalttätigkeit, aber Tränengas-gewohnt. Revolution muss sexy sein“, erinnert sich Hoffmann, der später Kennedy vor dem Rathaus Schöneberg erlebte und sich gut daran erinnern kann, welche Faszination von dem Präsidenten ausging.
Grethe Weisers Ehemann Hermann Schwerin verschaffte dem jungen Hoffmann schließlich ein Volontariat beim Film. An der FU-Berlin begann Hoffmann ein Publizistik-Studium, wechselte aber bald zur Kunstgeschichte. „Unter Prof. Otto von Simson habe ich während dieser Zeit fundiert und klar gelernt“, erzählt Hoffmann, der jedoch aus finanziellen Gründen das Studium nicht beenden konnte: „Ich wurde ein verbummelter Student, was mir aber nicht geschadet hat“, gesteht er heute.
Als das ZDF Tontechniker suchte, meldete er sich, weil er gerne bastelte, und wurde genommen. 15 Jahre arbeitete er als freier Tontechniker, kam weit herum, an der Seite von Genscher, Brandt & Co.
Als Freiberufler gibt es immer wieder Zeiten ohne Arbeit. Während dieser Lücken baute Günter Hoffmann vor 27 Jahren seine Ladenwerkstatt in Schöneberg auf. Er unterteilte die „Berliner Höhe“ der Räume mit Zwischendecke, begehbarer Galerie und Schlafkoje, legte Dielen und baute Wandschränke. In den hinteren Teil legte er die Werkstatt, in der er malte und töpferte.
Unter seinen Händen entstand dort seine erste Puppe mit selbstgetöpfertem Tonkopf, Elisabeth I. Etliche Puppen, nach dem Vorbild berühmter Figuren aus Kunst und Literatur gefertigt, folgten. Einige von ihnen tragen die Züge befreundeter Frauen des Künstlers…
Der entwickelte die Puppen im Laufe der Jahre weiter zu leichtgewichtigen Marionetten, die inzwischen sogar die Handgelenke bewegen können, mit Bauschaum-Innereien, Leichtholz-Gliedern und selbstgeknüpften Echthaar-Perücken. Für Hoffmanns geplanten FAUST-Film warten die Hauptdarsteller bereits in einem Regal über dem Schreibtisch: Faust, Gretchen, Mephisto – noch fehlen ihnen Feinheiten, doch die Proben können bald beginnen. Dafür sucht Hoffmann ambitionierte Marionettenspieler und –Sprecher und hofft auf Interessenten.
Das Phänomen der Puppenhäuser fasziniert Günter Hoffmann schon lange: „Auf der Welt gibt es rund 25 einzigartig schöne Puppenhäuser“, erklärt er und denkt dabei auch an die Puppenstadt „Mon plaisier“ in Arnstadt als Abbild des höfischen Lebens. Waren Puppenstuben einst nur den Fürsten zur Ausstellung ihres Reichtums vorbehalten, dienten sie seit dem Biedermeier dazu, Mädchen spielerisch auf ihre Rolle als Hausfrau vorzubereiten.
Als Günter Hoffmann vor Jahren sein erstes Puppenhaus fertig hatte, stellte er es ins Schaufenster. Ein Ehepaar sah es und bot einen schwindelerregenden Preis. Das Bauen immer detailgetreuerer Häuser wurde zur Herausforderung. Inzwischen gehören zum Miniaturdorf Neu Gülze u. a. Bürgerhaus, Künstlerhaus mit Galerie, Kino, Radiodoktor, Fernsehstudio und Möbeltischlerei. Selbstverständlich für Günter Hoffmanns feinmechanische Tüftel-Arbeit ist, dass Miniatur–Kreissäge und -Drehbank, -Stichsäge und Fernsehkameras originalgetreu nachgebaut sind und reibungslos funktionieren.
Da wird Beniamino Gigli mit Ton auf die Kinoleinwand projiziert, die Gläser auf dem Puppenwohnzimmertisch sind aus echtem Murano-Glas, die Gemälde an den Wänden von Hoffmann gemalt und die Polstermöbel von ihm persönlich aufgepolstert. Wertvolle Kleinst-Puppenmöbel füllen zeitgetreu die Mini-Räume, und in den Wandschränken der Werkstatt wartet Porzellan- und Möbel-Nachschub darauf, weitere Miniatur-Häuser nach Hoffmanns Innenarchitektur einzurichten. Der findet dazwischen Zeit genug, in liebevoller Eigenproduktion des „Radio Freies Gülze“ neue Filme für YouTube zu drehen und die Bewohner seines Miniatur-Dorfes darin zum Leben zu erwecken.
Wer einmal persönlich in die Welt des genialen Günter Hoffmann Einblick nehmen möchte: In „seinem“ Dorf in der Koburger Straße 12 kann man ihn von Montag bis Freitag jeweils zwischen 6 und 14 Uhr antreffen, wo er in seiner Werkstatt unermüdlich weiter an seinem Lebenswerk bastelt…
Jacqueline Lorenz
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