Erschienen in Nikolassee & Schlachtensee Journal Oktober/November 2017
Psychisch beeinträchtigte Menschen gehören zu unserer Gesellschaft dazu, ihre Zahl steigt stetig. Die seelischen Beeinträchtigungen können sich in leichten Depressionen zeigen, aber auch in deutlichen Psychosen. Nicht selten ist Einsamkeit Auslöser dieser Beeinträchtigung, die wiederum zu einer Verstärkung der Vereinsamung innerhalb der Gesellschaft führt.
Wichtig, dass es da Anlaufstellen und Orte mit verständnisvollen Menschen gibt, die Kontaktsuchenden und Beeinträchtigten Gehör und professionelle Beratung entgegenbringen, anonym, kostenlos und unbürokratisch.
Eine der ältesten Kontaktstellen dieser Art im Südwesten Berlins ist der Treffpunkt Mexikoplatz, der in idyllischer Lage direkt gegenüber vom malerischen Bahnhof Kontakt- und psychosoziale Beratungsstelle zugleich ist. Mit seinem breiten Angebot findet er seit nunmehr 46 Jahren ebenso das Gespräch zu unbelasteten wie zu durch persönliche, familiäre oder psychische Probleme belasteten Menschen. 1971 begann der Treff als Altenclub. Seit 1990 hat sich die als bezirkliche, über Zuwendungsgelder finanzierte und zur psychiatrischen Pflichtversorgung des Bezirks gehörenden Einrichtung als Kontakt- und Beratungsstelle zu einem unverzichtbaren Treffpunkt entwickelt: Sie führt Menschen zusammen, die hier ihre Freizeit verbringen und neue Kontakte knüpfen möchten. Darüber hinaus bietet der unter der Trägerschaft des Treffpunkt Mexikoplatz e. V. stehende Begegnungsort strapazierten Seelen bei Bedarf professionelle psychosoziale Unterstützung, Rat und Vermittlung.
Die Sonne strahlt vielversprechend an diesem Vormittag. Ein kleiner Vorgarten ist einladendes Treff-Entree, hier kann man in der Sonne sitzen, Kaffee trinken und entspannen. Zwei freundliche Räume und ein Zimmerchen als stiller Rückzugs- oder Gesprächsort sowie Küche und Sanitäre Einrichtungen besitzt der Treffpunkt.
In der Kunstgruppe geht es zum Wetter passend bunt und fröhlich zu. Collagen werden geschnitten, geklebt und gegenseitig humorvoll kommentiert und vielleicht dann demnächst in einer der Ausstellungen der Öffentlichkeit präsentiert. Die Teilnahme ist kostenlos, ein Obolus wird von manchem Teilnehmer nach eigener finanzieller Möglichkeit freiwillig entrichtet. Fachliche Unterstützung leistet Kunstgruppenleiterin Maike Gerten, die am Abschluss ihres Kunst-Studiums steht.
Von einer Kommilitonin hatte sie vom Treffpunkt erfahren und ist begeistert, dass hier Menschen, die einfach nur Anschluss bei Kaffee, Tee und dem vielfältigen Gruppenangebot suchen, mit denen zusammentreffen, die seelische Probleme haben. „Gelebte Inklusion“, nennt sie das und hat sich einiges vorgenommen für die Gruppe: Die verschiedenen Maltechniken will sie ihr nach und nach vermitteln. Seit eineinhalb Monaten gehört Maike zum achtköpfigen Team, zu dem Sozialarbeiter und Mitarbeiter aus dem psychosozialen Bereich zählen, und das Honorarkräfte und Ehrenamtliche verstärken.
Seit 15 Jahren dabei ist Sozialarbeiterin und Geschäftsführerin Irmgard Lohbreier, die auch stellvertretende Geschäftsführerin des gemeinnützigen Perspektive Zehlendorf e. V. ist, dem Kooperationspartner des Treffpunkts. Lediglich zwei Vollzeitkräfte arbeiten im Treff-Team. „Wir können keine großen Sprünge machen“, erklärt die Leiterin angesichts des recht schmalen finanziellen Etats, was aber die verkehrsgünstige und malerische Lage sowie die netten Nachbarn am Mexikoplatz wettmachen.
Zum „Offenen Treff“, der von Montag bis Donnerstag täglich stattfindet, ist jeder herzlich willkommen. Gemeinsames Frühstück, Chor, „TagesThemen“-Diskussionsrunde, Trommelgruppe, Kreatives Fotografieren, Kegelnachmittag oder aber psychosoziale Beratung, therapeutisch angeleitete Gesprächsgruppe und unterschiedlichste Ausflüge und Kulturveranstaltungen von der Lesung bis zum Vortrag – das kostenlose Angebot des Treffpunktes hält für jeden – teilweise mit Anmeldung – das Passende bereit. Irmgard Lohbreier erklärt dazu: „Wenn jemand Probleme hat oder dringenden Rat sucht, sind wir selbstverständlich immer gesprächsbereit und vermitteln Hilfe.“
Zum Gedankenaustausch und Besprechen neuer Programm-Ideen kommen Team und Besucher alle acht Wochen am Runden Tisch zusammen.
Seit der Berliner Senat im Rahmen seiner Flüchtlingspolitik eine zusätzliche Stelle für die Kontakt- und psychosozialen Beratungsstellen bewilligt hat, ist für die Arbeit mit geflüchteten Menschen Barbara Stadler im Team dabei. Sie kommt ebenfalls vom Perspektive Zehlendorf e. V., wo sie sich sechs Jahre lang mit psychisch Kranken beschäftigte; das hier ist ein Pilotprojekt für sie und den Treffpunkt. Dort haben nun auch geflüchtete Menschen aus den Flüchtlingsunterkünften die Möglichkeit, das Beratungsangebot anzunehmen oder einfach Kontakt zu ihren deutschen Nachbarn aufzunehmen. Besonders die in der Unterkunft in Wannsee-Heckeshorn untergebrachten Menschen nutzen die Treffpunkt-Angebote. Barbara Stadler erzählt: „Gute Kontakte zu den anderen Besuchern sind durch den angebotenen Begegnungstreff mit Geflüchteten und durch gemeinsames Kochen entstanden.“ Obwohl es sprachliche Verständigungsschwierigkeiten gab: in der Küche und beim gemeinsamen Essen verstand man sich dann auch ohne Worte. Doch für die Beratungen im psychosozialen Bereich und den Zugang zu den psychisch beeinträchtigten Menschen bereitete die erschwerte Verständigung weitaus größere Probleme. So ist Barbara Stadler dankbar, dass sie sprachlich nun von ihrem neuen Kollegen, dem Syrer Salar, unterstützt wird. Sie führt ihn dafür in das psychosoziale System Berlins ein. Salar spricht neben Deutsch, Englisch und Syrisch mehrere Formen von Kroatisch, Arabisch und Persisch. Er arbeitete bereits ehrenamtlich für UNICEF als psychosozialer Helfer und bringt notwendige Vorkenntnisse mit. In seiner syrischen Heimat machte er eine Soziologie-Ausbildung. Geflüchtete Menschen mit und ohne psychische Beeinträchtigung werden unter seiner Sprachbegleitung leichter erreichbar.
Sozialarbeiterin Barbara Stadler sieht sich als Schnittstelle zur Eingliederungshilfe. Sie geht in die Einrichtungen, „an die psychosozialen Brandstellen vor Ort“, ist Ansprechpartnerin bei Krisen, leistet dadurch wichtige politische Unterstützungsarbeit. Im Notfall vermittelt sie an das bestehende Hilfssystem, verbringt selbst viel Zeit im Behördendschungel und muss immer flexibel bleiben. Doch sie freut sich: „An diesem schönen Begegnungsort am Mexikoplatz besteht Interesse beiderseits, mit Menschen der anderen Kultur zusammenzukommen.“ Und Irmgard Lohbreier ergänzt: „Man muss manchmal experimentierfreudig sein, um Erfolg zu haben.“
Den Erfolg sieht sie dann auch darin, dass pro Jahr rund 220 Menschen mindestens einmal den Treffpunkt besuchen. Dass die Wertschätzung des Treffpunktes am Mexikoplatz auch zukünftig bestehen und dem unterstützenden Bezirk bewusst bleibt, das wünscht sie sich besonders für die Menschen, für die er so notwendig ist.
Überzeugen davon können sich Interessierte am 10. Oktober 2017 beim „Tag der offenen Tür“ im Treffpunkt Mexikoplatz, der im Rahmen der diesjährigen „Woche der seelischen Gesundheit“ stattfindet.
Jacqueline Lorenz
Treffpunkt Mexikoplatz
Mexikoplatz 4
14163 BerlinTel. 030 – 801 70 26
E-Mail: info@treffpunkt-mexikoplatz.de
Öffnungszeiten, Angebote, Informationen, Spendenkonto unter www.treffpunkt-mexikoplatz.de
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