Erschienen in Gazette Charlottenburg Oktober 2017
Wilfried Schuh, Diplom-Ingenieur, Architekt und Gartenkünstler, führt an diesem sonnigen Vormittag gekonnt die Heckenschere über das Blattwerk des zu gefälligen Bögen verwachsenen Strauchwerks. Ich bin mit ihm verabredet, hier zwischen Kösener und Berkaer Straße sein grünes Paradies näher in Augenschein zu nehmen. Und wirklich, kaum hat man die kleine Toreinfahrt neben dem Blumengeschäft passiert, glaubt man in eine andere, friedlichere Welt einzutauchen. Blühende Blumenkübel markieren die Parkplätze, die anliegende Gartenanlage der Nachbarn erinnert an eine gepflegten englischen Garten. Mittendrin der ältere Mann mit den so jugendlich blitzenden Augen unter galantem Strohhut. „Die Grünfläche habe ich okkupiert“; erklärt er schmunzelnd auf meinen fragenden Blick hin. Seine Nachbarn können sich glücklich schätzen, ihn als Garten-Kümmerer für sich gewonnen zu haben.
Als Vorhof zum Paradies könnte die Grünfläche vor Schuhs Grundstück bezeichnet werden. Denn schreitet der Besucher durch das schmiedeeiserne Tor in dessen eigentliches Refugium, bleibt die laute Welt draußen.
Das Plätschern des kleinen Brunnens klingt dem Besucher einladend entgegen, der die über Sichtachsen verbundenen Grünräume neugierig zu erkunden bereit ist. Dabei streift sein Blick unwillkürlich an der Fassade von Wohnhaus, Remise und Orangerie empor, die den rund 500 Quadratmeter großen, in Form einer dreischiffigen Basilika angelegten Hof gefällig einfassen. Bewachsen mit wildem Wein und Hängegeranien, rufen sie unweigerlich das Bild der „hängenden Gärten der Semiramis“ beim Betrachter wach.
Doch erst einmal heißt es, rasten an kühlem Brunnen. Palmenblätter in steinernem Kübel fächeln zwischen Säulen grüßend im Sommerwind, blaublühende Schmucklilien und bunte Knollenbegonien nicken farbenfroh, dazwischen neigt sich elegant die gelbstrahlende „durchwachsene Silphie“, eine Verwandte der Sonnenblume. „Ihre Blütenblätter bilden Becher, in denen sie Wasser speichern kann für eventuelle Trockenperioden“, erklärt Gartenfreund Schuh seine Untermieterin, die ihm seine hingebungsvolle Pflege mit reichem Blütenstand dankt. Darin stehen ihr auch die anderen Gartenbewohner mit ihrer üppigen Vegetation von Frühjahr bis Winter in nichts nach, wie ich erfahre.
Bei kühlem Zitronensprudel plaudert der rüstige Gartenfreund aus seinem Leben, erzählt begeistert von der Metamorphose dieses inzwischen über dreißig Jahre alten Gartens. Die grüne Blätterwand der haushohen Weide schirmt den Blick zum Parkplatz ab. Im Schatten ihrer und einer Buche schweren Zweige lässt es sich herrlich entspannen. Im Einkaufsnetz hat Wilfried Schuh die junge Weide einst in ihr neues grünes Zuhause getragen. Zu fast jedem Gewächs hier weiß er eine Geschichte, spannend oder bewegend, und zeigt sich dabei immer fest verwurzelt mit seinen Pflanzen.
In Wilfried Schuhs Bürgerhaus, seinem Arkadien, leben heute in zehn liebevoll und fachmännisch restaurierten, teilweise möbliert vermieteten Wohnungen Menschen, die sich den Blick für Kunst, Historie und Kultur bewahrt haben. Sie finden als kunstliebende Gemeinschaft wie der Hausherr sagt, als “seine Wohnpartner“ gerne bei den von ihm und seiner Frau veranstalteten Lesungen, Musikvorführungen, Buchvorstellungen, aber auch Feten und Essen zusammen.
Wie einmal alles begann, erzählt mir der Hausherr, der bereits im neunten Lebensjahrzehnt angekommen ist, an diesem Vormittag ausgiebig, verfällt dabei immer wieder ins Plattdeutsch seiner Heimat:
Die Liebe zur Natur und Kultur wurde ihm wohl in die Caputher Wiege gelegt, die unweit des Schwielowsees stand. Havellotsen waren seine Vorfahren, die später, als Berlin nach den begehrten Glindower Ziegelsteinen rief, mit Kähnen und Schiffen über die Havel fuhren, diesen Bedarf zu erfüllen. Der Großvater schiffte als Dreizehnjähriger Theodor Fontane über den See nach Petzow, wo auch Lenne´s Verschönerungstour Zeichen setzte.
Der Garten und die Mistkuhle zogen den Jungen Wilfried schon damals magisch an. Da mussten Tomatenpflanzen hochgebunden und gedüngt werden, und im Wald versuchte er mit „gemopsten“ Akazien und Birken ein versandetes Stück neu zu begrünen. Daheim wurde Hausmusik gepflegt, der Vater arbeitete bei AEG-Telefunken, spielte Geige, Sohn und Tochter mehrere Instrumente. Noch heute erinnert das alte Klavier, auf dem bereits Liszt spielte, im Schmargendorfer Domizil an diese Tage.
„In Caputh bin ich geboren und habe dort wirkliches Heimatgefühl entwickelt“, erinnert sich Wilfried Schuh und beschreibt seinen Werdegang weiter: „In Potsdam bin ich geschult und in Berlin habe ich studiert.“ Dort wurde er auch Schüler des Architekten der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, Egon Eiermann. 1961 kam Schuh als politischer Flüchtling in den Westen. Als Architekt mit viel Sinn für Kunstgeschichte arbeitete er im „eigentlichen Herzen der Mark Brandenburg“, in Berlin, als technischer Leiter einer Bauträgergesellschaft im Sanierungsbetrieb. Er wurde, vom sozialdemokratischen Gedanken geprägt, Bezirksverordneter in Spandau, wo er auch wohnte. Heute betont Schuh: „In der damaligen Wohnungspolitik und dem sozialen Wohnungsbau wurde viel falsch und kaputt gemacht.“ In seiner Freizeit baute er im Kleingarten am Weinmeisterhornweg sein privates Gesellenstück mit Bungalow, Pavillon und Teichanlage. Sein Meisterstück aber sollten später Haus und Garten in Schmargendorf werden.
Die damals immer unsicherer werdende Mietpolitik ließ Wilfried Schuh für sich und seine Familie Ausschau nach einem Wohnobjekt halten, dass ihm als Eigentümer einen sicheren Alterswohnsitz versprechen würde.
Als er 1977 von dem zum Verkauf stehenden, 1887 erbauten Abrisshaus in der Kösener Straße 4 erfährt, greift Wilfried Schuh zu, verkauft dafür sein „Gesellenstück“. Kaufmännisch denken hat er gelernt, er, den alle für seine punktgenaue „Taschenbuchhaltung“ bewundern.
Neben seiner Arbeit als Architekt saniert er in der Freizeit als Bauherr mit seinen Händen und viel Leidenschaft historisch aufwendig den Bau, der zum kunsthistorischen Schmuckstück mit authentischer Marmortreppe, Stuck, Beschlägen und Türlagern werden wird. Er mauert, tischlert; die selbst entworfene Remise und nach eigener Idee angefertigte Verglasungen folgen. Bei den Baugenehmigungen werfen ihm die wenig fachkundigen Ämter immer wieder Knüppel zwischen die Beine, die er, der erfahrene Profi, geschickt beiseite zu räumen weiß.
1985, im Jahr ihrer Silberhochzeit, können er und seine Frau endlich in das Haus einziehen, in dem so viel Glindower Steine und Heimat steckt.
Nein, langweilig ist es Wilfried Schuh bis heute nicht geworden, und von Ruhestand kann schon gar keine Rede sein: Der Architekt pflasterte mit aufwendigen Mustern den Gartenbereich mit indischem Marmormosaik – zwei Quadratmeter pro Tag - baut derzeit zwei Wohnungen im Haus aus und findet nicht nur im Garten immer etwas zu tun.
Demnächst wird er von der Seilzugleiter aus das Fassadengrün beschneiden, dann müssen die Containerpflanzen im Spätherbst frostsicher eingelagert werden. – Da bleibt nur wenig Zeit, von seinem engelbehüteten Ausblick-Zimmer im ersten Stock auf sein blühendes Arkadien zu blicken. Doch der Selfmademan, der kaum Urlaub in seinem Leben machte, will es nicht anders und genießt jede Minute, wie er sagt: „Denn was gibt es spannenderes, als täglich an der Kraft des Wachsens und der Melancholie des Vergehens teilhaben zu können?“ Daraus schöpft er - unterstützt von Ehefrau, Tochter und Enkelin – Energie, die sich unweigerlich auch auf mich an diesem Vormittag übertragen hat.
Zum Abschied gewährt er mir noch Einblick in die Schönheit der weißen Blüte einer Engelstrompete. Den Namen „Ginger Rogers“ hat er ihr gegeben, weil sie zusätzliche Blütenblätter trägt, die ihn an einen Tanz-Spitzenunterrock erinnern.
Dann schließt sich das Tür hinter mir zu Wilfried Schuhs ganz besonderem Garten, der weitaus mehr als ein Musterbeispiel gelungener Gartenkunst geworden ist.
Und die Welt um mich ist an diesem Mittag wieder ein Stück lauter und farbenärmer.
Jacqueline Lorenz
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