Erschienen in Gazette Wilmersdorf April 2020
„Das Berlinische ist nicht, wie man immer wieder lesen kann, ein regelloses Gemisch in verwahrloster Form, sondern in seiner Geschichte deutlich faßbar. Seine Elemente liegen klar vor und: der Lautgestalt nach ist es die im 16. Jahrhundert aus dem Obersächsischen entlehnte Sprachform, ist es hochdeutsch, und wenn bei Dialektfragen die Lautgestalt zugrunde gelegt wird, so ist das Berlinische nur als ‚hochdeutscher‘ Dialekt zu bewerten. Aber diese Lautgestaltung wurde von einem niederdeutschen Volke übernommen und erhielt dadurch in Intonation und Aussprache ‚niederdeutschen Charakter‘.“ So Agathe Lasch in ihrem Buch „Berlinisch“. Die 1879 gebürtige Berlinerin war eine von drei Töchtern einer jüdischen Kaufmannsfamilie. Zielstrebig und mit messerscharfem Verstand gesegnet absolvierte Agathe zunächst eine Lehrerinnenausbildung und holte nach mehrjähriger Lehrtätigkeit schließlich das Abitur nach. In Berlin waren Frauen nicht zum Studium zugelassen, also führte sie ihr Weg nach Halle und Heidelberg um Germanistik zu studieren.
Aufgrund hervorragender Leistungen wurden ausländische Universitäten auf sie aufmerksam und die Frauenuniversität Bryn Mawr im US-amerikanischen Staat Pennsylvania rief Agathe Lasch als Associate Professor an ihr Institut. Dort schrieb sie ihre „Mittelniederdeutsche Grammatik“, die bis heute als Standardwerk gilt. Als die USA in den Ersten Weltkrieg eintrat, zog sie zurück nach Deutschland und arbeitete als Assistentin am Deutschen Seminar in Hamburg. 1923 wurde sie dort die erste Professorin an der Universität Hamburg sowie die erste Germanistik-Professorin deutschlandweit. Hier verfolgte sie ihre Studien zur Berliner Sprachgeschichte und veröffentlichte schließlich im Jahr 1928 ihr Buch „Berlinisch“. Weitere Werke sind das Mittelniederdeutsche Handwörterbuch und das Hamburgische Wörterbuch, die sie gemeinsam mit Conrad Borchling erstellte. Das Hamburgische Wörterbuch erschien erst 1956 auf Grundlage der Vorarbeiten von Agathe Lasch.
Gleich nach der Machtergreifung versuchten die Nationalsozialisten, die Jüdin aus der Universität zu entfernen. Ausländische Wissenschaftler konnten dies zunächst verhindern. Doch 1934 verlor sie ihren Lehrstuhl und zog 1937 zurück nach Berlin. Ihre Versuche, weiter zu forschen, waren zum Scheitern verurteilt. Öffentliche Bibliotheken blieben ihr verschlossen und sie durfte ihre Werke nicht mehr veröffentlichen. Auch die Nutzung von Hochschulbibliotheken wurde jüdischen Wissenschaftlern ab 1938 verwehrt. Der Versuch, den Rufen an Universitäten in Dorpat und Oslo zu folgen, wurde durch das nationalsozialistische Regime verhindert. 1942 beschlagnahmten die Nazis auch die 4000 Bücher aus dem privaten Besitz von Agathe Lasch. Gemeinsam mit ihren Schwestern wurde die Wissenschaftlerin am 15. August 1942 nach Riga deportiert. Bereits kurz nach ihrer Ankunft wurde sie dort in den umliegenden Wäldern ermordet. In Berlin erinnert der Agathe-Lasch-Platz an sie, außerdem wurde 2010 ein Stolperstein für die Schwestern Agathe, Elsbeth und Magarete vor dem Haus in der Caspar-Theyß-Straße 26 verlegt.
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