Erschienen in Nikolassee & Schlachtensee Journal Dezember/Januar 2018
Die Vergabe des Titels am 19. September 2018 hat gezeigt, dass Steglitz-Zehlendorf auf dem richtigen Weg ist, wenn es darum geht, die Fair-Handels-Idee im Denken und Handeln seiner Bürger/innen fest zu verankern. Doch damit dieser Anker nachhaltig und sicher sitzt, dazu bedarf es auch nach Erhalt dieses auf zwei Jahre angelegten Zertifikats vieler weiterer Bestrebungen und Aktionen im Bezirk.
„Wir sind auf dem richtigen Weg, der von uns immer weiter Richtung Fairtrade ausgebaut werden muss“, formulierte vorausschauend Dagmar Birkelbach von der Koordinationsstelle Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf anlässlich der Urkunden-Verleihung im alten BVV-Saal des Rathaus Zehlendorf, die passend zur berlinweit vom 14. – 28. September 2018 zum Thema „gemeinsam für ein gutes Klima“ durchgeführten „Fairen Woche“ erfolgte.
Umweltbezirksstadträtin Maren Schellenberg ergänzte: „Wir nehmen die Auszeichnung als Ansporn, uns auch weiterhin im Bündnis mit vielen Bürgerinnen und Bürgern ganz konkret für gerechtere Handelsbeziehungen einzusetzen. Es ist eine schöne Erfahrung, dass unser Anliegen auf viele offene Ohren stößt. Jede und jeder hat die Möglichkeit, den fairen Handel zu unterstützen: Beim eigenen Einkauf und auch in Ämtern, Schulen, Vereinen, Kirchengemeinden. Faire Produkte sind heute nicht mehr nur Kaffee und Schokolade, sondern auch Fuß- und Volley-Bälle, Textilien, Blumen oder sogar Mineralien und Holz. Wir werden auch die Nachfragemacht der öffentlichen Hand einsetzen, um den fairen Handel voran zu bringen.“
Im Jahr 2015 hatte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) auf Initiative von Bündnis90/Die Grünen beschlossen, sich an der Kampagne „Fairtrade-Towns“ zu beteiligen. 2017 (Gazette 6/17 berichtete) folgte die Auftaktveranstaltung und Gründung einer Steuerungsgruppe, zu der ebenso Vertreter aus dem Bezirksamt wie aus Einzelhandel, Kirchenkreis und Fraktionen zählen.
Nicht zuletzt ihrem hochmotivierten Handeln ist zu verdanken, dass inzwischen 85 Geschäfte, 31 Cafés und Restaurants, 4 Schulen, 2 Vereine und 6 Kirchengemeinschaften aus dem Bezirk dabei sind. Sie bieten fair gehandelte Produkte mit dem bekannten Markenzeichen an und liefern darüber hinaus für Institutionen, Kommunen und Endverbraucher einen stabilen Ansatz für fairen und kritischen Konsum sowie für globales Denken und lokales Handeln.
Auch im Bezirksamt wird inzwischen ausschließlich Kaffee aus fairem Handel angeboten – auch wenn man sich auf eine bestimmte Sorte, die allen schmeckt, noch nicht festlegen konnte.
Kaffee-, Schokoladen- und Rosenduft mit „fairer“ Vorgeschichte wiesen am Tag der Titelverleihung den Besuchern aus Bezirksamt, BVV, Fraktionen und Abgeordnetenhaus vielversprechend den Weg zum Veranstaltungsort, an dem mit bunten Aktions-Ständen und fairem Buffet etliche Bezirks-Akteure sich und ihre Ideen zu fairem Handel präsentierten.
Nach der Begrüßung durch Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski („…es ist viel Luft nach oben, den Marktanteil fair gehandelter Ware auszubauen…“) und Dagmar Birkelbach – Vertreterin der im Büro der Umweltbezirksstadträtin angesiedelten und von ihr maßgeblich getragenen Geschäftsführung der Fairtrade-Kampagne – ergriff das Wort neben einzelnen engagierten Akteuren auch der Fairtrade-Ehrenbotschafter Manfred Holz und setzte Zeichen für fairen Handel auf kommunaler Ebene mit eindringlichen Sprüchen wie „fair heißt, nicht billig einzukaufen, wofür andere teuer bezahlen“, „Visionäre ohne Aktionen bleiben Illusionen“ oder „endlich gibt es bei der Deutschen Bundesbahn im Ausschank fair gehandelten Tee, den man in vollen Zügen genießen kann.“ Aber er gab auch zu bedenken, dass fair gehandelter Kaffee lediglich fünf Prozent Marktanteil besitze, jede vierte gehandelte Rose aber bereits aus fairem Handel stamme und dass es weiterhin viel zu tun gebe.
Im Anschluss an die Titel-Verleihung gab es an den Aktionsständen Einblick in die Arbeit von Akteuren, die sich mit ihren Ideen im Bezirk für fairen Handel einsetzen:
Da werden – unterstützt von Senat und Landessportbund – beim VFK Berlin Südwest „faire Bälle“ eingesetzt. Für die Beachvolleyballer wurden 30 neue, unter fairen Produktionsbedingungen gefertigte Bälle mit Vereinslogo bestellt, ebenso erhielt das Projekt „Integration durch Sport“ 15 Fairtrade-Volleybälle. Und das Nachdenken geht weiter: Demnächst soll mit Produkten aus fairem Handel auch der Trikot- und Textilbedarf der Spieler gedeckt werden.
Dazu gibt es die Schülerfirma Fair Wear mit Schülern der Rudolf-Steiner- und Emil-Molt-Schule. Gemeinsam mit ihrem Lehrer haben sie eine Firma für faire Mode, von Hoodies bis Taschen u.v.m. (auf Wunsch bedruckbar) aufgebaut. Darüber hinaus klären sie – so auch in einen selbstproduzierten Film über Indien – über die Arbeitsbedingungen in Textilfirmen auf und rufen zu sozialverträglichem, umweltschonendem Wirtschaften auf.
Auch die Botanik-Schule im Botanischen Garten stellt sich dem Fairtrade-Gedanken und unterstützt den Bezirk, indem sie Workshops für Kinder und Jugendliche zum Thema fairen Handelns anbietet, Fortbildungen für Lehrkräfte und Erzieher organisiert und dabei Hochschul-Studierende des Masterstudienganges Nachhaltigkeits- und Qualitätsmanagement mit einbezieht. Mit einem Stand konnte die Einrichtung bei dieser Veranstaltung aus technischen Gründen nicht vor Ort sein.
Persönlich stellte sich aber auch der Eine-Welt-Laden der Evangelischen Paulus-Kirchengemeinde Zehlendorf vor, die für weitere Fairtrade-unterstützende Kirchengemeinden im Bezirk steht. Im Rahmen ihres ehrenamtlichen Projektes verkauft die Paulus-Kirchengemeinde im Vorraum der Kirche seit Anfang der 90er-Jahre faire Lebensmittel vom Kaffee und Tee über Schokolade bis hin zu Honig und Gewürz, aber auch Geschenkartikel aus Afrika, Lateinamerika und Asien.
Am Stand der Lichterfelder Max-von-Laue-Schule wurde das große Engagement der Schüler der 7. – 10. Klassen deutlich, denen mit regelmäßigen Aktionen zu fairem Handel dieses Thema fest im Bewusstsein bleibt.
Die 16-jährige Greta und die 13-jährige Mia standen an ihrem Stand u. a. für das Rosenprojekt der Schule Pate: Aus dem Erlös des Verkaufs fair gehandelter Rosen am Valentinstag und ebenso aus dem „fairer“ Schokoladen-Nikoläuse am Nikolaustag unterstützt die Schule beispielsweise junge Menschen in Afrika mit Spenden für Schulbücher. Fächerübergreifend (Ethik, Politik) baut die Schule Informationen über fairen Handel in den Unterricht ein. Regelmäßige Aktionen dazu führen die Schüler durch. Seit 2008 gibt es eine AG, die sich mit globalen Themen wie Armut, Ungerechtigkeit und Fairtrade beschäftigt. Für ihre Aktionen hat die AG bereits etliche Preise erhalten. So belegte sie im Jahr 2016 beim Wettbewerb des Bundespräsidenten immerhin den ersten Platz.
„Das Mitwirken bei den Aktionen ist uns eine Herzensangelegenheit“, erklärt Greta, eine von 34 AG-Teilnehmenden. Sie und Mia achten inzwischen verstärkt darauf, fair gehandelte Produkte zu kaufen, und sind sich einig: „Bei Schokolade oder Lebensmittel-Produkten geht das ja, schwierig ist es aber bei Textilien, die sind oft ziemlich teuer.“ Ihre Eltern haben die Beiden insoweit beeinflusst, dass die jetzt auch genauer hinsehen, was sie „fair“ kaufen können.
Ein weiteres Highlight der Max-von-Laue-Schule begeisterte am Stand: Der „sprechende Schrank“, als Modell des multimedialen Projektes zum globalen Lernen, der auf der Schul-Webseite über das Anklicken verschiedener Buchstaben von A-Z Stichworte zur Globalisierung, deren Auswirkung auf Menschen in anderen Ländern und zum Nachdenken über Konsumverhalten und ökonomische Folgen liefert.
Den Titel Fairtrade-Town-Stadtbezirk tragen außer Steglitz-Zehlendorf auch Charlottenburg-Wilmersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte, Pankow und als Titelverteidiger Tempelhof-Schöneberg.
Beeindruckt von den vielen Aktionen und Veranstaltungen der Hauptstadt-Bezirke und –Zivilgesellschaft zum Thema Fairer Handel, zertifiziert die Initiative TransFair e. V. im November nun auch die Stadt Berlin offiziell zur Fairtrade-Stadt.
Inzwischen gibt es 1.400 Fairtrade-Produzentenorganisationen in 73 Ländern. Beschäftigte und Bauernfamilien in Afrika, Asien und Lateinamerika erhalten (Stand 2016) Fairtrade-Prämiengelder in Höhe von 150 Millionen Euro für Investitionen ihrer Gemeinschaft.
Ziel der Fairtrade-Kampagne ist, die Prinzipien fairen Handels flächendeckend zu erreichen, Menschenrechte durchzusetzen und unfaire Handelspraktiken zu beseitigen.
Der Bezirk Steglitz-Zehlendorf plant einen bezirklichen Einkaufsführer zu Fairtrade-Produkten. Außerdem hat er ein „Mitmachplakat“ zum Downloaden entwickelt, auf dem sich jede Einrichtung, die fairen Handel unterstützt, mit ausgefülltem Plakat sichtbar machen kann, indem sie „ihr“ Foto mit Plakat an die Referentin der Umweltbezirksstadträtin sendet.
Informationen dazu unter petra.margraf@ba-sz.berlin.de
Weitere Informationen zum Thema Fairtrade unter www.fairtrade-deutschland.de , www.fairtrade-towns.de und unter www.fairtradetown.de
Jacqueline Lorenz
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