Erschienen in Lankwitz Journal Oktober/November 2019
100 Jahre Bezirksverband der Steglitzer Kleingärtner bedeutet auch 100 Jahre Kleingarten-Geschichte: So gehen Steglitzer Kleingartenanlagen wie „Rütli“ und „Parkkolonie“ auf die bereits 1901 gegründeten Arbeitergärten des Roten Kreuzes zurück. Damals wachte eine gestrenge und nicht immer von den Arbeitern hochgeschätzte Patronin über Gärten und Nutzer. Heute sind der Ton und das Verhältnis zu Kolonie- und Bezirksverband-Vorsitzenden da deutlich kameradschaftlicher geworden, das Miteinander steht im Vordergrund. Darauf ist auch der 1. Vorsitzende des Bezirksverbandes der Kleingärtner Steglitz e. V. Ralf-Jürgen Krüger stolz. Durch seine über 20-jährige ehrenamtliche Verbandsarbeit hat er mitgeholfen, die Anzahl der Parzellen konstant auf 3.300 in Steglitz zu halten und sie fest in die Kommunalstruktur zu verankern. – Auch wenn das nicht immer leicht war in Zeiten von politischem und Investoren-Druck im Kampf um Grundstücke für den Wohnungsbau. Der Verband verwaltet diese Parzellen, die von 27 Kleingartenanlagen unterhalten werden.
Und wenn – wie im vergangenen Jahr – dann eine dieser Steglitzer Kleingartenanlagen sogar von der Lenné-Akademie für Gartenkultur mit der Gartenplakette „Natur im Garten“ für ökologisches Gärtnern ausgezeichnet wird, dann ist das für den Bezirksverband eine ähnlich hohe Anerkennung wie für die prämierte Öko-Kolonie Wildkraut e. V. selbst.
Gefeiert wird das 100-jährige Jubiläum in zwei Etappen: Mit erlesenen Gästen aus Kommunalpolitik und Landesverband stieß der Bezirksverband bereits im Frühjahr „auf die Zukunft“ an, und beim geplanten „Oktoberfest“ für jedermann im Herbst dürften die Besucher nicht weniger hoffnungsfroh auf die Zukunft des Bezirksverbandes trinken.
Als einer der ersten Bezirksverbände Berlins war 1919 der „Bezirksverband der Kleingärtner XII Verwaltungsbezirk Steglitz im Zentralverband der Kleingärtner, Siedler und bodennutzenden Grundbesitzer“ gegründet worden. 1950 wurde er in „Bezirksverband der Kleingärtner Steglitz e. V.“ umbenannt.
Im Jahr 1900 hatten Berliner Laubenpieper einen ersten Zusammenschluss aller acht Kolonien beschlossen. Im Verein sollten ihre Rechte gesichert sein. 1911 erhielt dieser Verein den Namen „Verband der Laubenkolonisten Berlins und Umgebung“. Endgültige Hoffähigkeit erlangten die bis dahin eher belächelten „Laubenpieper“ aber mit dem 1. Weltkrieg, auf dessen Kanonendonner bittere Hungersnot folgte. Die Erträge der Kleingärten wussten diese Not wenigstens etwas zu lindern. Mit dem ersten Kleingartengesetz wurden im Jahr 1919 nun auch die ersten offiziellen Bezirksverbände und Kolonien ins Leben gerufen. Das Gesetz beinhaltete den Kündigungsschutz für Kleingartenland ebenso wie soziale, wirtschaftliche und gesundheitliche Ziele.
1926 bestand der Provinzialverband Groß-Berlin der Kleingartenvereine bereits aus 16 Bezirksverbänden, die Zahl städtischer Kleingartenflächen wuchs stetig. Aber auch Parzellen- und Lauben-Form änderten sich. So wurde bald ein Verbot für ganzjähriges Wohnen in den Lauben erlassen, das lediglich die Nutzung in den Sommermonaten zuließ. Erste Dauerkleingartenanlagen entstanden mit Pachtverträgen über 10 Jahre. Richtlinien bestimmten die Mindestgröße von Lauben (20 Quadratmeter), setzten Maßstäbe für Spielplätze und Brunnen. Die empfohlene Parzellengröße lag zwischen 300 und 400 Quadratmetern.
Mit dem 2. Weltkrieg wurde in Hinsicht auf drohende Nahrungsengpässe auch die Tierhaltung neben Gemüse- und Obstanbau gestattet, ebenso das Dauerwohnen auf den Parzellen. Dazu wurde 1939 sogar eine Kündigungsschutzverordnung für Kleingartenland erlassen.
Nach dem Krieg, dessen Bombenhagel auch an vielen Kleingartenanlagen reichlich Zerstörung verursacht hatte, wurden ab 1949 wieder erste Pachtverträge vergeben. – Aus den ehemaligen „Versorgungs-Laubenpiepern“ wurden nun „Wochenenderholungs-Laubenpieper“.
Heute steht in den Kleingartenanlagen das Gärtnern unter sozialen, ökologischen und gesundheitlichen Aspekten im Vordergrund. In den Kolonien sind Besucher gerne gesehen und profitieren ebenso wie die Kleingärtner vom Erholungswert der blühenden und sauerstoffspendenden Anlagen.
„Der Bestand der Kleingartenparzellen hat sich in den letzten 25 Jahren nicht wesentlich verändert“, bestätigt der 1. Vorsitzende des Bezirksverbandes Ralf-Jürgen Krüger. Obwohl der Bezirk etliche Kleingartenanlagen abgeben musste, konnte durch die Teilung übergroßer Parzellen die Gesamtzahl aufrecht erhalten werden.
Aktuell gibt es für den Erhalt der Kleingartenanlage Am Fichtenberg in Steglitz wenig Hoffnung: Die Kleingärten, die auf Berliner „Schulerweiterungsland“ stehen, also keine Dauerkleingartenanlagen sind, müssen nun dem Bau einer Schulporthalle weichen.
Krüger sieht es auch zukünftig als eine der Hauptaufgaben des Bezirksverbandes, die Erhaltung von Kleingärten über Dauerkleingartenanlagen zu sichern. Dabei erhielt der Verband in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreiche Unterstützung von Seiten des Bezirksamtes und der ehemaligen Bezirksbürgermeister Herbert Weber und Norbert Kopp. So sind derzeit von den 27 Steglitzer Anlagen immerhin 22 Kleingartenanlagen abgesichert. Die amtierende Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski erklärt: „Kleingärten haben bis heute nichts von ihrer Attraktivität und Beliebtheit verloren.“ Das beweisen die regelmäßigen Kleingarten-Aktivitäten in Steglitz wie Kunst im Kleingarten, Steglitzer Kleingartentage, Steglitzer Bienenfest, Fest der Nationen und Kinderprojekte, die schon die Kleinsten für die Natur zu begeistern suchen.
Etwa 500 Kleingarten-Bewerber stehen aktuell auf der Steglitzer Warteliste. Nach der Wende ins Umland und nach Brandenburg abgewandert, kehren heute viele Gartenfreunde in die Berliner Kleingarten-Anlagen zurück – nicht zuletzt wegen der längeren Anfahrtswege nach Brandenburg. Familien mit Kindern, aber auch 40-50-Jährige entdecken die „grünen Lungen“ innerhalb der Stadt wieder vermehrt für sich. Dabei könne eine kleine herkömmliche Laube ohne Bad und Dusche ein mindestens ebenso reiz- und wertvolles Stück Kulturgut sein wie das luxuriös ausgestattete Kleingartenhäuschen, betont Ralf-Jürgen Krüger. Auch er, der gesellschaftspolitisch viel unterwegs ist, zählt seit 1985 zu den passionierten Kleingärtnern. Ins Schwärmen gerät er, wenn er von der Öko-Kleingartenanlage Wildkraut e. V. erzählt, die am Ostpreußendamm liegt: „Wo noch vor zehn Jahren magerer Boden und von Müll durchsetzte Erde das Bild bestimmten, wachsen heute auf humusreichem Boden wichtige Wildkräuter.“ Zu schätzen wissen das auch Umwelt- und Natur-Organisationen wie BUND und die Lenné-Stiftung, die regelmäßig vorbeischauen. 2018 erhielt die Anlage dann auch die begehrte „Natur im Garten“-Gartenplakette.
Dass in den nächsten 100 Jahren noch viele Kleingartenanlagen diesem Vorbild folgen, das möchte man dem Bezirksverband Steglitz, den Kleingärtnern von morgen und besonders unserer Umwelt wünschen.
Weitere Informationen unter www.kleingaertner-sind.net
Jacqueline Lorenz
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