Erschienen in Lichterfelde West Journal Oktober/November 2017
Heidi ist zurückhaltend und ein wenig vornehm, Ida hat die Hosen an und Schnute als Einziger eine schwarze Unterlippe. Der leichte Nieselregen an diesem Morgen macht ihnen nichts aus, schließlich sind sie Schafe, genau genommen „Skudden“, und für ihre Robustheit und ihre dichte schützende Mischwolle bekannt. Gemeinsam sorgen die 27 Tiere auch an diesem wenig sommerlichen Tag für eine geregelte Landschaftspflege rund um die Lanke-Aue. Sechs junge Böckchen warten geduldig unter Obstbäumen auf ihr zweibeiniges „Leittier“ Martin Haesner.
Sehnsüchtige Blicke sind auf die hinterm Zaun von umsichtigen Nachbarn platzierte Tüte mit Kartoffelschalen, Kohlrabigrün und Blumenkohlstrünken gerichtet. Deutschlands kleinste Schafrasse galt bis Anfang des 20. Jahrhunderts als bodenständiges Schaf Ostpreußens und des Baltikums. Skudden sind genügsam, da sie sich auch mit mageren Weiden zufrieden geben, Brennnesseln und Disteln dabei nicht verschmähen. Dennoch stehen sie auf der Roten Liste der bedrohten Nutztierrassen. Dem entgegen wirkt Schaffreund Haesner mit seiner Herde. Die „Rasenmäher“ blöken ihm freundlich entgegen, umringen ihn bettelnd, als er das akkurat umzäunte Gelände betritt. Ihr imposantes schneckenförmiges Gehörn lässt sie größer scheinen als sie sind. Spielerisches Kopfstoßen ist bei den Halbstarken an der Tagesordnung. Doch uns Zweibeinern begegnen sie an diesem Morgen eher respektvoll und nehmen vorsichtig das als Fotobestechung mitgebrachte Knäckebrot. Das Böckchen mit der schwarzen Schnute, Liebling aller Kinder, ist besonders angetan davon. Martin Haesner erinnert sich lachend an dessen Geburt: „Ich wollte ihm das Mäulchen abputzen, weil ich dachte, es sei bei der Geburt in den Dreck geplumpst. Aber die Farbe war echt…“
Haesners Mutterschafe mit Lämmern und ihrem Kumpel, dem kastrierten Bock Peter, sind von dem Heimatareal zum „Mäheinsatz“ eine kurze Strecke entfernt auf das Gebiet des Lankwitzer Öltanklagers ausgerückt.
Auf Peter kann der Schäfer sich verlassen: „Den kann man auch mal mit Jungtieren in den Wald lassen, er bleibt cool.“ Das Blöken bei den Zippen hat jedoch Ida – die mit dem schiefgewachsenen Hornstummel – denn auch weibliche Skudden können Hornansätze tragen. Heidi mit der schmalen Nase hält sich vorsichtig im Hintergrund: „Fräulein Heidi von der Lanke ist immer vornehm zurückhaltend“, beschreibt der Schafhüter sie.
Die hügelige Fläche zwischen den Tanks erinnert an eine Deichlandschaft, Trittsicherheit ist da gefragt. Martin Haesner erklärt: „Erstaunlich, mit welcher Vorsicht und Geschicklichkeit die Tiere die Unebenheiten hier meistern.“ Feingliedrig starke Beine mit kleinen festen Klauen finden auch auf feuchtem Gras und tiefem Boden sicheren Halt. Ein mobiler, aber stabiler Zaun weist ihnen ihre Futtergrenzen und bewahrt sie und die Umgebung vor dem Ausbüxen. Manchmal bringt Haesner die Tiere zum Grasen auch zu Interessenten, die diese natürliche Art der Landschaftspflege noch zu schätzen wissen.
Als das Bezirksamt im Jahr 2012 die wiederbelebte Grünanlage „Lanke-Aue“ im Bereich des historischen Alt-Lankwitzer Dorfkerns vorstellte, suchte sie Landschaftspfleger, die sich um den hinteren, für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Bereich kümmern sollten. In dem ehemals landwirtschaftlich geprägten Landschaftsraum mit sumpfigen Wiesen gilt es, das bäuerliche Relikt einer bäuerlichen Kulturlandschaft zu erhalten.
Dem Lankwitzer Musiklehrer und Musiker Martin Haesner, dessen Großvater im Jahr 1933 unweit der Dorfaue ein Grundstück gekauft hatte, lag nicht nur die Erhaltung des Lankegrabens am Herzen. Der hatte ihn schon als Kind tief beeindruckt. Auch die Schafhaltung lockte ihn, seit er den Fernsehbericht über eine Kirchenmusikerin gesehen hatte, deren Grundstück Schafe beweideten.
So meldete er sich beim Natur- und Grünflächenamt des Bezirks und bot die Pflege des Geländes an. Er rodete das völlig überwucherte urwaldähnliche Gebiet, auf dem eine uralte zugewachsene Laube gestanden hatte, baute Unterstand und Häuschen mit tatkräftiger Unterstützung langjähriger Pfadfinder-Freunde, pflanzte Obstbäume.
„Von einem Freund, der Skudden in Stahnsdorf hält, bekam ich das erste Muttertier“, erinnert sich der Hobbyschäfer, der inzwischen Mitglied im Verband der Schafzucht ist und damit auch züchten darf. „Wenn die Zippen im Herbst zum Bock gehen, kann man fast die Uhr danach stellen, dass fünf Monate später die Lämmer kommen“, weiß Haesner, der inzwischen eine stattliche Herde aufgebaut hat. Da Skudden a-saisonal brünstig werden können, müssen junge Böcke und Mutterschafe getrennt gehalten werden. In diesem Jahr gab es keine neuen Lämmer, da die Herde zu groß geworden wäre. Um die Herde im gesunden Gleichgewicht zu halten, müssen von Zeit zu Zeit Tiere abgegeben werden. Doch für das nächste Jahr ist wieder Nachwuchs geplant.
Viel Erfahrung hat Martin Haesner als Hobbyschäfer inzwischen sammeln können. Da war das Lamm, das nicht trinken wollte, und erst nachdem es vorsichtig mit dem Köpfchen rhythmisch gegen das mütterliche Euter gestupst wurde, begriff und den ersten tiefen Zug nahm. Oder das am Hinterteil total verklebte Lamm, das Haesner badete. Das Muttertier ließ ihr Lamm daraufhin stundenlang nicht ans Euter, da die Zippe es nicht mehr am Geruch erkannte. Gerade noch rechtzeitig gelang es dem Hobbyzüchter und seinen Helfern schließlich, ihr das Lamm dann doch wieder näher und zum Trinken zu bringen. Einen wichtigen tiermedizinischen Versorger, auf den er sich verlassen kann, hat Haesner mit der Klinik für Klauentiere in Düppel an seiner Seite. Unkompliziert nimmt sie sich im Notfall seiner vierbeinigen Schützlinge an.
Besonders wichtig neben seinen Tieren ist es Haesner jedoch, dadurch Kindern und Jugendlichen das Landleben und die schützenswerte Natur näherzubringen. Die helfen inzwischen gerne bei den Schafen, beim jährlichen Scheren und beim Klauenschneiden. Sowohl aus der Nachbarschaft und der Kirchengemeinde als auch aus der Friedenauer Stechlinsee-Grundschule, wo Haesner Musiklehrer ist, kommen sie. Kooperation besteht mit der Alt-Lankwitzer Grundschule, in deren Umwelt-AG der Stall entstand, und die selbst Erfahrung in Hühner-, Gänse- und Entenzucht besitzt.
Inzwischen ist es aus Martin Haesners Alltag nicht mehr wegzudenken, täglich nach seiner Herde zu sehen, im Winter Heu zuzufüttern, Schafe zu scheren, Zäune zu versetzen, Kleinholz aufzusammeln und interessierten Menschen Landschaftspflege zum Anfassen zu vermitteln: Dazu begleitete Martin Haesner auch in diesem Jahr an Christi Himmelfahrt im Rahmen des Pilgergottesdienstes der Lankwitzer Gemeinden die Gottesdienstbesucher zum Kleinod Lanke-Aue und zu seinen Schafen, für die er einen Wunsch hat: einen Brunnen als Wasserlieferant, der gerade in heißen Sommern eine große Hilfe für Tier, Pflanze und Mensch in dem Lankwitzer Biotop wäre. Dann bliebe Martin Haesner vielleicht auch etwas mehr Zeit, um endlich sein Fotobuch über die Entwicklung „seiner“ Lanke-Aue fertigzustellen.
Jacqueline Lorenz
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