Erschienen in Wannsee Journal Oktober/November 2023
Ein hübscher, kleiner Platz in Friedenau und ein Ehrengrab in Dahlem: Die Künstlerin Renée Sintenis (1888 – 1965) war ein Star ihrer Zeit. Auf dem 1967 nach ihr benannten Platz steht ihre Plastik „Grasendes Fohlen“. Doch Kunst von Renée Sintenis findet sich auch an anderen prominenten Stellen in der Stadt. Wer auf der A115 nach Berlin hinein- oder hinausfährt, wird von ihrem Berliner Bären begrüßt. Seine kleinen Brüder, der Goldene und der Silberne Bär, erfreuen jedes Jahr Künstler der Berlinale.
Die Künstlerin wurde als Renate Alice Sintenis 1888 im schlesischen Glatz – heute Klodzko – geboren. Im gleichen Jahr zog die Familie nach Neuruppin um. In ihrer Kindheit verbrachte Renée viel Zeit in der Natur und entwickelte eine Liebe zu Tieren, die sich später in ihren Werken zeigte. Die Familie zog erneut um, dieses Mal nach Berlin, da der Vater eine Stelle im Kammergericht bekommen hatte. Schon früh bekam sie Zeichenunterricht. Als sie 19 Jahre alt war, begann sie ein Studium an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums Berlin. Dort widmete sie sich besonders der Dekorativen Plastik. Auf Druck der Familie hin gab sie die Kunst auf, um als Sekretärin ihres Vaters zu arbeiten. Doch es zog sie zurück zur Kunst und sie brach mit ihrer Familie, was zeitweise zu Depressionen bei der Künstlerin führte.
Der Weg von Renée Sintenis in die Kunst war unaufhaltsam. Sie stand Modell für Georg Kolbe. Leider blieb die Statue, die er nach ihrem Vorbild schuf, nicht erhalten. Sie schuf Plastiken von Köpfen sowie weibliche und männliche Figuren. 1915 fand sie das Metier, für das sie bekannt wurde – Figuren junger Tiere. In erster Linie Ponys und Fohlen, doch auch Lamas, Esel, Hunde und Elefanten. Die lebensechten Figuren – mal nur 20 cm groß für das heimische Wohnzimmer, mal groß für öffentliche Plätze – begeisterten die Menschen. Die kleinen Tierplastiken waren beliebte Geschenke und wurden zur Zierde manches Villenzimmers.
Im Jahr 1917 heiratete sie den Maler Emil Rudolf Weiß, den sie bereits seit vielen Jahren kannte und der unter anderem ein Porträt von ihr gemalt hatte. Zu ihren Freunden gehörten namhafte Größen der Kunstszene wie Gottfried Benn, Joachim Ringelnatz und Asta Nielsen. Ihr Ehemann ermutigte sie, ihre Werke auszustellen und so noch bekannter zu machen. Während der Zusammenarbeit mit dem Galeristen Flechtheim stellte sie international aus. Sie begann, auch Plastiken von Fußball- und Polospielern und weiteren Sportlern in der typischen Bewegung ihrer Sportart zu formen. Auf der Olympischen Kunstausstellung im Jahr 1928 bekam sie für ihre Plastik des Läufers Nurmi die Bronzemedaille verliehen.
Die Künstlerin war eine Trendsetterin ihrer Zeit. In der Weimarer Republik gehörte sie zu den bestverdienenden Künstlerinnen. Ob hoch zu Ross auf ihrem Hannoveranerhengst Horaz durch den Tiergarten galoppierend oder in ihrem schnittigen Sportwagen auf dem Kurfürstendamm – Renée war mit ihren 1,79 Metern Körpergröße und modischem Kurzhaarschnitt ein Blickfang. 1931 wurde sie in die Preußische Akademie der Künste berufen. Sie war die erste Frau im Fach Bildhauerei und die zweite Frau überhaupt – die erste war Käthe Kollwitz – die dort Mitglied wurde. In Berlin gehörte sie zu den gesellschaftlichen Mittelpunkten. Ein Ball ihres Galeristen Alfred Flechtheim war ohne sie undenkbar. Doch die glücklichen Tage waren gezählt. 1934 schlossen die Nationalsozialisten sie aus der Preußischen Akademie der Künste aus. Renée galt als Halbjüdin, da ihre Großeltern mütterlicherseits jüdisch waren. Die Ehe mit Emil Rudolf Weiß schützte sie vor weiteren Repressalien. Sie trat in die Reichskulturkammer ein und durfte weiterhin ausstellen, obwohl ihre Werke aus öffentlichen Sammlungen entfernt wurden. Ihr Galerist Alfred Flechtheim war vor den Nazis geflohen. Während des Kriegs wurde verboten, Güsse aus Bronze für die Kunst zu fertigen, da das Metall für den Krieg benötigt wurde. Die Bildhauerin wurde davon hart getroffen. Ihr Haupterwerb waren nun Grafiken.
Ein weiterer harter Schlag war der plötzliche Tod ihres Ehemanns im November 1942. Jetzt musste sie auch die Deportation fürchten. Doch sie hatte Glück und blieb unbehelligt. Ihre Biografin Silke Kettelhake, die 2010 das Buch „Renée Sintenis. Berlin, Boheme und Ringelnatz“ veröffentlichte, recherchierte, dass ein SS-Offizier seine Hand über sie hielt. Doch fast ihr gesamter Besitz fiel den Bomben zum Opfer.
Nach dem Krieg zog sie nach Schöneberg in die Innsbrucker Straße 23. An dem Haus hängt eine Gedenktafel für die Künstlerin. In den Nachkriegsjahren bekam ihre Karriere neuen Schwung. Sie schuf weiter ihre bewährten Tiere und nahm als Neuerung Plastiken von Knaben im antiken Stil in ihr Schaffen auf. 1947 wurde Renée Sintenis zur Professorin an der neu gegründeten Hochschule für Bildende Künste zu Berlin berufen. Zahlreiche Ehrungen folgten – 1948 der erstmals verliehene Kunstpreis der Stadt Berlin, 1952 „Ritter der Friedensklasse“ des Ordens Pour le merité und 1953 das Bundesverdienstkreuz. 1956 formte sie den berühmt gewordenen Berliner Bären. Eine Kopie davon wurde John F. Kennedy während seines legendären Berlinbesuchs überreicht. Renée Sintenis lebte bis zu ihrem Tod 1965 in der Innsbrucker Straße. Ihr Ehrengrab befindet sich auf dem Waldfriedhof Dahlem.
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