Erschienen in Gazette Charlottenburg und Wilmersdorf Mai 2019
Wohnen wird immer teurer und Wohnraum ist in Berlin knapp. Eine Initiative fordert, große Immobilienkonzerne zu einteignen. Die Fraktionen der BVV Charlottenburg-Wilmersdorf nehmen in den folgenden Beiträgen zu diesem Thema Stellung.
Gefühlt ja, doch es gibt offene Fragen: Wie? Zu welchem Preis? In welcher Zeit? Die Initiatoren des Volksbegehrens wecken Hoffnungen, die nur schwer durch die Forderung nach einem „Gesetz zur Überführung von Immobilien sowie Grundeigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung“ erfüllt werden können. Wir wissen zudem bisher nichts über die Höhe notwendiger Entschädigungsleistungen. Hier könnte sehr schnell der Landeshaushalt in ernsthafte Schieflage geraten, denn selbst wenn der von der Initiative genannte Wert zwischen 7 und 14 Mrd. Euro zutreffen sollte, würde der Schuldenstand Berlins über den Höchststand von 2011 anwachsen. Auch würden Enteignungen wahrscheinlich in langwierigen und mehrinstanzlichen Verfahren geprüft werden. Hier stellt sich die Frage, ob dies den Mieter*innen nutzt. Deshalb setzen wir auf andere Lösungen: bauen, kaufen, deckeln! Bodenspekulationen eindämmen. Die Umlage der Modernisierungskosten weiter absenken. Mehr bezahlbaren Wohnraum, der nicht durch Abriss und Verdrängung von Mieter*innen entsteht. Alle bundeseigenen Grundstücke, die sich für Wohnungsbau eignen, sollten gekauft werden. Die Mieten deckeln, indem wir zu einem Stichtag die Mieten einfrieren, das gilt für bestehende und neue Mietverträge.
Wolfgang Tillinger
Nein. Bei aller gerade auch seitens der CDU-Fraktion immer wieder geübten Kritik am Geschäftsgebaren der Deutsche Wohnen: Unsere Gesellschaft und unser Rechtsstaat fußen auf den Freiheitsgarantien des Grundgesetzes. Dieses schützt in Artikel 14 das individuelle Eigentum. Durchbrechungen dieses Schutzes, wie zum Beispiel Enteignungen, sind aus gutem Grunde nur in absoluten Ausnahmefällen und zum Wohle der Allgemeinheit möglich. Eine solche Ausnahme setzt voraus, dass der Staat alle ihm möglichen weniger eingriffsintensiven Maßnahmen ergriffen hat, um das Problem zu lösen. Das ist hier aber überhaupt nicht der Fall!
Eine gute Idee wäre es daher viel mehr, wenn die rot-rot-grüne Koalition auf Landesebene und insbesondere die linke Nicht-Bausenatorin Lompscher endlich anfangen würden, mit ernsthafter Politik die Lage auf dem Berliner Mieten- und Wohnungsmarkt zu entspannen. Stattdessen wird munter eine wirkungslose Nebelkerze nach der anderen gezündet, um die Wählerinnen und Wähler ruhigzustellen. Dies gipfelte am 6. April in der Teilnahme der Senatorin an einer Demonstration gegen ihre eigene Politik. Damit muss endlich Schluss sein!
Christoph Brzezinski
Unaufhaltsam steigende Mieten haben dazu geführt, dass sich selbst die Mittelschicht das Leben in unserem Bezirk kaum leisten kann. Bezahlbarer Wohnraum ist die zentrale soziale Frage. Allein verstärkter Neubau löst das Problem nicht. Vor kurzem hat unsere Große Anfrage gezeigt, dass nur ein Bruchteil der neu gebauten Wohnungen überhaupt Mietwohnungen sind, von bezahlbaren Mieten ganz zu schweigen. Der Markt baut am Bedarf vorbei. Und die Mietpreisbremse der Bundesregierung wirkt nicht.
Verzweifelte Zeiten erfordern neue Ideen. Kein Wunder, dass über Artikel 15 unseres Grundgesetzes, der eine Vergesellschaftung zugunsten der Allgemeinheit ermöglicht, nachgedacht wird. Es war ein erheblicher Fehler, dass SPD und Linke große Bestände der landeseigenen Wohnungen an Investoren verkauft haben. Gerade diese treiben gewinnfixiert die Mieten nach oben. Seitdem ist das Grundrecht auf Wohnen in Gefahr.
Eine solche Vergesellschaftung wird das Land viele Milliarden Euro kosten, das immer noch mit einem enormen Schuldenberg kämpft. Eine solche Investition darf nicht dazu führen, dass Berlin an anderer Stelle handlungsunfähig wird.
Es gilt genau hinzusehen, wo der Rückerwerb von Wohnraum gezielt zur Senkung und Stabilisierung des Mietspiegels, also mit maximaler Wirkung, eingesetzt werden kann.
Jenny Wieland
Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ erfreut sich großer Popularität. Sie fordert, alle privaten Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Mietwohnungen zu enteignen – und scheint damit einen Nerv zu treffen. Enteignungen sind laut Grundgesetz-Artikel 15 im Grunde möglich. In der Form angewendet wurde der Artikel in der Bundesrepublik bislang noch nie. In jedem Fall würde es für das Land Berlin sehr teuer – eigenen Schätzungen nach bis zu 36 Milliarden Euro, die Verschuldung des Landes würde exorbitant ansteigen.
Durch Enteignung wird jedoch lediglich ein Eigentumswechsel herbeigeführt, keine einzige neue Wohnung entsteht. Wenn der Senat Wohnungen zurückkauft, die Mieten deckelt oder gar Firmen enteignet, unterstützt er viele Menschen, die auf Hilfe gar nicht angewiesen sind. Und Bauherrn, die in der Stadt Berlin Wohnungen schaffen wollen, werden durch die altsozialistischen Ideen des Senats abgeschreckt.
Die Initiatoren der Initiative denken das Thema leider nicht zu Ende. Wohnungsknappheit verschwindet nicht per Volksentscheid, Wohnungsknappheit verschwindet durch Bauen – weswegen sich die FDP-Fraktion auch weiterhin für Wohnungsbau und das Erschließen von Potentialflächen einsetzten wird.
Johannes Heyne
Wohnen ist ein zu ernstes Thema, als dass man es Politikern überlassen sollte, die einen Vier- oder Fünfjahres-Denkhorizont haben. Die gleichen Leute, die heute Enteignung skandieren, haben dieselben, identischen Wohnungen der GSW 2003/04 im Paket (65.000 Wohnungen) unbekümmert an Hedgefonds verscherbelt. Es waren die Linken und die SPD. Diese Wohnungen sind später bei der „Deutsche Wohnen“ gelandet.
Schon 1981 haben Bürgerinitiativen erkannt „Wohnen darf nicht länger Ware sein“; was später dann zur Altbau-IBA unter Prof. Hämer führte; ein Umdenken hin zur Sanierung des Altbaubestandes war die Folge. Das Problemfeld Wohnungsmarkt war also 2003 nicht neu, dennoch wurde verkauft. Wohnen ist ein elementares, nicht surrogierbares Gut. Der Staat steht in der Verantwortung, ordnungspolitisch einzugreifen, wenn der Wohnungsmarkt kollabiert, weil die Angebotsseite des Marktes fehlt.
Bauen soll die wachsende Angebotslücke, die durch unkontrollierte Migration verschärft wird, schließen. Heute geplante Wohnungen stehen dem Markt erst in ca. 5 Jahren zur Verfügung, deshalb sind ordnungspolitische Maßnahmen (Milieuschutz, Mietendeckelung) umgehend einzusetzen, um die Bestandsmieter zwischenzeitlich wirksam zu schützen. Enteignung gehört nicht dazu.
H. Asbeck
Von 2012 bis 2017 sind die Mieten in Berlin um 100 Prozent gestiegen. Schuld ist die Bundespolitik mit ihrer wirkungslosen Mietpreisbremse – Mietrecht ist Bundesrecht. In Berlin unternimmt Katrin Lompscher alles, um den Mietenwahnsinn zu stoppen. Die großen Immobilienkonzerne bauen am Bedarf vorbei, erhöhen die Miete, verdrängen Mieter*innen und spekulieren mit Wohnraum. Eine Gruppe von Mieter*innen hat sich zusammengeschlossen und sammelt bis 13. Juni Unterschriften für das Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co enteignen. Berlin hat Eigenbedarf: Die Initiative will erreichen, dass die Bestände privater Immobilienkonzerne vergesellschaftet und die Wohnungen gemeinwohlorientiert verwaltet werden. Zu betroffenen Unternehmen zählen Deutsche Wohnen und Vonovia. Das Volksbegehren bringt die Wut und Entschlossenheit der Mieter*innen zum Ausdruck, die Frage »Wem gehört die Stadt?« offensiv zu beantworten. Berlin darf keine Stadt nur für das große Geld und nur für Reiche werden. Wir wollen bezahlbare Mieten in bestehenden Mietverträgen sichern, den öffentlichen Wohnungsbestand durch Ankauf und Neubau massiv erhöhen und die Marktmacht der großen Immobilienunternehmen durchbrechen. Wir wollen alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um den Mietenwahnsinn zu stoppen. Deshalb unterstützen wir Deutsche Wohnen & Co enteignen.
Niklas Schenker
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