Erschienen in Gazette Steglitz und Zehlendorf August 2019
Es gibt Tage, die die Welt verändern und mit ihr das Leben vieler Menschen. Ein solcher Tag war der 13. August 1961. 58 Jahre ist es jetzt her, dass Deutsche in Ost und West fassungslos und ohnmächtig mit ansehen mussten, wie eine Mauer quer durch Berlin sowie längs der deutsch-deutschen Grenze gezogen wurde.
Wenn in den folgenden Jahren das Wort „Mauer“ fiel, dann sah sie jeder vor sich: die Mauer in Berlin, das zubetonierte Brandenburger Tor und die fast 1.400 Kilometer langen nahezu unüberwindlichen Grenzbefestigungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR.
Der 13. August 1961 war ein trauriger Tag, ein Tag, der viele Hoffnungen begrub und der das Leben der Menschen fast drei Jahrzehnte lang nachhaltig beeinflusste. Denn die Mauer, die die DDR-Führung errichten ließ, zerschnitt Städte und Landschaften, sie kappte Straßen und Schienenstränge; die Mauer, die immer höher und immer stärker befestigt wurde, trennte Familien wie Freunde; sie zementierte die deutsche Teilung.
Diese Teilung war ein Ergebnis des Zweiten Weltkriegs, den die Nazis entfesselt hatten. Danach hatten sich aus den vier Besatzungszonen zwei deutsche Staaten mit unterschiedlichen Systemen entwickelt, deren Gründung 1961 gerade mal zwölf Jahre zurücklag. Und im Zuge der beginnenden Ost-West-Konfrontation beziehungsweise des Kalten Kriegs markierte die deutsch-deutsche Grenze die Schnittstelle zwischen Ost und West.
Bis zum Bau der Mauer hatte es zwischen den beiden deutschen Staaten noch viele unterschiedliche Verbindungen gegeben. Trotz mancher Krisen wie der Blockade Berlins 1948/49 und dem Chruschtschow-Ultimatum 1958 war es 1961 für viele Deutsche kaum vorstellbar, dass die Teilung so tiefgreifend würde und sich die beiden deutschen Staaten so unterschiedlich entwickeln würden. 1961 arbeiteten noch viele Bewohner Ost-Berlins und der DDR in West-Berlin und gegenseitige Besuche waren an der Tagesordnung.
Die Mauer jedoch unterband die Kontakte, sie zerschnitt zahllose menschliche Bande. Familien wurden auseinandergerissen, sodass Großeltern ihre Enkel nicht mehr aufwachsen sahen; Liebespaare wurden getrennt und Freunde verloren sich aus den Augen.
Der Weg von West nach Ost blieb zum Teil mit manch bürokratischem Aufwand möglich, aber für die Menschen in der DDR war der Weg nach Westen verbaut.
Die DDR-Führung zwang sie zu bleiben. Mit der Errichtung der Mauer reagierte die SED auf die Abwanderung. Fast drei Millionen Menschen hatten die DDR von ihrer Gründung bis zum August 1961 verlassen, allein im Juli 1961 waren es über 30.000. Unter ihnen befanden sich viele Facharbeiter und Akademiker, fast die Hälfte war jünger als 25 Jahre. Diese Abstimmung mit den Füßen war ein Aderlass, und die DDR-Führung griff zu einem rigorosen und brutalen Mittel, um sie zu unterbinden.
Dennoch versuchten es die Menschen weiterhin, in den Westen zu gelangen. Aber viele mussten ihren Fluchtversuch über die Mauer mit ihrem Leben bezahlen. Günter Litfin und Peter Fechter gehörten in Berlin zu den ersten Opfern des Schießbefehls, dessen Existenz die Verharmloser der kommunistischen SED-Diktatur bis heute leugnen. Der eine wollte am Humboldhafen in die Freiheit schwimmen, der andere verblutete, schwer verletzt, vor den Augen der Weltöffentlichkeit an der Mauer in der Nähe des Checkpoint Charlie. Hunderte kamen in den folgenden Jahrzehnten an der Berliner Sektorengrenze und an der Grenze zwischen Ost und West, zwischen der Lübecker Bucht und Bayern ums Leben. Der letzte „Mauertote“ war Chris Gueffroy, der noch im Februar 1989 kaltblütig erschossen wurde.
Aber in jenem Jahr kam es auch erneut zu einer Abstimmung mit den Füßen, die die Entwicklung entscheidend veränderte – und diesmal zum Besseren wendete. Die massenhafte Flucht in den Westen über Ungarn und die Tschechoslowakei sowie die Montagsdemonstrationen mutiger DDR-Bürgerinnen und Bürger, sie brachten am 9. November 1989 die Mauer zu Fall. 28 Jahre nach ihrem Bau machten die Ostdeutschen nachdrücklich klar, dass ein Staat seine Bevölkerung auf Dauer nicht einsperren kann und dass sich der Freiheitswille irgendwann Bahn bricht.
1989 hob sich der lange Zeit so undurchlässige Eiserne Vorhang, der nicht nur Deutschland, sondern auch Europa geteilt hatte; die Menschen erlebten erneut eine alles verändernde Zäsur. Eine Epoche ging zu Ende, die viele Menschen ganz persönlich getroffen hatte.
Ohne den Bau der Mauer sähen viele Biografien anders aus, sie hat zahllosen Menschen großes Leid gebracht.
Gerade in diesen Tagen hören und lesen wir wieder die Geschichten von Betroffenen, für die der 13. August 1961 zum Schicksalstag wurde. Es sind bewegende Geschichten von Menschen, deren persönliches Leben von den damaligen Ereignissen aus der Bahn geworfen wurde.
Heute ist die Mauer Geschichte. Die Spuren der einstigen Grenze sind größtenteils verschwunden, von einigen Erinnerungsstücken und Gedenkstätten abgesehen. Und Generationen sind bereits im wiedervereinigten Deutschland aufgewachsen.
Eine Mauer quer durch eine Stadt; Verliebte, die sich nicht wiedersehen können; Reiseverbote; lange Haftstrafen für den Versuch, von Ost nach West zu gelangen – zum Glück – jenseits ihres Erlebens. Viele wissen natürlich um die Geschichte, sie kennen Filme oder Bücher über die Zeit. Aber welch bittere Realität die Mauer war, ist nicht mehr so präsent. Das erschließt sich erst wieder, wenn die Betroffenen zu Wort kommen oder wenn wir an die Geschichte erinnern.
Die Mauer zementierte die Teilung – 28 Jahre lang. Im geschichtlichen Maßstab ist das eine kurze Zeitspanne, aber für die einzelnen Menschen bedeutet sie einen beträchtlichen Teil ihrer Lebenszeit. Die Menschen, die in jenen Jahren lebten und aufwuchsen, kamen an der Mauer nicht vorbei. Ohne sie wäre manches Leben anders verlaufen und der Ost-West-Gegensatz hat ganze Generationen geprägt.
Aber letztlich war die Mauer überwindbar. Und wenn wir heute an den 13. August 1961 erinnern, dann erinnern wir gleichzeitig an den 9. November 1989 und den 3. Oktober 1990, dann denken wir auch daran, wie viel wir mit dem Fall der Mauer gewonnen haben. Wir können dankbar sein, dass unsere Geschichte diese glückliche Wendung nahm und dass wir unseren Teil dazu beigetragen haben. Daran sollten wir uns an diesem 58. Jahrestag des Mauerbaus, gerade in diesen unruhigen Zeiten, erinnern.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
René Rögner-Francke
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