Erschienen in Zehlendorf Mitte Journal April/Mai 2019
Die Zehlendorfer Peter-Lenné-Schule, OSZ Natur und Umwelt, ist weit über die Bezirksgrenzen hinaus für ihre Ausbildung hin zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Natur und Umwelt bekannt.
Der Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel hatte den Weg aus seinem Bezirk Mitte in Richtung Berliner Südwesten gerne angetreten: In als Deutschlands größte geltender Agrarberufsschule bat er anlässlich des in diesem Jahr in Berlin erstmals als Feiertag begangenen Weltfrauentages zum Fachgespräch. Gesprächspartner waren die auf Initiative vom Transfair e. V. angereisten kenianischen Frauen aus der Blumenproduktion und Auszubildende. Rund 70 Berufsschüler waren zu der vom Bezirksamt Mitte initiierten Veranstaltung gekommen, die in Kooperation mit der Steuerungsgruppe Fairtrade-Town Steglitz-Zehlendorf stattfand.
Das Bezirksamt Mitte verfügt in Gegensatz zum Bezirk Steglitz-Zehlendorf seit einem halben Jahr über zwei Mitarbeiterinnen-Stellen in der Koordinationsstelle kommunale Entwicklungspolitik, die in der Stabstelle Bezirksbürgermeister angesiedelt ist. Daniela Richter und Julia Große koordinieren die entwicklungs- und nachhaltigkeitspolitische Arbeit im Bezirk Mitte. Die Stelle wird aus Mitteln des Programmes der „Servicestelle Kommunen in der Einen Welt“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert.
„Wir alle – auch die Politik – haben Verantwortung. Jeder Mensch zählt und jeder Einzelne auf Produzenten- und Konsumentenseite kann handeln. “, eröffnete der Bezirksbürgermeister von Mitte die Veranstaltung und wies auch auf die mit ihrem Warensortiment auf Ausbeutung errichteten Verkaufsketten wie „Primark“ hin. Bestärkt wurde er darin von Lilian Maina aus Kenia, Produktmanagerin für Blumen und Gender-Beauftragte des Produzentennetzwerks Fairtrade Africa. Empowerment sei unverzichtbar für eine gerechte Wirtschaft, betonte sie und fordert auf: „Consumer, you have the power!“
Dass die Blumenkette an sich weiblich sei, erklärte Moderator Moritz Voges und wies damit auf die hohe Prozentzahl – rund 90 Prozent – im deutschen Blumeneinzelhandel tätiger Frauen hin. Für eine bessere Qualifizierung weiblicher und männlicher Arbeiter und gerechtere Arbeitsbedingungen auch auf Blumenplantagen setze sich die Fairtrade-Organisation ein, für Mensch und Natur.
Fairtrade-zertifizierte Blumenplantagen findet man u. a. in den zentralafrikanischen Regionen Uganda, Simbabwe, Tansania und Kenia.
Ein fairer Handel helfe aber auch, die Frauenrechte zu stärken, so Lilian. In Kenia, wie noch in so vielen weiteren Ländern, gelte es, Frauen und Männer bei der Arbeit auf gleiche Augenhöhe zu bringen, denn noch immer haben dort kulturell bedingt Männer das Steuer und die Kontrolle fest in der Hand.
Bestätigen kann das die kenianische Farmarbeiterin Mary Wanjiru Karanja, die zu ihrer Arbeit auf einer Blumenplantage jeweils zwei Stunden Hin- und Rückweg einplanen muss. Früher war sie als Schneiderin tätig, seit 2013 hat sie mit ihrer Arbeit in der Buchhaltung auf der mit 64 Mitarbeitern Fairtrade-zertifizierten Blumenplantage weitaus bessere Arbeitsbedingungen gefunden und ist als Frau in der Wertschätzungskette höher gestiegen. Die Schneiderei ist ihr liebstes Hobby geblieben.
Strahlend erzählt sie davon, dass sie durch die gerechte Bezahlung nun ihre vier Kinder zur Schule schicken kann, was Fairtrade zur Auflage macht. – Keine Selbstverständlichkeit in Kenia, wo Schule für die Nutzer Kosten verursacht.
Wichtige Bedeutung misst Mary auch den kollektiven Fairtrade-Prämien zu, die durch besonderen Arbeitseinsatz und Überstunden – alles genau geregelt – erreicht werden können. Von Fairtrade für Projekte eingesetzt, die so der Gemeinschaft zugutekommen, tragen sie in hohem Maße zur Verbesserung der Lebensqualität bei: „Mit den prämienfinanzierten Projekten zur Anschaffung von energiesparenden Gasherden, Öfen und Wasserfiltern sowie zum Schutz der Natur hilft uns die Fairtrade-Organisation bei unseren Bestrebungen, auf ein höheres Niveau mit der Umwelt zu kommen“, erklärt Mary nicht ohne Stolz, mit ihrer Arbeit auf der Blumenplantage der insgesamt etwa 500 Mitarbeiter zählenden Tanbusi-Farm mit dazu beizutragen. Angepflanzt werden im angegliederten Blumenbereich Rosen, Sommerblumen und Kräuter in Gewächshäusern, die Schutz gegen die starke Sonneneinstrahlung und den statt Chemiekeule gegen Ungeziefer natürlich eingesetzten Fressfeinden bieten. Pestizide sind weitgehend tabu. Da die Pflanzen viel Wasser benötigen, werde Regenwasser aufgefangen, Wasser aus der Pflanzenbewässerung aufbereitet, erklärt Mary. Denn: „Nichts geht ohne Wasser.“ – Auch nicht bei dem nächsten Gemeinschafts-Projekt zum Schutz des Waldes, das in naher Zukunft in Kenia an den Start gehen soll.
Im Anschluss an die spannenden Ausführungen der kenianischen Frauen bekamen die anwesenden Berufsschüler und Auszubildenden aus den Bereichen Floristik, Zierpflanzen- und Friedhofsgärtnerei die Möglichkeit, sich in den themenbezogenen Workshop-Gruppen „Arbeitsbedingungen – Lebenswelten und Träume – Alternativen und Handel“ mit ihren Gästen auszutauschen.
So kamen die sechs angehenden Floristinnen des zweiten und dritten Ausbildungsjahres mit Mary schnell über Lebens- und Arbeitswelten sowie ihre Träume ins Gespräch anhand von ausliegenden Gegenständen wie Scheckkarte, Plastikflasche oder Arbeitsvertrag, als Symbol für verschiedene Lebensbereiche: Die Gastgeber erfuhren, dass Plastik auf Fairtrade-Farmen weitgehend minimiert ist, dass über Verträge geregelte Arbeitszeiten und Gleichberechtigung in der Bezahlung, aber auch der sichere Arbeitsplatz zu einem guten Betriebsklima auf den zertifizierten Farmen beitragen, dass nur Mütter und Schwangere bevorzugt werden, es keinerlei Kinderarbeit gibt und regelmäßig sowohl angekündigte als auch unangekündigte strenge Kontrollen der Farmen erfolgen.
Auszubildende und die Farmarbeiterin fanden darüber hinaus wichtige Gemeinsamkeiten bei ihrem Anspruch auf einen wertvollen Arbeitsplatz: Dabei stehen ganz vorne Arbeitsvertrag, Arbeitsschutz, bezahlte Überstunden, aber auch Nachhaltigkeit der Arbeit mit Rücksicht auf Umwelt, Natur und Wasser. In Sachen Digitalisierung am Arbeitsplatz haben die kenianischen Frauen, die auf Fairtrade-Farmen arbeiten, die Nase vorn: So zahlt die Organisation jeder Blumenarbeiterin ein Smartphone, um sie für finanzielle Dinge und Kommunikation unabhängig zu machen.
Eines wurde allen Beteiligten dieser aussagekräftigen Veranstaltung deutlich: Was bei uns Selbstverständlichkeiten sind wie beispielsweise Krankenversicherung, Schulbildung und Trinkwasser-Versorgung, das erarbeiten sich die kenianischen Arbeiterinnen und Arbeiter zwar mit Unterstützung von Fairtrade, aber dennoch mit großer Selbstdisziplin und Fleiß.
Welche Träume bleiben dabei für Mary Wanjiru Karanja aus Kenia? Die Antwort kommt prompt: „Ein Haus für meinen Mann und meine Kinder auf eigenem Grundstück.“ Denn noch lebt Mary mit ihrer Familie auf dem Land des Schwiegervaters. Lilian Maina rät daher am Schluss der Veranstaltung: „Fragt häufiger nach fair gehandelten Produkten.“
Wenn wir alle zukünftig mehr fair gehandelte Blumen und Waren kaufen, könnten Wünsche für afrikanische Power-Frauen wie Mary schneller wahr werden.
Jacqueline Lorenz
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