Erschienen in Dahlem & Grunewald Journal Februar/März 2018
Im letzten Jahr hat er seinen 30. Geburtstag und seinen 70 000. Einsatz gefeiert. Doch in Strömen floss da statt Champagner Kerosin, sein Lebenselixier. Immerhin 673 Liter fasst der durstige Tank des gelben Rettungs-Helikopters. Auf einem Einsatzradius von 50 Kilometern in Gesamt-Berlin ist er unterwegs, um den Notarzt durch die Lüfte schnell vor Ort zu bringen, wenn ein Menschenleben in Gefahr ist und es über Berlins Straßen zu lange dauern könnte. Mit einer Leistung von rund 3.400 Einsätzen pro Jahr gilt der sympathische Berliner Brummer vom ADAC weltweit als Spitzenreiter unter den Rettungshubschraubern. Dessen ist sich der einstige Polizei-Helikopter wohl bewusst, denn er macht mächtig Wind beim Abheben von seiner Heimatstation auf dem Charité Campus Benjamin Franklin (CBF) in Steglitz.
Als Betreiber unterhält die gemeinnützige ADAC Flugrettung deutschlandweit 37 Stationen der Luftrettung mit 51 Rettungshubschraubern.
Da in Deutschland der Rettungsdienst Ländersache ist, greifen die verschiedenen Bundesländer zur Durchführung der Luftrettung auf unterschiedliche Organisationen zurück: Zu ihnen gehören im zivilen Luftrettungsbereich neben dem ADAC, der die Etablierung der Luftrettung der letzten 30 Jahre maßgeblich voranbrachte, die DRF Luftrettung sowie die SAR Luftwaffe Bundeswehr und das Bundesministerium des Inneren mit für den Katastrophenschutz beschafften Hubschraubern.
Vier Stammpiloten, 19 erfahrene Notärzte – viele mit den Schwerpunkt Kardiologie und Anästhesie und mit Luftrettungs-Eignung – sowie vier Rettungsassistenten verteilen sich auf die Einsatz-Crews, die im Schichtdienst Christoph 31 in seiner wichtigen Mission in Berlin unterstützen.
Wann der gelbe Engel seine Rotorblätter anwerfen muss, geht auf die Leitstellen der Berliner Feuerwehr zurück: Wenn deren Computersystem nach einem eingegangenen Notruf feststellt, dass der dem Einsatzort nächste Notarzt länger als 12 Minuten zum Patienten brauchen würde, wird Christoph 31 angefordert. Dann schrillt die Alarmglocke im Steglitzer Hangar. Im Durchschnitt zehnmal, aber manchmal auch siebzehnmal am Tag, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Dank erfahrener Einsatzkräfte und ausgefeilter Logistik meistern Helikopter und Crew derartige Herausforderungen bravourös, bei denen es meist ums Überleben geht.
Als Stationsleiter stets den Überblick behält Verkehrshubschrauberführer Nico Hellmann, der sich selbst als Bindeglied zwischen Station und Außenbetrieb sieht.
Neben seinem regelmäßigen Einsatz im Cockpit als Pilot ist er auch für die Dienstpläne und die Creweinteilung zuständig, von denen jeweils ein Pilot, ein Notarzt und ein Rettungsassistent auf Christoph 31 Dienst haben. Außerdem ist er Ansprechpartner für alle Bereiche rund um den gelben Luftretter. Hellmann, dem man die Begeisterung für seinen Beruf in jedem Satz anmerkt, begann als Pilot bei der Bundeswehrrettung, flog im Kosovo, arbeitete als Fluglehrer und wechselte schließlich in den Zivil-Rettungsdienst. Er bestand das strenge Auswahlverfahren des ADAC mit dem anspruchsvollen Test des Institutes für Luft- und Raumfahrt (DLR), bevor er auf dem Pilotensitz von Christoph 31 Platz nehmen durfte. „Wir haben keine Nachwuchssorgen“, erklärt er, betont aber auch: „Von den Bewerbern sind es jedoch nur wenige, die für die Luftrettung in Frage kommen.“ Belastbarkeit und Nervenstärke sind dafür genauso wichtig wie überdurchschnittliche Leistungen in Mathematik, Physik und Englisch, um nur einige Grundvoraussetzungen zu nennen.
Etwa 80 Prozent der Rettungseinsätze machen internistische Notfälle aus, wie sie bei Herz- und Schlaganfall-Patienten oder allergischen Reaktionen vorkommen, die übrigen Notfälle verteilen sich auf Einsätze, in denen es um Kinder geht, um klassische Unfälle und um Suizid-Geschehen.
Gerade wenn Kinder beteiligt sind, geht das der Crew besonders nahe. Nico Hellmann erinnert sich an die Flugrettung eines durch einen Verkehrsunfall schwer verletzten achtjährigen Mädchens im vergangenen Jahr, das er in die Kinder- und Jugendklinik geflogen hatte. Viele Wochen musste das Mädchen dort behandelt werden. „Es war ein ganz besonderer Tag für mich, als ich dann gemeinsam mit der am Unfalltag diensthabenden Notärztin zu der Kleinen nach Hause eingeladen wurde und wir sehen konnten, dass es ihr besser geht. Da bekommt der Beruf noch einmal eine ganz andere Dimension“, verrät Hellmann, der sich auch über die stattliche Anzahl von Fehleinsätzen (1/3 aller Einsätze) freuen kann, „weil das zeigt, dass den Patienten vielleicht schon geholfen wurde.“
Zwar reicht der Platz im Christoph 31 aus, um einen Patienten von bis zu 120 Kilogramm Körpergewicht transportieren zu können, ob der Patient aber in das nächste Krankenhaus oder in die notwendige Spezialklinik geflogen wird, entscheidet der diensthabende Flug-Notarzt. Oft können die Notfall-Patienten jedoch soweit vor Ort stabilisiert werden, dass der Weitertransport in eines der 39 Berliner Krankenhäuser über die Straße genutzt werden kann. So findet zu nur etwa drei Prozent der Christoph-31-Einsätze ein Patiententransport statt. Während der Hubschrauber noch am Einsatzort steht, kommt oft bereits die nächste Einsatzanfrage. So gibt es Tage, an denen Christoph 31 nur kurz zum Nachtanken seine Steglitzer Heimatstation aufsucht, um dann sofort wieder zum nächsten Einsatz zu entschweben.
Als Berliner Besonderheit wird bei jeder Landung von Christoph 31 der Landeplatz durch die Polizei abgesichert – im oftmals unübersichtlichen Stadtgebiet die bessere Lösung, zumal auch hier immer wieder neugierige Passanten die Arbeit der Crew erschweren.
Und da ist dann noch sein größerer gelber Brandenburger Bruder, Christoph Brandenburg. Er hat seine Heimatstation in Senftenberg und ist um einiges voluminöser: Gerne lädt ihn der kleine Bruder zum Auftanken nach Steglitz ein, wenn der Weg zur Brandenburger Zapfsäule dem Bruder auf der Durchreise zu weit ist.
Während der wendige Berliner Christoph 31 und ebenso der Brandenburger Christoph 33 ihre Hauptaufgabe im Primäreinsatz – dem schnellen Transport von Rettungspersonal zum Einsatzort – sehen, ist Bruder Christoph Brandenburg ein Intensivtransporthubschrauber (ITH): Seine Hauptaufgabe besteht darin, im Sekundäreinsatz medizinisch versorgte intensivpflichtige Notfallpatienten aus einem Krankenhaus in ein anderes zur Weiterbehandlung zu fliegen. Während Christoph 31 und 33 nachts Pause haben, weil Landungen im Stadtgebiet in der Dunkelheit zu riskant wären, fliegt ihr großer Bruder auch im Dunkeln, liegen seine Start- und Landeplätze doch überwiegend im Klinikbereich. In Berlin unterwegs als ITH ist übrigens ein rot-weißer-Hubschrauber der DRF-Betreiberflotte, stationiert auf dem Unfallkrankenhaus in Marzahn.
Doch eines ist klar: Auch wenn jeder Rettungshubschrauber sein Einsatzgebiet besitzt, – im Notfall, dessen Mittelpunkt immer ein Menschenleben ist, wird flexibel von allen in Frage kommenden Einsatz-Crews nach einer Lösung gesucht und die dann auch gefunden. So hat jeder Pilot zwei Wochen jährlich Bereitschaftsdienst, in dem er bundesweit eingesetzt werden kann; jeweils dort, wo Bedarf besteht. Nico Hellmann lernte so vor Kurzem andere Stationen der Flugrettung in Neustrelitz und in Wolfenbüttel kennen.
Der Jungfernflug von Christoph 31 fand im Jahr 1987 in West-Berlin noch unter amerikanischer Flagge statt. Kein deutscher Pilot durfte ihn damals fliegen, das galt bis zum Mauerfall. Heute – 2001 durch ein moderneres Helikoptermodell von Airbus ersetzt – hat er sich zum flugstärksten Mitglied der ADAC-Flotte entwickelt. Unverzichtbar im Rettungswesen ist er inzwischen und dürfte das auch in Zukunft bleiben.
An seiner Heimatstation auf dem Steglitzer Klinik-Campus wird sich ab Frühjahr einiges tun, dann wird der gelbe Rettungsbrummer voraussichtlich in Schönefeld Zwischen-Station machen: Den aktuellen Start- und Landevorschriften angepasst, wird die Steglitzer Station eine erhöhte Start/Landeplattform erhalten, die mehr Abstand zu den Klinikgebäuden gewährt, dazu wird der gesamte Platz neu angelegt. Im Rahmen dieser Bauarbeiten wird auch das Hangargebäude erweitert, denn längst ist es für die wechselnden Rettungscrews zu klein geworden.
Und so darf man gespannt sein, wann Christoph 31 seine neugestaltete Heimat-Station der Öffentlichkeit vorstellen kann.
Bis dahin aber werden er und seine Crew noch zahlreiche erfolgreiche Einsätze meistern auf ihren Flügen über Berlin zur Rettung von Menschenleben.
Jacqueline Lorenz
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