Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau Mai 2019
Der Himmel strahlt, und aus den Händen des Brautpaares steigen zwei weiße Tauben in die Lüfte empor, begleitet vom Jubel der Hochzeitsgesellschaft, über deren Köpfe sie kreisen.
Doch was uns so verzückt, kann für manche dieser lebenden Glücksbringer bittere Folgen haben: Geschlagen vom Raubvogel, orientierungslos herumirrend oder verletzt durch zu spät bemerkte Hindernisse, kann das für die durch ihr weißes Federkleid eh stärker gefährdeten Tauben, den Tod bedeuten.
Deshalb unbedingt genau hinsehen, wo und bei wem man die Täubchen bucht.
Denn es handelt sich dabei nicht um totes Dekomaterial, sondern um Lebewesen mit Empfindungen.
Und an diesem schönsten Tag der Frischverheirateten, sollen sich schließlich alle wohlfühlen und nicht einzelne ums Überleben kämpfen, während andere feiern.
Die Farbe Weiß steht für Unschuld und Treue. Deshalb sind für den Hochzeitseinsatz besonders reinweiße Tiere gefragt, die für Hoffnung, Neuanfang und Liebe hoch am Himmel ihre Kreise ziehen sollen.
Durch Rasse-Kreuzung erhält das Gefieder seine blütenweiße Farbe, wobei das genetisch nicht selten auf Kosten der Orientierungsfähigkeit geht.
Als geeignet gelten in Fachkreisen nur spezielle Rassen wie die Wiener Hochzeitstaube und die weiße Brieftaube. So fliegt erstgenannte gewöhnlich im Verbund und Schwarm nach Hause, was wenigstens einen gewissen Schutz vor Raubvögeln bietet.
Die weiße Brieftaube gilt als schneller und relativ orientierungssicher, fliegt aber meist einzeln. Ein kontinuierlich entsprechendes Training für sogenannte Hochzeitstauben ist jedoch immer unverzichtbar, um ihre Flug- und Heimfindesicherheit zu stärken.
Verantwortungsvolle und fachkundige Züchter wissen das und unterscheiden deshalb beim Einsatz für Hochzeits-, Bestattungs- oder Jubiläumszeremonien zwischen Brieftauben mit gutem Heimfindevermögen, die sie als frei fliegende „Auflasstauben“ einsetzen, und zahmen Handtauben, die durch geduldiges Training an Menschenhände gewöhnt sind. Sie werden bei den Fotoaufnahmen mit dem Brautpaar eingesetzt, lassen sich anfassen und streicheln.
Verantwortungslose Anbieter dagegen vermarkten immer wieder aufgrund ihres Orientungsdefizites kaum reisetaugliche Tauben als Hochzeitstauben, die dann an den Himmel geschickt werden, nicht heimfinden, und welche häufig ein trauriges Schicksal wie Verhungern oder Gefressenwerden erwartet. Gleiches gilt für Pfauen-, Lachtauben oder Möwchen, die lediglich auf Schönheit gezüchtet sind. Makaber ist es, wenn Züchter die monogamen Taubenpaare sogar trennen, um einen stärkeren Heimkehrwillen zu wecken.
Während gute Brieftauben bei der Heimfindung Entfernungen von 300 Kilometer bis zu 120 km/h schnell und erfolgreich bewältigen, können für weniger orientierungsstarke Tiere bereits 40 Kilometer problematisch werden.
Eine wichtige Rolle spielt dabei Stress: Fremde Einflüsse und Umgebung mit lauter Musik können Panik beim Tier auslösen und es desorientiert und damit besonders anfällig für Flugunfälle machen. Da die Tauben nach dem Magnetfeld der Erde navigieren, bedeuten extreme Wetterverhältnisse mit Temperaturen unter 5 °C und über 30 °C, Sturm, Gewitter, Regen, Nebel und Dunkelheit ebenfalls lebensbedrohenden Stress für die Tauben.
Doch auch individuelle Faktoren spielen bei den Tieren eine Rolle, so dass die eine Taube bereits Panik bekommen kann, während eine andere noch ganz ruhig ist. Deshalb ist es schwer zu sagen, ab wann für Hochzeitstauben der Stress zur Quälerei wird. Darauf weist auch der Verein Stadttauben Koblenz Neuwied hin, der sich für eine tierschutzgerechte Bestandskontrolle von Stadttauben einsetzt und auch das Thema Hochzeitstauben ernst nimmt.
Doch woran erkennt man, welcher Züchter vertrauenswürdig ist? Einfach ist das nicht: Geht man ins Internet, findet man dort unzählige Angebote für Hochzeitstauben zum Arrangement-Preis je nach Taubenanzahl zwischen 200 und 600 Euro. Zweifel kommen auf, ob es bei allen wirklich tierschutzgerecht zugeht. Nachdenklich stimmen kann auch, dass für eine Taube um die 10 Euro berechnet wird, der Handkorbpfand aber bei 50 Euro und mehr liegt…
An potentielle Kunden, die dergleichen Angebote für die Hochzeit nutzen möchten, hier die dringende Empfehlung: Unbedingt darauf bestehen, die Tiere im Heimatschlag besuchen zu dürfen. Wird dem vom Züchter nicht zugestimmt, sollte man dieses Angebot vergessen.
Darf man aber in einem Hausschlag zu Gast sein, darauf achten, ob die Tiere kahle Stellen, verschmutztes Gefieder haben oder abgemagert wirken, teilnahmslos herumsitzen oder fröhlich gurren und herumpicken. Besitzt jedes Brutpaar genügend – etwa einen zweietagigen – Brutplatz? Gibt es Bademöglichkeiten, und werden die Schläge täglich gesäubert?
Den Züchter bitten, seine Tiere anzufassen, dann sieht man gleich, wie es sich mit der Handzahmheit bestellt ist. Nach Impfungen gegen Paramyxovirose und Paratyphus fragen, und sich vom täglichen Training der Tiere berichten, besser noch sie sich im Freiflug vorführen lassen.
Werden bei der Zeremonie auch ältere Tiere dabei sein, welche die jüngeren führen können, werden die Tiere auch in der „Hochzeit der Hochzeiten“ nicht täglich strapaziert, und bekommen sie ausreichend Ruhezeiten und kräftigendes Futter? Züchter mit „reiner Weste“ werden gerne ausführlich Antwort geben.
Anbieter dieser Dienstleistung sollten als Züchter im Verband organisiert, die Tauben mit einem Verbandsring am Fuß – besser noch mit zusätzlichem Telefonring – gekennzeichnet sein.
Seriöse Züchter setzen die Tauben nur bei trockenem und extremfreiem Wetter und von April bis Oktober ein. Sie nutzen ausreichend große Weidenkörbe zur Transport-Unterbringung der Tiere, keine Pappkartons.
Es gibt also viel zu überlegen, bevor das Brautpaar mit gutem Gewissen seine Turteltäubchen mit den besten Wünschen für eine glückliche Zukunft gen Himmel fliegen lassen kann.
– Und wenn doch Zweifel bestehen: Ein Weidenkorb, aus dem nach dem gemeinsamen Öffnen weiße Luftballons zum Himmel hochsteigen, ist auch romantisch, und es heißt danach nicht wie bei Hans Hartz: „Die weißen Tauben sind müde, sie fliegen lange schon nicht mehr…“
Jacqueline Lorenz
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