Erschienen in Wannsee Journal Juni/Juli 2017
Ob Ostern, Weihnachten, sonntags oder an anderen Feiertagen: Die Kirchenglocken rufen die Gläubigen zum Gottesdienst. Für die Katholiken in Wannsee geht es in die Kirche St. Michael neben dem Rathaus. Vor über 90 Jahren versammelten sich die Gläubigen noch in einer Schulaula, bis sie 1927 ihre eigene Kirche in Wannsee bauen konnten. Wohlhabende Gemeindemitglieder hatten das Grundstück für den Kirchenbau zur Verfügung gestellt. Das Gotteshaus entstand nach Plänen des Berliner Architekten Wilhelm Fahlbusch. Die Kirche St. Michael war die erste Kirche in Groß-Berlin, die im Stil des Expressionismus entworfen wurde.
Der hoch aufragende, kantige Turm der Backsteinkirche erinnert an märkische Wehrkirchen. Die drei Gussstahlglocken, die anfangs in der Glockenstube im Turm hingen, wurden 1927 von der Glockengießerei Schilling & Lattermann aus Apolda in Thüringen gegossen. Stahlglocken wurden im Zweiten Weltkrieg nicht eingezogen und so blieben der Kirche St. Michael, die selbst keine allzu großen Beschädigungen erlitt, ihre Glocken erhalten. Mittlerweile sind jedoch alle drei Stahlglocken durch Bronzeglocken ersetzt, da die Glocke Maria bereits 1981 abstürzte und die beiden anderen 2011 Korrosionsschäden aufwiesen. Die drei Stahlglocken stehen heute außen vor dem Kircheneingang. Die Größte der Glocken ist die Paulus-Glocke mit 1060 kg, die Kleinste, die Maria-Glocke, bringt 414 kg auf die Waage. Die Michael-Glocke trägt die Inschrift: „Heiliger Erzengel Michael, verteidige uns im Kampf.“, auf der Maria-Glocke steht: „St. Maria, Mutter Gottes und Magd, all unsere Not sei dir geklagt.“ Auf der Paulus-Glocke heißt es: „Wenn ich die Sprache der Engel und Menschen redete, hätte aber die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.“
Das Kirchenschiff besteht ebenfalls aus Backstein und ist mit einem Satteldach gedeckt. Die schmalen, buntverglasten Fenster wurden mittlerweile mit einer Doppelverglasung versehen. Die schmale Form der Fenster unterstreicht den Eindruck der Wehrkirche. Eine Besonderheit ist das Holzrelief am Eingangsportal. Es wurde im Stil des Expressionismus von dem Holz- und Stein-Bildhauer Otto Hitzberger geschaffen. Im Jahr 1938 waren drei seiner Werke Bestandteil der Ausstellung „Entartete Kunst“. In dem Portal der Kirche St. Michael ist der Erzengel Michael eingearbeitet, der die Kirche mit geschwungenem Schwert gegen das Böse in Form eines mehrköpfigen Drachen verteidigt. Auch die Kreuzwegstationen, die musizierenden Engel an der Balustrade der Empore sowie die Vollplastiken „Madonna mit Kind“ und „Erzengel Michael“ schuf Otto Hitzberger. Sowohl der Kreuzweg als auch die Figuren der Weihnachtskrippe, die noch aus den Anfangszeiten der Kirche stammen, werden nach und nach restauriert.
Den Vorraum der Kirche dominiert eine Plastik des Salesianers Don Bosco. Das Don Bosco Heim in Wannsee betreute bis 2005 zahlreiche Kinder und Jugendliche aus schwierigen Familienverhältnissen. Aufgrund finanzieller Probleme verkaufte der Orden der Salesianer das Grundstück in Wannsee und zog nach Marzahn um. Im Inneren der Kirche ist der Raum durch Spitzbogen-Wandscheiben in fünf Joche unterteilt, die im Bogen vergoldet sind. Nach dem sachlichen Äußeren überrascht die helle, freundliche Innengestaltung. An der Wand hinter dem Altar sitzen Jesus und die Apostel beim Abendmahl. Das Wandgemälde schuf der Maler Heinrich Schellhasse im Jahr 1931. Das Bild wurde dem Gemälde von Leonardo da Vinci nachempfunden, das im Kloster Santa Maria della Grazie in Mailand zu sehen ist. Die Engelsmosaike am Altar, der Bildteppich im Chorraum und die Entwürfe für den Bildteppich sowie den farbigen Läufer im Mittelgang stammen ebenfalls von Heinrich Schellhasse. Der Teppich und der Läufer wurden in der Teppichfabrik Hozak in Nowawes, heute Potsdam-Babelsberg, gewoben. Noch befinden sich die Originalteppiche in der Kirche, allerdings ist ein neuer Teppich für den Mittelgang derzeit in Arbeit und wird voraussichtlich zum Ende dieses Jahres verlegt. .
Die drei Spitzen auf dem Turm weisen noch darauf hin, dass sie eigentlich den Namen Dreifaltigkeitskirche bekommen sollte. Auch das dreieckige Weihwasserbecken und die Dreizahl der Kerzenleuchter erinnern daran. Doch einer der großzügigen Spender machte sich dafür stark, dass die neue Kirche den Namen des Erzengels Michael tragen sollte, des Schutzheiligen Deutschlands. Am 25. Juni 1927 war Weihetag für das neue Gotteshaus. Allerdings dauerte es weitere elf Jahre, bis die Gemeinde selbständig wurde. Noch bis 1938 betreute der Pfarrer von St. Antonius in Babelsberg die Katholiken in Wannsee. 1938 bekamen sie einen eigenen Seelsorger, 1942 wurde die Gemeinde zur seelsorgerisch selbständigen Kuratie und 1949 erhob der Berliner Bischof Konrad Cardinal von Preysing sie zur Pfarrei. Am 1. März 2004 fusionierte die Gemeinde St. Michael mit der Gemeinde Zu den heiligen Zwölf Aposteln in Nikolassee.
Im Jubiläumsjahr finden regelmäßig Konzerte und Festgottesdienste in der Kirche statt.
Weitere Veranstaltungen hängen in der Kirche aus.
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